So hat man "Dixie's Land", die inoffizielle Hymne der konföderierten Staaten im Amerikanischen Bürgerkrieg (1861-65), wohl selten gehört. Statt Querflöten: Orgelpfeifen. Blasmusik der etwas anderen Art untermalt den Gang von Buster Keaton alias Johnny Gray zum Rekrutierungsbüro.
Organist Nuding: "Grenzt an Hochleistungssport"
78 Minuten dauert der Stummfilmklassiker "The General". Und 78 Minuten begleitet Benedikt Nuding die Handlung auf der Kirchenorgel. "Mir ist jetzt schon sehr warm, trotz der fünf Grad hier drin", gibt Benedikt Nuding danach offen zu. Es grenze schon an Hochleistungssport. Wobei dem 28-Jährigen die Anstrengung der letzten gut eineinviertel Stunden kaum anzusehen ist. Dafür strahlt er, man spürt: Da fällt einiges an Anspannung von ihm ab.

Stummfilmklassiker von Starregisseur und Schauspieler Buster Keaton
Nuding sitzt am dreimanualigen Spieltisch, vor sich Tasten und Register - auf den ersten Blick alles wie gehabt. Allein der Blick aufs Notenpult zeigt Ungewöhnliches: einen Laptop. Auf dem läuft der Film ab, der Organist sitzt mit dem Rücken zum Publikum. Die Zuschauer folgen der Handlung auf einer Leinwand vor dem Altarraum.
Der Stummfilmklassiker von 1926 "The General" spielt im Amerikanischen Bürgerkrieg. Historisches Vorbild: Die Entführung einer Lokomotive der Südstaatler durch Nordstaatler. Die fiktive Handlung: Der Lokomotivführer Johnny Gray verfolgt die Entführer und holt die Lok mit dem Namen "The General" aus Feindesland zurück. Die Handlung: Über weite Teile des Films eine Abfolge von Verfolgungsjagden voller Dramatik, Komik - und Slapsticks.

Alte Kriegshymnen mit neu komponiertem Thema kombiniert
Die musikalische Begleitung hat Benedikt Nuding beigesteuert. Der Ellwanger Regionalkantor hat dabei Neu-Komponiertes mit Alt-Bekanntem kombiniert: Kriegs- oder Soldatenhymnen aus dem amerikanischen Bürgerkrieg. "Die gibt es teilweise mit vielen anderen Texten. Und ihre Bedeutung hat sich im Laufe der Jahrzehnte immer wieder geändert." Die Nordstaaten-Melodie "The Battle Hymn of the Republic" dürfte mancher als "John Browns Body" kennen. Der "Yankee Doodle" - die Hymne der Nordstaaten - taucht ebenso auf wie "When Johny comes marching home again, hurrah, hurrah" - ein Lied im flotten Marschrhythmus, das als Schilderung der alttestamentlichen Noah-Erzählung unter dem Titel "The Animals went in two by two" Eingang ins moderne geistliche Liedgut gefunden hat.

Eine Eigenkreation von Benedikt Nuding ist dagegen das musikalische Hauptthema, das die Handlung begleitet. Die musikalischen Elemente mixt Nuding zu einer gut eineinviertelstündigen Improvisation. "Ich kenne den Film auswendig und weiß genau, was ich an welchen Stellen musikalisch machen möchte", erklärt der Ellwanger Regionalkantor. Das Ergebnis falle bei jeder Aufführung anders aus. Das war bei vorangegangenen Aufführungen in Geislingen und Stuttgart schon so gewesen, und das war auch in der Ellwanger St.Vitus-Basilika nicht anders.
Brüllendes Gelächter in ehrwürdiger Basilika
Mindestens 60 Mal hat Nuding, der als Abschlussprüfung im Bereich "Orgelimprovisation" im Konzertsaal der Stuttgarter Musikhochschule den experimentellen Dokumentarfilm "Berlin - die Sinfonie der Großstadt" aus dem Jahr 1927 vertont hat, den Film schätzungsweise gesehen. Das Publikum in dieser Form zum ersten Mal. Und so ertönen in der ehrwürdigen Ellwanger Basilika an diesem Abend ungewohnte Geräusche: Vereinzeltes unterdrücktes Kichern, Prusten, irgendwann dann brüllendes Lachen. Die Reaktion der etwa 90 coronagerecht platzierten Zuschauerinnen und Zuschauern schwankt zwischen "grandios" und "genial".

Spenden fließen in Orgelsanierung
Das humorvolle Orgelkino in der Ellwanger Basilika hat einen ernsten Hintergrund: Die Orgel muss dringend saniert werden. Die fast 30 Jahre alte Steuerelektronik der 1964 von der Firma Walcker aus Ludwigsburg gebauten Orgel ist marode und neigt zu Fehlfunktionen. Dann ist die Orgel nicht mehr steuerbar und lässt sich nicht mehr spielen. Im September 2020 war das schon mal der Fall. Außerdem verlaufen im Inneren ungeschützte Kabel, die 400 Volt führen und eine große Brandgefahr darstellen. Daneben müssen Schmutz und Staub der letzten 30 Jahre entfernt werden. Allein der Ersatz der Elektronik kostet rund 70.000 Euro. Die Spenden aus den beiden Aufführungen sind die Basis für die Sanierung.