Russland-Ukraine-Krieg

CDU-Bundestagsabgeordneter Roderich Kiesewetter: "Von Putin droht noch Schlimmeres"

STAND
ONLINEFASSUNG
Maja Nötzel
Maja Nötzel (Foto: SWR, SWR - Alexander Kluge)
INTERVIEW
Jürgen Klotz

Der Aalener CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter reagiert betroffen auf den Krieg in der Ukraine. Der außenpolitische Experte der Union befürchtet eine Ausweitung.

SWR: Herr Kiesewetter, als Sie von den Entwicklungen der Nacht erfahren haben, wie war Ihre erste Reaktion?

Roderich Kiesewetter: Ich bin natürlich hoch betroffen. Ich bin in großer Sorge, dass dies weiter eskaliert und dass Putin die Ukraine nicht genügt. Wir müssen genauso auch sehr aufmerksam auf strategische Gleichzeitigkeit schauen im außereuropäischen Umfeld. Wie verhält sich jetzt China? Was passiert auf dem Balkan? Wie sieht es in unseren Einsatzgebieten in Afrika aus? Ich denke, dass Putin an der Eskalationsspirale sehr lange gearbeitet hat und wir uns auf noch weitere Überraschungen einstellen müssen.             

Wenn Sie die Prognose ansprechen, da war in den letzten Wochen durchaus auch anderes zu lesen. Manche haben gesagt, Putin möchte eigentlich nur einen Landzugang zur Krim. Das sieht jetzt ganz anders aus, oder?

Ich habe nie zu denen gehört - das war für mich die Minimallösung für ihn. Da er ja bereits im Juni letzten Jahres sehr klar formuliert hat, dass die Ukraine Bestandteil Russlands ist. Wir müssen viel sorgfältiger lesen, was er gesagt hat. Dann ist mir klar, dass auch das Antwortschreiben an den US-Kongress und an die US-Regierung vor zwei Wochen noch Drohpotenzial enthält. Denn dort heißt es, alle ehemaligen Staaten des Warschauer Paktes sollen die Nato verlassen und die USA Ost- und Mitteleuropa. Es bedeutet also, es kann durchaus sein, dass die Drohkulisse sich auch gegen die baltischen Staaten richtet.

"Damit haben wir letztlich die Ukraine Russland auf dem Präsentierteller präsentiert."

Und es war auch klar, dass alle Signale, die Angela Merkel, Hollande, Sarkozy noch 2008 oder jetzt Macron ausgesendet haben, von Putin nicht wertgeschätzt wurden. Weder die Bereitschaft, die Ukraine nicht in die Nato aufzunehmen 2008, noch das Engagement Deutschlands, die Ukraine nicht zu bewaffnen 2014 sind von Putin wertgeschätzt worden, sondern im Gegenteil als Schwäche ausgelegt worden. Und die Ukraine ist von Europa geschwächt worden, weil wir bewusst keine militärische Stärkung der Ukraine wollten. Damit haben wir letztlich die Ukraine Russland quasi auf dem Präsentierteller präsentiert. Das stimmt mich sehr nachdenklich, wenn wir das rückblickend betrachten.

Es sind heute Stimmen zu hören, die sagen, offensichtlich war die Politik im Zusammenspiel mit Putin etwas zu naiv in den letzten Jahren. Sehen Sie das genauso?

Ich weiß nicht, ob es naiv ist. Wir stehen für die regelbasierte internationale Ordnung und für uns war immer klar, diese verteidigen wir eben auch mit glaubwürdigen Ansprüchen. Und das heißt nun mal Verhandlungen, heißt Handel und heißt auch, Diplomatie mit Härte zu verknüpfen. Nur: Wir haben mehr auf Diplomatie gesetzt als aus Härte (...). Das war eigentlich der gravierende Fehler. Und wer Putin liest, nicht nur sein Gesicht, sondern seine Aufsätze, auch das Abkommen mit Xi Jinping vor drei Wochen, der weiß, dass noch Schlimmeres droht. Die Ukraine ist ein Baustein, aber was haben wir mit Moldawien und Transnistrien noch zu erwarten? Was ist mit den Nuklearwaffen Russlands in der Ukraine? Russland lehnt Diplomatie ab, das müssen wir jetzt ganz klar so erkennen.

Ist Russland der Feind oder Putin?

Ich will hier nicht über Freund-Feind-Denken sprechen, sondern Putin ist es gelungen, sich mit seiner Nomenklatur, mit seiner Oligarchenschicht, Russland zum Leibeigenen zu machen. Es ist sehr viel investiert worden in Petersburg und in Moskau. Die ländlichen Räume liegen brach, 140 Millionen Menschen. Die Lebenserwartung der Männer liegt bei 56, die der Frauen bei 60. Alkoholismus, schlechte Gesundheitsversorgung und eine generelle, schwierige Grundversorgung prägen das Land. Die Leidensfähigkeit ist groß. Also Putin ist inzwischen der Feind geworden.

Wie geht es Ihnen, wenn Sie auf die emotionale Ebene blicken?

