In einem Labor des Instituts für Molekulare Virologie des Universitätsklinikums Ulm sitzt Rüdiger Groß. An einem verglasten Arbeitsplatz mit Luftfilteranlage. Der Doktorand trägt Handschuhe, eine Maske und einen Schutzkittel. In der Hand ein Röhrchen mit einer blassrosa Flüssigkeit. Die Substanz darin kann Viren unschädlich machen. Rüdiger Groß hat das Polymer Polystyrolsulfonat in vielen Versuchen so verbessert, dass es Viren an der Vermehrung hindert: "Das Molekül, das wir entwickelt haben, ist im Prinzip ein Viruseintrittshemmer. Es verhindert, dass Viren in die menschliche Zelle eintreten."
Viren können sich nur vermehren, wenn sie in eine menschliche oder tierische Zelle eintreten. Das negativ geladene Polymer verhindert dieses Eindringen, indem es sich um das Virus wickelt. Das Virus kann deshalb mit der Zelle keinen Kontakt aufnehmen, es kann nicht eindringen, kann sich nicht vermehren und geht irgendwann kaputt.
Rüdiger Groß öffnet einen Tiefkühlschrank im Labor, weiße Wolken quellen heraus. In eisbedeckten Schubladen lagern hier bei minus 80 Grad Celsius Viren. Der 29-Jährige und weitere Forscher aus Deutschland, Dänemark, Frankreich, Schweden und auch Brasilien haben das Polymer mit verschiedenen Erregern getestet. In Labor- und Mausversuchen hat es gegen Viren gewirkt, die Atemwegsinfektionen auslösen. Ebenso gegen HIV-, Herpes- und den Zikaerreger. Und das Polymer konnte auch das SARS-CoV-2-Virus am Eindringen in eine Zelle hindern.
Tests an Menschen mittelfristig möglich
Das von einem internationalen Forscherteam rund um die Ulmer Wissenschaftler entwickelte Polymer könnte in rund einem Jahr an Menschen getestet werden und bei Erfolg in ein paar Jahren der Wirkstoff eines Medikamentes werden, so Professor Jan Münch, einer der Leiter des Ulmer Instituts für Molekulare Virologie. Die Studie jetzt konnte auf vorherige Forschungserkenntnisse zurückgreifen.
"Wir haben ja schon einen großen Teil der Grundlagenforschung hinter uns gebracht, und wir haben interessante Substanzen, von denen wir zumindest wissen, dass sie im Tier-Modell keine nennenswerten Nebenwirkungen hervorrufen. Daher sind wir doch ziemlich optimistisch, dass wir diesen Weg einer klinischen Entwicklung weitergehen können."

Das von ihm optimierte Polymer sei aber kein Wundermittel, das dann gegen alle Viren wirke, ergänzt Rüdiger Groß. Das Polymer könnte mit einem Nasenspray oder einem Inhalator verabreicht werden: "Es ist natürlich nichts, was man intravenös geben würde, oder in hohen Konzentrationen über eine Infusion. Sondern es ist wirklich eher etwas, das man gezielt an Oberflächen anwenden würde, wo Viruseintritt stattfinden würde. Also zum Beispiel auf der Nasenschleimhaut oder auf der Rachen Schleimhaut."
Medizin Algenspray für die Nase soll Coronaviren abwehren
Ein Nasenspray mit einem Wirkstoff aus der Rotalge soll dabei helfen, vor einer Coronainfektion zu schützen. Erste Studien scheinen zumindest eine gewisse Wirkung zu bestätigen.
Neue Substanz könnte künftige Pandemien eindämmen
Sollte irgendwann ein neues gefährliches Virus auftauchen, könnten die jetzt veröffentlichten Erkenntnisse der Forscher aus Ulm, Dänemark und Brasilien Infektionen verhindern, so der Erstautor der Studie, die im renommierten Fachjournal "Advanced Science" veröffentlicht wurde. "Im Idealfall wäre das etwas, was man sofort verteilen könnte, während es noch keine spezifischen antiviralen Medikamente gibt, einfach um am Anfang einer Pandemie oder eine Epidemie ein bisschen Eindämmung leisten zu können."