Plötzlich sind die Kriegsflüchtlinge nicht mehr im Fernsehen, sondern im eigenen Haus. Und die Geschichten gehen unter die Haut, sagt die Ulmer Mama Tina, wenn sie die Erzählungen des ukrainischen Vaters hört. "Er hat uns vom Bombenhagel berichtet, wie er im ersten Fluchtinstikt mit seiner dreijährigen Tochter nach draußen gerannt ist, dann kam eine noch eine Bombe, und er wirft sich über seine Tochter."

Jetzt mache er sich Vorwürfe, weil er nicht Schutz im Keller gesucht habe. Diese Situation komme immer wieder hoch. "Das sind dann so Momente, wo ihm die Tränen kommen und uns auch die Tränen kommen", erklärt Tina. "Das ist einfach Wahnsinn". Manchmal weinen Gastgeber und Gäste gemeinsam.
Einfach nur froh, in Ulm eine sichere Unterkunft gefunden zu haben
Der ukrainische Vater Ramil ist einfach nur froh, bei dieser Familie in Ulm eine sichere Unterkunft gefunden zu haben. "Ich hätte nicht gedacht, dass die Menschen hier so hilfsbereit sind", sagt Ramil. "Alles ist so gut hier, die Menschen, die Stadt." Am wichtigsten sei dem 24-Jährigen aber, dass seine Kinder hier in Sicherheit sind und die schlimmen Bilder des Krieges nicht mehr sehen müssen.
Uroma aus Ukraine will Dankbarkeit ausdrücken
Ramil kam am vergangenen Samstag in Ulm an, mit seiner Frau, seinem elf Monate alten Sohn, seiner dreijährigen Tochter und der 62 Jahre alten Uroma. Sie schlafen bei der Ulmer Familie im Gästezimmer und einem im Keller hergerichteten Raum. Die Uroma aus der Ukraine will ihre Dankbarkeit gegenüber den Gastgebern Tina und Heiko ausdrücken. "Tina and Heiko are beautiful and so good". Mehr Englisch kann sie nicht. Sie erzählt auf russisch und ukrainisch. Ramil übersetzt. Hier sei alles so gut und schön, meint die Urgroßmutter. Aber sie habe Heimweh und möchte zurück nach Hause.

Aus ihrer Heimatstadt Izyum hat die Flüchtlingsfamilie seit fünf Tagen nichts mehr gehört. Dort gibt es kein Internet, kein Telefon, keinen Strom und kein Gas mehr. Die Geschäfte sind geschlossen. Ramil zeigt ein Video mit dem zerbombten Krankenhaus und verwüsteten Straßen. Er schätzt, dass vielleicht noch die Hälfte der rund 50.000 Einwohner Izyums in der Stadt sei.
In Ulm sind unter den Kindern bereits deutsch-ukrainische Freundschaften entstanden. Die Kinder der Ulmer Familie sind zwei, vier und sieben Jahre alt und spielen mit den Gastkindern. Da scheint die Sprache keine Hürde zu sein. Ansonsten geht die Kommunikation auch über Hand und Fuß. Das Zusammenleben läuft richtig gut, berichtet Mutter Tina. "Da nimmt die Uroma einfach mal den Staubsauger oder die ukrainische Mutter übernimmt spontan den Kochlöffel wenn ich am Kochen bin und meine kleine Tochter schreit."
Zu zehnt am Esstisch: Der Alltag mit den Gästen aus der Ukraine funktioniert gut
Alle helfen beim Tischdecken mit oder beim Fegen der Krümel. Und wenn sie dann zu zehnt am Essenstisch sitzen, fühle sich das schon manchmal an wie eine große Familie, meint Tina. Da werde auch gemeinsam gelacht. Es sind schöne Momente.
Der Gedanke zu helfen war Vater Heiko spontan gekommen, als er den Aufruf las, dass in Ulm Familien gesucht würden, die Flüchtlinge aufnehmen können. "Wir haben Platz. Da haben wir gedacht, dass wir was machen müssen."

Natürlich sei das jetzt auch anstrengend zu zehnt im Haus. Immer Trubel, immer gibt es etwas zu tun. Aber es lohne sich. "Das ist hundertprozentig auch ein Gewinn für uns", betont Heiko. Als er die Bilder im Fernsehen sah, fühlte er sich ohnmächtig und wollte trotzdem etwas dagegen tun. "Jetzt können wir wenigstens sagen, wir haben einen kleinen Beitrag geleistet, um dieses Leid zu lindern."
Er möchte andere, die ein bisschen Platz haben und vielleicht noch zögern, ermutigen, auch Flüchtlinge aufzunehmen. Es werden wohl Erfahrungen, die alle Beteiligten nie vergessen werden.
Anmerkung der Redaktion: Mit Rücksicht auf die Privatsphäre der beiden Familien wurde auf die Nennung von Nachnamen sowie auf Fotos von Personen verzichtet.