Brüssel verpasst der Atomkraft Nachhaltigkeits-Label (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Julian Stratenschulte)

Interview mit Prof. Martina Hofmann von der Hochschule Aalen

Aalener Energieexpertin: Atomkraft ist keine nachhaltige Technologie

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INTERVIEW
Torsten Blümke
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Rainer Schlenz

In Gundremmingen und anderswo schalten wir Atomkraftwerke ab – und die EU stuft die Atomkraft als nachhaltig ein. Was die Aalener Energieexpertin Martina Hofmann davon hält, erzählt sie im Interview.

Professorin Martina Hofmann von der Hochschule Aalen ist Expertin für erneuerbare Energien. Sie schreibt Kolumnen zum Klima-Wissen und sie ist seit kurzem im Vorstand des Naturschutzbundes Baden-Württemberg.

Klimaexpertin Prof. Dr. Ing. Martina Hofmann von der Hochschule Aalen (Foto: Martina Hofmann)
Klimaexpertin Prof. Dr. Ing. Martina Hofmann von der Hochschule Aalen: "Wir müssen ganz, ganz dringend daran arbeiten, dass auch der Naturschutz wieder mehr Raum gewinnt".

SWR: Frau Hofmann, es ist doch irritierend, dass wir Atomkraftwerke abschalten, bei hohem Energiebedarf aber Strom aus den Atomkraftwerken unserer Nachbarländer zukaufen müssen. Ist unsere Energiewende eine Mogelpackung?

Prof. Martina Hofmann: Das würde ich so nicht sagen. Unser Energiesystem ist ein großer behäbiger Dampfer und wir sind dabei, diesen Dampfer in eine andere Richtung zu schieben. Die Atomkraft ist eben sehr, sehr teuer. Und in meinen Augen ist es eben keine nachhaltige Technologie, weil einfach das Risikopotenzial sehr, sehr hoch ist.

Sie haben dieses Bild vom Dampfer gezeichnet. Wir sind ja ein Industrieland. Können Wind- und Sonnenkraft denn wirklich Kohle, Atomkraft und Erdgas ersetzen? Und vor allem, was bringt das für den Klimaschutz, wenn andere Länder nicht mitziehen?

Also ersetzen geht. Allerdings, so wie unser Energiesystem gerade funktioniert, ist es nicht möglich, weil wir zu wenige Leitungen haben. Wir müssen also die Hochspannungsleitungen, das Energienetz, das wir haben, deutlich ausbauen. Wir haben natürlich eine ganz große Chance, über die Photovoltaik, die ja extrem dezentral ist, eine Erleichterung zu schaffen. Ich würde da auch appellieren an alle Leute, die noch freie Dachflächen haben. - Wir haben das relativ stark auf Deutschland fokussiert. Wir müssen jetzt wirklich schauen, dass das Ganze ein EU-Projekt wird. Ansonsten kann man das auch niemandem erklären, warum man Atomkraft woanders einkauft. Und wir wissen ja auch, dass die Atomkraftwerke in Frankreich teilweise schon sehr alt und marode sind. Das ist ja nicht so weit weg wie Fukushima oder Tschernobyl damals.

Umweltschützer malen uns ein Horrorszenario durch den von Menschen verursachten Klimawandel. Andere Wissenschaftler meinen, wir müssen uns technologisch darauf einstellen. Wieder andere verweisen darauf, dass die Natur in größeren Zyklen lebt – und die Erde immer wieder Klimawandel erlebt mit Kalt- und Warmzeiten. Wir hatten ja auch schon ein tropisches Meer hier in der Region vor tausenden Jahren. Welche Position beziehen Sie denn?

Ich würde es gerne so ausdrücken: Dem Klima sind wir egal. Das Klima passiert einfach. Dieses Wort Klimaschutz drückt nicht aus, was wir brauchen. Wir brauchen Menschenschutz. Das ist mein Standpunkt dazu. Wir können einfach nur ein schönes, entspanntes Leben führen in einem bestimmten Temperaturbereich. Das geht halt nur bis maximal 45 Grad. Und da brauchen wir auch nicht groß drumherumzureden, das kann jeder spüren, dass es wärmer wird. Das kann man sehen über Messungen. Dieser Luxus, den wir uns geschaffen haben, der ist toll. Ich wollte das auch nicht aufgeben. Aber wenn wir gut leben wollen, dann brauchen wir die Natur. Und daher müssen wir ganz, ganz dringend daran arbeiten, dass auch der Naturschutz wieder mehr Raum gewinnt und nicht die Technik darüber dominiert.

Sie sind seit Kurzem im Vorstand des Naturschutzbundes Baden-Württemberg. Was wollen Sie da bewirken?

Ich möchte eben die Technik und den Naturschutz miteinander versöhnen. Weil ich glaube, dass wir einfach beides brauchen. Die Natur muss einfach viel stärker geschützt werden und die Technik muss auch dazu beitragen.

Spannen wir zum Schluss nochmal den Bogen zurück zum Atomausstieg und zur Energiewende. Blicken Sie mit Zuversicht oder eher mit Sorgen in die Zukunft?

Also ich bin ein sehr optimistischer Mensch. Ich blicke mit sehr viel Zuversicht in die Zukunft. Und ich sehe ja auch, dass gerade im letzten Jahr sich sehr viele Menschen aktiviert haben. Das sehe ich bei Privatleuten, das sehe ich bei Kommunen, bei Firmen. Insofern bin ich guter Dinge, dass wir es irgendwie doch noch schaffen.

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