Viele Schulen im Kreis Neu-Ulm beobachten bei ihren Schülerinnen und Schülern laut Bericht Defizite im sozialen Miteinander. Die Frustrationsgrenze bei zahlreichen Kindern und Jugendlichen sei gering, so die Beobachtung. Wegen fehlender Kontaktmöglichkeiten in der Pandemie hätten viele Kinder nicht die Möglichkeit gehabt, soziales Miteinander und Strategien zur Konfliktbewältigung zu entwickeln, sagt Dr. Ansgar Batzner, der Leiter des Schulamtes Neu-Ulm, im SWR-Interview.
SWR: Herr Batzner, wie fassen Sie die Lage an den Schulen denn jetzt zusammen?
Ansgar Batzner: Ich glaube, das ist ein sehr differentes Bild. Es gibt Schülerinnen und Schüler, die die Corona-Pandemie ganz gut überstanden haben - auch in fachlicher Hinsicht. Aber es gibt auch Schüler, nicht nur, aber insbesondere in Risikofamilien, denen die Schulschließungen nicht gut taten. Und zwar vor allem im sozialen Bereich, also im Miteinander. Wenn Sie über Wochen und Monate ihre Klassenkameraden nicht sehen konnten, keine Freunde oder Freundinnen sehen konnten, auch die sozialen Erfahrungen einfach nicht machen konnten, das fehlt ihnen dann.
Wie wirkt sich das aus? Sind die Schüler gewalttätiger, spielt Mobbing eine zunehmende Rolle?
Sicher gibt es vereinzelte Fälle, dass Mobbing oder Gewalt zugenommen haben. Aber es gibt natürlich auch ein Stück weit mehr Ängste - auch sogar depressive Verstimmungen. Auch das Gefühl von Selbstwirksamkeit lässt nach. Und natürlich auch so etwas wie sich in eine Gruppe einzuordnen, in eine Tagesstruktur. Eine Schule ist ja auch ein Raum, wo Gleichaltrige aufeinander Rücksicht nehmen, Toleranz und Wertschätzung erfahren. Auch Selbstwirksamkeit, das ist ist ja etwas ganz Wichtiges für uns alle, für Erwachsene, aber umso mehr für Kinder und Jugendliche.
Wie muss man jetzt reagieren, was haben Sie als Schulträger vor?
Also die Schulleitungen, die Lehrkräfte, die machen einen richtig guten Job. Sie setzen auch auf das Kognitive, eben das, was in Deutsch, Mathe, Englisch und so weiter an Kompetenzen erlernt werden muss. Aber sie setzen zunächst, weil das die Voraussetzung ist, auf die Beziehung und Erziehung, auf das Miteinander, auf das Erlernen von Arbeitstugenden, auf Dinge wie Impulskontrolle, Frustrationstoleranz. Auch Resilienz (psychische Widerstandkraft, Anm. d. Red) ist ein ganz wichtiges Thema. Und deswegen ist alles, was in der Schule passiert an Gemeinschaft Stiftendem, an Gemeinschaftserlebnissen, auch mal wieder Sport treiben dürfen, wichtig. Und deswegen glauben wir, dass diese Angebote, die auch seitens der Staatsregierung gekommen sind, wichtig sind. Aber natürlich auch die Dinge aus den Bereichen Erlebnispädagogik oder sozialem Lernen, Miteinander, das sind eben Voraussetzungen für das Kognitive.
Eine Forderung im Neu-Ulmer Jugendhilfeausschuss war ja, mehr Schulsozialarbeiter an die Schulen zu bringen.
Das ist ein ganz wichtiges Feld. Der Jugendhilfeausschuss hat dem zugestimmt. Wir haben die Erfahrung gemacht: Dort, wo Schulsozialarbeit ist, können diese Defizite leichter aufgefangen werden. Die Schulsozialarbeit hat an Bedeutung gewonnen wie noch nie zuvor.
Im Moment sind ja alle dagegen, die Schulen wieder zu schließen, schon von Gesetzes wegen. Aber wenn es nun doch so kommt, was befürchten Sie? Wie würden sich Schulschließungen auswirken?
Pädagogen sind von Berufs wegen Optimisten, sonst wären sie keine Pädagogen. Also werden wir auch dieses bewältigen können. Aber Schulschließungen müssen die ultima ratio sein; das heißt, nur wenn nichts anderes mehr sinnvoll ist, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Ich glaube, dass der Unterricht nicht das Problem sein wird. Wir haben mittlerweile eine sehr gute digitale Infrastruktur. Aber es fehlt der Kontakt zu Gleichaltrigen, das Miteinander. Und das würde sicherlich keine guten Folgen haben. Es gibt eine Studie vom Februar 2021 über die Auswirkungen, die sogenannte COPSY-Studie. Und die hat das alles bestätigt, was wir an Befürchtungen im sozialen Bereich hatten.