Die evangelische Landespfarrerin für Gehörlosenseelsorge in Württemberg, Daniela Milz-Ramming, wohnt in Lonsee-Urspring im Alb-Donau-Kreis. Für ihre Gottesdienste in Gebärdensprache ist sie allerdings viel im Land unterwegs. Im Interview erzählt sie von ihrer Arbeit. Dabei zeigt sie im Video auch, wie sie Gebärdensprache einsetzt.
SWR: Wie läuft ein Gottesdienst für Gehörlose ab?
Pfarrerin Daniela Milz-Ramming: Im Prinzip gleich wie jeder andere Gottesdienst. Nur eben mit dem Unterschied, dass die Glocken, die uns auch einladen, zum Gottesdienst nicht gehört werden von den Teilnehmenden. Dass wir in völliger Stille beginnen, dass auch gesungen wird in völliger Stille, mal abgesehen von unwillkürlichen Geräuschen, die die Menschen machen.
Auf die Orgel wird man verzichten, aber wie geht es mit dem Singen?
Es gibt sehr schöne Gebärdenpoesie, in Gebärdensprache. Das können Sie sich im Internet angucken. Das ist sehr schön, wenn der ganze Körper schwingt und singt.
Gehörlose Menschen leben sehr verstreut in Württemberg. Das heißt, Sie reisen umher. Wie kann man sich das vorstellen?
Ich fahre tatsächlich zwischen Bad Mergentheim und Bodensee hin und her. Ich habe aber natürlich in manchen Dekanaten Kolleginnen und Kollegen, die zumindest anteilig Gebärdensprache können. Aber ich habe eine Gemeinde in Tuttlingen, in Balingen. Und zufällig, weil ich hier wohne, auch in Ulm, und eine in Stuttgart. In Zukunft werde ich auch die Gemeinde in Heilbronn übernehmen. Dann wohnen Gehörlose natürlich überall. Das heißt: Taufen, Trauungen, Beerdigungen finden da statt, wo die eben wohnen. Da fahre ich dann hin. Gehörlose fahren auch sehr viel. Also, dass an einem Gottesdienst Menschen erscheinen, die zweieinhalb Stunden entfernt wohnen. Das ist ganz normal. Es wundert mich immer wieder, dass die noch kommen. Aber wir bleiben deshalb immer beisammen im Anschluss. Es gehört zu einem Gottesdienst auch ein zwei- bis dreistündiges Kaffee-Trinken.
Wie ist das, wenn man miteinander spricht und in der ganzen Coronapandemie - seit zwei Jahren - mehr oder weniger eine Maskenpflicht gilt? Die ist ja für Gehörlose besonders problematisch, weil man dann die Lippen nicht lesen kann.
Ganz furchtbar. Die Gebärdensprache besteht im Prinzip aus drei Teilen erstens die Gebärde, zweitens das Bild der Lippen - das Mundbild - und drittens die Mimik. Von der Mimik fehlt die Hälfte, also der wesentliche Teil des Mundbilds fehlt. Gehörlose dürfen zu Kommunikationszwecken die Maske abnehmen. Aber es empfiehlt sich natürlich nicht immer, weil dann die Ansteckungsgefahr steigt. Wir haben sehr viel digital gemacht, haben große Vorteile. Gehörlose haben schon immer Technik benutzt, hatten immer schon ein Fax oder irgendetwas. Ich sage immer, auch der letzte alte Opa hat WhatsApp.
Wie sind Sie zu diesem Job gekommen?
Wie die Jungfrau zum Kind! Ich war so 15, da habe ich erfahren, dass es das gibt - Gebärdensprache. Da gab es den Film „Gottes vergessene Kinder“. Ich konnte den damals gar nicht gucken. Aber ab da war ich fasziniert. Zu meinem achtzehnten Geburtstag hat mir mein damaliger Freund mein erstes Gebärdenlexikon geschenkt. Anscheinend habe ich schon da immer drüber geredet. Ich habe immer mal wieder versucht, einen Kurs zu machen. Das hat nicht geklappt. Mitten in der Examensvorbereitung gab es dann einen Kurs, und ich habe gesagt, jetzt geht's nicht. Mein Mann hat dann aber gesagt: „Du redest schon so lange immer davon. Jetzt gehe einfach hin“.
Aber hatten Sie damals überhaupt schon Kontakt zu Gehörlosen?
Niemals. Mich hatte wirklich die Sprache fasziniert. Ich wollte niemandem helfen. Ich wollte nichts Gutes tun. Ich wollte einfach diese Sprache kennenlernen. Ich habe schon als Kind Gläser über dem Tisch ausgeschüttet, weil ich den ganzen Körper zum Reden brauche. Und die Gebärdensprache dann lernen, das war ein Gefühl wie Heimkommen. Ich konnte die Sprache fühlen.
Es ist schwierig, als hörender Mensch die Gebärdensprache zu lernen?
Es ist ernst zu nehmen. Es ist eine Sprache mit Vokabeln, mit eigener Grammatik, mit eigener Poesie. Es gibt sehr viele Dialekte. Es dauert eine Zeit lang, bis man das kann.
Haben taube oder gehörlose Menschen, wenn sie mit denen in der Seelsorge sprechen, andere Probleme als hörende Menschen?
Gehörlose Menschen sind oft sehr empfindliche Menschen. Sie müssen sich das so vorstellen, dass die ja normalerweise als einzelner gehörloser Mensch in einer hörenden Familie aufwachsen. Bei Tisch - alle lachen; das gehörlose Kind fragt, was ist? Die anderen sagen: Ach, schon vorbei! Gehörlose Menschen haben viel intensivere Ausgrenzungserfahrungen als andere Menschen. Und Gehörlose denken mit den Augen. Das heißt, sie sind sehr direkt. Das heißt aber auch, sie ecken gerne mal an. Insofern macht das in der Seelsorge schon einen Unterschied.
Diese Ausgrenzungserfahrungen sind auch ein großes Thema in der Seelsorge. Wie können Sie da helfen?
Ich denke, die größte Hilfe für meine Leute ist, dass ich es liebe, wie sie kommunizieren, dass sie sich bei mir akzeptiert fühlen können. Und das tue ich wirklich. Und ich bin auch sehr stolz darauf, dass sie mich als Hörende in ihren Reihen akzeptieren.