Kirchenturmglocken aus Abtsgmünd-Hohenstadt (Foto: SWR, Frank Polifke)

Glockenwände haben gefährliche Risse

Abtsgmünder Glocken wandern in die Niederlande

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Frank Polifke

Über Weihnachten schweigen die Glocken der Wallfahrtskirche Mariä Opferung in Abtsgmünd-Hohenstadt. Zwei der fünf Glocken haben Risse, sie werden in den Niederlanden geschweißt.

Die Glocke scheint frei in der Luft schweben, direkt neben dem Kirchturm. Tatsächlich hängt sie an einem Stahlseil. Der gewaltige Mobilkran hat sie aus dem Turmgehäuse gehoben und lässt sie sanft abwärts schweben. Nach vielleicht fünf Minuten macht die über eine halbe Tonne schwere Glocke eine Punktlandung auf einer Holzpalette. Noch zwei Arbeitsschritte: Festschnallen mit Spanngurten. Und Spanngurte an der Palette festmachen.

Kirchenturmglocken aus Abtsgmünd-Hohenstadt (Foto: SWR, Frank Polifke)
Schwierige Aufgabe: Die über eine halbe Tonne schwere Glocke soll ganz genau auf einer Holzpalette landen.

Schon ein oberflächlicher Blick auf die alte Glocke zeigt einen deutlichen Riss in der Wand, Länge: vielleicht 15 Zentimeter, vermutlich schleichend gerissen. Aber eines Tages vor drei Jahren passiert es: Karl Waibel, der langjährige und inzwischen im Ruhestand befindliche Mesner, wohnt direkt gegenüber der Wallfahrtskirche. Als die Glocken läuten, kommt ihm das Geräusch ungewohnt vor. "Nach ein paar Schlägen hat man genau gehört, dass es nicht mehr normal läutet. Der gleichmäßige Schlag war weg. Ich vermute, dass der Klöppel nur noch an einer Seite angeschlagen hat." Doch der Klöppel war weg - heruntergefallen.

Glocken-Tuning mit zerstörerischer Kraft

Schuld ist vermutlich eine Unsitte vergangener Jahrzehnte: In manche Glocken wurden nachträglich zu große und zu schwere Klöppel eingehängt. Dadurch klingt die Glocke zwar lauter, ist aber der Wucht und dem Gewicht oftmals nicht gewachsen. In Abtsgmünd-Hohenstadt hatte die 550 Kilogramm schwere Glocke nicht nur ihren Klöppel verloren, zudem war ihre Wand gesprungen. Ebenso bei einer zweiten kleineren Glocke.

Alte Kirchenturmglocken aus Abtsgmünd-Hohenstadt (Foto: SWR, Frank Polifke)
Eine der Glocken stammt von 1500 - und war in den zwei Weltkriegen als Artilleriegranate vorgesehen.

Wobei die große Glocke - die "Elfeglocke" - besonders erhaltenswert ist: Ums Jahr 1500 in Nürnberg gegossen, hätte sie beinahe ein unwürdiges Ende als Artilleriegranate gefunden: Die Nationalsozialisten ließen zwischen 70.000 und 100.000 Kirchenglocken einschmelzen, es gibt unterschiedliche Zahlen. Der gewählte Vorsitzende des Hohenstadter Kirchengemeinderats und hauptberufliche Landeshistoriker Dr. Martin Häußermann hat recherchiert: Die "Elfeglocke" war sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg für die Rüstung vorgesehen. "Im Ersten Weltkrieg wurde sie verschont. Im Zweiten - 1942 - kam sie runter, wurde nach Hamburg transportiert, und kam in ein Depot, "Glocken-Friedhof" genannt. Dort hat sie den Krieg überstanden, 1946 wurde sie wiedergefunden und kam nach Hohenstadt zurück.

Im Februar 2022 sollen die Hohenstadter Glocken wieder läuten

Zum Glück ist die Glocke "gemarkt": "Hohenstadt, Kreis Aalen, Württemberg" kann man noch heute unten, am sogenannten Schlagring, entziffern. Drei der insgesamt fünf Glocken der Wallfahrtskirche "Mariä Opferung" stammen aus den 1950er Jahren. Ein erstes Highlight erlebte das Geläut im Sommer 1954: Es erklang im Rahmen der damaligen Sendung der SWR-Vorgängeranstalt SDR "Glocken läuten den Sonntag ein". Das tun sie bis heute und auch ab Februar 2022 wieder, wenn sie, frisch geschweißt, aus den Niederlanden zurückkehren. Sie sind hoch-willkommen, betont der Pfarrer der Seelsorgeeinheit "Oberes Kochertal", Jürgen Kreutzer. Glocken haben eine wichtige Aufgabe: Sie machen uns die Dimension der Zeit bewusst. "Zeit ist kurz im Leben. Wir müssen sie nützen, es ist von Gott geschenkte Zeit. Die Glocken weisen uns darauf immer wieder hin und laden uns ein, uns diese Dimension bewusst zu machen."

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