Aalener Polizeipräsident Reiner Möller im Interview

Aggressionen und Gewalt gegen Polizei nehmen zu

STAND
INTERVIEW
Maja Nötzel

Das Polizeipräsidium Aalen beobachtet eine Zunahme von Aggression und Gewalt. Wie die Beamtinnen und Beamten darauf vorbereitet sind, erläutert Polizeipräsident Reiner Möller.

Reiner Möller, Polizeipräsident des Polizeipräsidiums Aalen, nimmt an einer Pressekonferenz teil. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Marijan Murat)
Reiner Möller, Polizeipräsident des Polizeipräsidiums Aalen

SWR: In Rheinland-Pfalz sind bei einer Kontrolle zwei Polizisten getötet worden. Am gleichen Tag wurden noch zwei Tatverdächtige festgenommen. Am Dienstag wurde Haftbefehl erlassen. Wie haben Sie und Ihre Kollegen das Geschehen erlebt und verfolgt?

Reiner Möller: Ich habe die Lage in Kusel bereits am frühen Morgen über die polizeilichen Meldedienste und Medien sehr eng verfolgt. Wir waren auf Führungsebene den ganzen Tag in einem sehr engen Austausch. Eine solche Tat ist außergewöhnlich und sehr belastend. Im Prinzip stellt dies den realen Albtraum aller Kolleginnen und Kollegen dar und deswegen ist die ganze Polizei Baden-Württemberg und ich selbst mit unseren Gedanken bei den Kolleginnen und Kollegen sowie den Angehörigen in Rheinland-Pfalz.

Besteht denn jetzt die Gefahr, dass die Kollegen, wenn da jemand mit einer Schreckschusspistole im Auto sitzt, sich bedroht fühlen und dann aus Versehen überreagieren? Gibt es nun Extra-Schulungen oder Anweisungen?

Nein. Unsere Beamtinnen und Beamten sind alle bereits sehr gut geschult. Wir führen regelmäßig sogenanntes Einsatztraining durch. Das heißt, die Beamten und Beamtinnen des Streifendienstes haben jede Woche Trainingseinheiten jeglicher Art zu absolvieren. Da gehören beispielsweise das Schießtraining, das Abwehr- und Zugriffstraining sowie taktische und psychologische Vorgehensweisen beziehungsweise Verhaltensempfehlungen bei Fahrzeugkontrollen dazu. Außerdem gibt es auch sogenannte Label-Trainings zu besonderen Vorgehens- und Verhaltensweisen bei lebensbedrohlichen Einsatzlagen - wie zum Beispiel in Heidelberg. Darüber hinaus gibt es noch weitere Maßnahmen wie beispielsweise Erste-Hilfe-Training und Fahrsicherheitstraining. Am Ende muss trotz all dieser Trainings festgestellt werden, dass die Aufgabe der Polizei nicht ohne Risiko bleibt.

Sie haben ein großes Zuständigkeitsgebiet mit elf großen Kreisstädten und mehr als 100 Gemeinden - mit fast einer Million Einwohner. Wie gefährlich ist die Arbeit für Polizisten hier?

Im Bereich des Polizeipräsidiums Aalen lebt man in einer der sichersten Regionen Baden-Württembergs. Das zeigt die jährliche Kriminalitätsstatistik. Dort wird mit einer sogenannten Häufigkeitszahl, das heißt Straftaten pro 100.000 Einwohner gemessen, und da liegen wir ganz unten. Aber seit Jahren müssen auch wir leider einen Anstieg bei Aggressions- und Gewaltdelikten im öffentlichen Raum und der Gewaltbereitschaft gegen Polizeibeamte feststellen. 2020 hatten wir 324 Fälle von Gewalt gegen Polizeibeamte, was aus meiner Sicht die enorme Respektlosigkeit und Aggressionsbereitschaft gegen unsere Kolleginnen und Kollegen zeigt. Noch deutlicher wird die Dimension, wenn man sieht, dass bei diesen 324 Fälle insgesamt 775 Kolleginnen und Kollegen Opfer dieser Gewalttaten und 175 von ihnen verletzt wurden. Das heißt statistisch gesehen wird jeden zweiten Tag eine Polizeibeamtin oder ein Polizeibeamter bei uns beim Präsidium Aalen im Dienst verletzt.