Ich denke in allererster Linie an die Menschen in der Ukraine und in Weißrussland. Ich glaube, der Wandel bei Putin ist eingetreten, als die Demokratiebewegung in Weißrussland so stark wurde und als im letzten Jahr Hunderttausende in Russland für Nawalny auf die Straße gegangen sind. Und da sehe ich eben, dass Putin sich gegen Demokratie, gegen Bürgerbeteiligung entschieden hat, weil er Angst davor hat, er wird zur Rechenschaft gezogen. Er mauert sich damit ein und schwächt den Westen dort, oder er nutzt den Westen dort aus, wo der Westen am schwächsten ist, nämlich in der Bereitschaft, militärisch zu reagieren. Das bedeutet nicht, dass wir jetzt militärisch eskalieren, sondern wir müssen viel stärker in unserer eigenen Bevölkerung werben für unsere Werte. Und wir müssen auch zeigen, wie brüchig diese Werte sind und wie schnell sie kippen können. Wir sollten uns tatsächlich auf eine schlimme Eskalation einstellen und auch auf Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine.

In einer Umfrage haben Menschen in Ulm heute gesagt, sie haben zum Teil Angst vor Krieg. Müssen wir auch in Deutschland Angst vor Krieg haben?

Freiheit hat einen Wert, Freiheit und Sicherheit verursachen Kosten. Und ich sehe es als direkt gewählter Abgeordneter, als meine vornehmste und wichtigste Aufgabe an, dafür zu werben, dass es für unsere Freiheit einen Preis gibt und der heißt Wachsamkeit. Und das heißt auch mit Blick auf unterschiedliche Meinungen, dass sie faktenbasiert und wissensbasiert sein müssen. Nicht jede Meinung ist gleich viel wert, wenn sie Fake-News verbreitet. Ich bin auch in großer Sorge, aber wir müssen unserer Bevölkerung sagen: Wie geht es denn den Menschen in Russland, die jetzt ihre Söhne verlieren im Krieg wegen dem Völkerrechtsbruch in der Ukraine? Wie geht es den ukrainischen Müttern, die ihre Söhne verlieren, die als Reservisten einberufen werden? Wie geht es den Kindern, die ihre Eltern verlieren? Seit dieser Woche haben die Eltern ihre Schülerinnen und Schüler, ihre Kinder mit Aufklebern versehen, wo die Blutgruppen draufstehen.

"Halten wir zusammen, stehen wir solidarisch an der Seite der Ukraine"

Also unsere Wohlstandsmenschen, die alles quasi aus dem Supermarkt bekommen und aus dem Internet. Denen muss ich wirklich sagen: Halten wir zusammen, stehen wir solidarisch an der Seite der Ukraine und, vor allen Dingen, sind wir bitte bereit, auch ein Opfer zu bringen: dass wir spenden, dass wir aber auch bereit sind, unsere Sicherheit besser  zu verteidigen. Aber ich sage unseren Bürgerinnen und Bürger, uns allen: Wir leben ja alle in Gemeinschaften, wir müssen aufwachen und uns darüber im Klaren sein, dass unser System, unsere Freiheit nicht Gott gegeben ist und dass wir dafür jeden Tag aufstehen müssen und hart arbeiten. Das ist, glaube ich, eine ganz wesentliche, wenn auch traurige Erkenntnis des heutigen Tages.

Eine letzte Frage zu Angela Merkel. Stimmen werden laut, sie möge zurückkommen auf die politische Bühne. Trauen Sie es ihr zu? Glauben Sie, sie lässt sich darauf ein? Oder brauchen wir sie nicht?

Wir haben eine gewählte Regierung, die jetzt die Verantwortung übernimmt. Angela Merkel hat 16 Jahre lang die Bundesrepublik gut durch schwierige Fahrwasser gefahren, in vielem aber auch sehr gutmütig gegenüber Russland. Sie kennt Putin. Ich bin fest davon überzeugt, dass unsere Bundesregierung auf ihren Rat baut. Aber es wäre auch nach außen ein Zeichen der Schwäche würde die Regierung jetzt Angela Merkel die Rolle eine Sonderbotschafterin geben.

Kiesewetter: Merkel als Sonderbotschafterin der Vereinten Nationen?

Ich hielte es für überlegenswert, ob nicht die Vereinten Nationen Angela Merkel zu einer Sonderbotschafterin ernennen. Aber wir haben eine Regierung, in die ich Vertrauen habe. Wir haben eine Regierung, die wir stärken müssen, eine Regierung, die jegliche Unterstützung der breiten Bevölkerung verdient in der Außenpolitik. Und das gilt genauso für die Außenministerin Frau Baerbock, wie für den Bundeskanzler Herrn Scholz. Wir als größte Oppositionspartei wollen den Erfolg dieser Regierung. Aber es wäre sicherlich ein besonderes Zeichen, wenn die Vereinten Nationen Angela Merkel zur Sonderbotschafterin ernennen würde. Ob sie es will, ist eine ganz andere Frage.

Mehr zum Thema:

Ulm

Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine Ulm, Aalen, Ellwangen: Schweigen als Zeichen für den Frieden

In Aalen, Schwäbisch Gmünd und Ellwangen sind am Donnerstagabend Menschen zu Schweigeminuten für die Ukraine zusammengekommen. Gemeinsam wollten sie ein Zeichen für den Frieden setzen.

Baden-Württemberg

Bestürzung, Kundgebungen und Hilfsaktionen Russlands Einmarsch in der Ukraine: Auswirkungen für Baden-Württemberg in vielen Bereichen

Russland hat die Ukraine angegriffen. Der Krieg in Europa wirkt sich auch auf Baden-Württemberg aus. Viele Menschen gingen für den Frieden auf die Straße.