
SWR: Herr Eberlein, wie geht es Khaled el Masri heute? Ist er ein gebrochener Mann?
Stefan Eberlein: Ich würde nicht sagen, dass er heute gebrochen ist. Es geht ihm relativ gut. Er hat seit vier Monaten etwa einen festen Arbeitsplatz, kann also acht Stunden am Tag arbeiten und kriegt dafür Geld. Das ist für ihn, nachdem was er erlebt hat, eine unglaubliche Errungenschaft. Natürlich hängt das Trauma der Entführung und das Trauma, dass die Bundesregierung ihm nicht geholfen hat, das hängt in der Familie drin - in den Klamotten von ihnen. Das spürt man die ganze Zeit. Das heißt dieses Trauma ist längst nicht überwunden.
Wie kann das in den Klamotten hängen?
Damit meine ich, dass man spürt, wenn man mit Khaled el Masri spricht, dass er irgendwie etwas tief im Inneren mit sich rumträgt und das ist natürlich dieses Trauma. Auch in der Familie merkt man das, nämlich nicht nur er ist der Leidtragende der Entführung, sondern auch ganz stark seine Frau und seine Kinder. Seine Frau ist deshalb schwer krank geworden, die hat eine chronische Magenentzündung. Das heißt, sie kann nur ein paar Stunden am Tag auf sein und kann nicht mehr arbeiten. Das sind die Langzeitfolgen und das wird auch so bleiben. Bei den Kindern ist es genauso. Die Kinder haben durch den Umzug in den Libanon wahnsinnig viel verpasst. Sie waren acht Jahre im Libanon und können nicht richtig Deutsch. Diese Familie ist fast zerstört worden und versucht jetzt irgendwie zu überleben.

Die Familie lebt jetzt in Österreich. In Graz haben Sie Khaled el Masri interviewt. Deutschland kommt gar nicht mehr für el Masri in Frage, er ist total enttäuscht von der Haltung seines Landes. Er ist ja deutscher Staatsbürger.
Ja, das ist absolut richtig. Die Bundesregierung hat nie was für ihn getan, sie hat sich weggeduckt. Dadurch wurde die Bundesregierung für ihn erst recht verdächtig, dadurch wurde für ihn klar, dass sie etwas mit der Entführung zu tun hat. Die Bundesregierung hat das nie aufgelöst, hat sich nie ihm zugewendet und dadurch ist er letztendlich auch ausgetickt und hat diese ganzen Straftaten begangen. Es wäre ein leichtes gewesen von der Bundesregierung auf ihn zuzugehen, aber das hat sie nicht gemacht. Die Freundschaft zu den USA war wichtiger.
Die Entführung bei einer Busreise an der mazedonischen Grenze ist eine kriminelle Tat der USA, das sagen Menschenrechtsorganisationen auch in Ihrem Film. Diese haben schon vor Jahren Beweise vorgelegt, aber es passiert nichts, keine Verfolgung der Agenten in den USA. Warum passiert nichts und wird wohl auch nicht passieren?
Naja, weil dadurch, dass die CIA involviert ist, die nationalen Interessen der Amerikaner berührt sind und die Amerikaner schützen ihre Agenten. Deutschland hat nie diese Haftbefehle weitergeleitet, weil Deutschland dadurch eben schwerste Nachteile befürchtete, die sie von den USA zu erwarten hätten: Also wahrscheinlich auch wirtschaftliche Nachteile, irgendwelche Sanktionen oder Probleme aller Art und aus dem Grund haben sie es wohl nicht gemacht, nehme ich an.
Konnten Sie da kein Licht in diese Geschichte reinbringen?
Ich habe versucht, mit den Politikern zu sprechen, die damals involviert waren mit den führenden Politikern Schily, Steinmeier, der grüne Joschka Fischer. Alle haben die Gespräche mit mir abgelehnt. Also ich bin auf der Ebene der Politik nicht weitergekommen.
Es bleibt eine erschütternde Geschichte, wie sozusagen die politischen Machtinteressen der USA, aber auch Deutschlands ein Menschenleben, eine Familie zerstören. Wie zeigen Sie das in Ihrem anderthalbstündigen Dokumentarfilm?
Also mein Ansatz war von Anfang an, weswegen ich auch diesen Film dann machen wollte, dass ich die ganze Geschichte zeige. Man kennt die Geschichte El-Masris also, wenn man etwas älter ist, aber immer nur in Puzzleteilen, immer nur in Bruchstücken. Meine Idee war, die ganze Geschichte zu erzählen. Das heißt von Anfang der Entführung bis zu seinem Leben jetzt. Mir war es vor allen Dingen wichtig, dass endlich mal seine Geschichte erzählt und nicht nur über ihn erzählt wird, sondern wie er das Ganze erlebt hat.
Kommt sein Anwalt auch zu Wort?
Sein Anwalt spielt eine ganz wichtige Rolle in dem Film. Er ist sozusagen der Erzähler der Geschichte. Natürlich war Manfred Gnjidic ganz stark involviert, auch emotional involviert und hat diesen Wahnsinn hautnah mitgekriegt. Und deswegen ist er eine ganz wichtige Stimme in dem Film.
Anfangs, also vor 17 Jahren, hat man Khaled el Masri seine krude Geschichte fast nicht glauben wollen. War das ein Knackpunkt in seinem Leben, dass er seine Unschuld sozusagen beweisen musste und kaum Gehör gefunden hat?
Es gab zwei Knackpunkte. Der erste Knackpunkt war natürlich die Entführung an sich. Das darf man nicht unterschätzen. Khaled el Masri hat was erlebt, was wir uns nicht im entferntesten vorstellen können. Er ist fünf Monate lang in ein Geheimgefängnis entführt worden. Seine Familie wusste nicht, wo er war. Er wusste nicht, ob er da lebend wieder rauskommt. Ich glaube, das ist die schlimmste Folter, die man überhaupt erleiden kann. Dadurch war er traumatisiert. Und die zweite Traumatisierung passierte dann, als die Bundesregierung ihm eben nicht half, sondern versuchte, diesen Fall sogar unter der Decke zu halten. Ich erinnere daran, dass der Otto Schily (Anmerkung der Redaktion: ehemaliger Bundesinnenminister) anderthalb Jahre lang nicht erzählt hat, dass er von dem Fall wusste. Dadurch wusste Khaled el Masri, dass die Bundesregierung in die Entführung involviert ist. Er fühlte sich die ganze Zeit verfolgt. Er hat dadurch einen Verfolgungswahn entwickelt und das führte zur Eskalation und die Gewalttaten, die er begangen hat.
Und zwar völlig unschuldig, offenbar eine Namensverwechslung.
Er war völlig unschuldig. Jeder wusste das auch. Das war sehr früh klar. Der größte Geheimdienst der Welt hat einen Namen verwechselt. Diese Erklärung ist so blöd, dass man daran nicht geglaubt hat, sondern es kam eben die Vermutung auf, wenn die CIA jemanden entführt, dann muss da was dran sein. Dieser Glaube hat sich hartnäckig über Jahrzehnte gehalten. Erst 2016 kam ein interner, geheimer Bericht der CIA ans Licht - also dieser Bericht ist 2007 geschrieben und kam 2016 ans Licht - und darin steht ganz eindeutig "die Entführung war nicht gerechtfertigt". Wenn man diesen Bericht liest, merkt man, dass diese ganze Entführung von vorne bis hinten auf allen Ebenen das totale Desaster war. Als ich diesen Bericht 2016 gelesen habe, war klar, dass ich diesen Film machen muss.