Ist das während der Corona-Pandemie schlimmer geworden oder hat sie keine Auswirkungen?

Doch. Der Trend für den Abschluss des letzten Jahres, die konkreten Zahlen werden derzeit aufbereitet, zeigt eine weitere Steigerung in diesem Bereich.

Seit Weihnachten sind es immer mehr unangemeldete Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen geworden. Sie finden zum Teil an 30 Orten im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Aalens statt. Das ist sicherlich eine riesige Aufgabe, an 30 Orten gleichzeitig präsent zu sein. Wie groß sind denn tatsächlich die Herausforderungen für die Polizei?

Die Herausforderungen sind sehr groß. Das liegt einerseits an der Vielzahl der Versammlungen, andererseits aber auch im Umgang mit augenscheinlichen Verstößen gegen die Auflagen wie die Masken- und Abstandspflicht. Diese sind mit der Erwartungshaltung verbunden, dass sie auch allumfassend polizeilich sanktioniert werden. Der Verlauf der bisherigen Versammlungen war friedlich, das heißt ohne Eskalation und Ausschreitungen. Dies bestätigt aus meiner Sicht unsere bisherige Einsatztaktik, die vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sowie dem Deeskalationsprinzip geprägt ist und in enger Abstimmung mit den Versammlungsbehörden erfolgt.

Wäre es einfacher mit den unangemeldeten Demonstrationen umzugehen, wenn es von vornherein mehr Verbote oder auch Allgemeinverfügungen gegeben hätte?

Verbote und Allgemeinverfügungen machen es uns nicht automatisch einfacher. Wir hatten diese auch schon in unserem Zuständigkeitsbereich beziehungsweise einzelne bestehen noch. Die Erfahrungen zeigen, dass die Demonstranten aber trotzdem kommen, sich versammeln und loslaufen. Also müssen wir auch bei bestehenden Verbote entsprechende Einsätze planen. Mir ist wichtig, dass wir den Gesprächsfaden nie verlieren dürfen und die Fronten sich nicht weiter verhärten.

Aber auch zum Reden braucht es Personal. Schaffen Sie das denn noch?

Es wird eng. Über das gesamte letzte Jahr hatten wir 100 Versammlungen im Präsidiumsbereich. Und jetzt alleine im Januar waren es rund 200 Versammlungen mit Corona-Bezug. Das ist nicht nur so, dass wir diese sogenannten Spaziergänge begleiten, sondern diese Einsätze müssen vorbereitet und nachbereitet werden. Und im Nachgang müssen auch Anzeige bearbeitet werden. Das Ganze ist mit erheblichem personellen und zeitlichen Aufwand verbunden und muss natürlich neben den originären Aufgaben des täglichen Dienstes gestemmt werden.

Die Omikron-Welle läuft. Die Krankheitsfälle und Quarantäne-Fälle nehmen bestimmt auch bei Ihrer Belegschaft zu. Wie sieht es denn aktuell aus?

Wir hatten seit Anbeginn der Pandemie den Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als oberste Priorität, um die Funktionsfähigkeit dauerhaft zu gewährleisten. Derzeit haben wir rund 50 Kolleginnen und Kollegen in Quarantäne beziehungsweise Freistellung. Das ist noch eine untere Zahl. Im Frühjahr des letzten Jahres waren wir deutlich höher. Das zeigt mir, dass unsere Konzepte und aber auch das Verständnis der Kolleginnen und Kollegen für die Maßnahmen, die persönlichen Kontaktreduzierungen sowie die hohe Impfquote von weit über 90 Prozent wirken.

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