SWR: Herr Denkinger, ist dieses Jahr so verlaufen, wie Sie sich das vorgestellt haben?
Prof. Michael Denkinger: Ich glaube, keiner hat sich überhaupt vorstellen können, wie das Jahr verläuft. Ich glaube, die allermeisten unter uns haben die Hoffnung gehegt, dass diese schwierigen Phasen schneller vorbeigehen. Dem ist jetzt leider noch nicht so. Dennoch glaube ich, haben wir einiges erreicht.
Was haben Sie denn erreicht?
Wir haben viele Menschen mit der Impfung wirklich schützen können. Vor allem ältere Menschen, die hier im Pflegeheim und in der Klinik sind, sind durch die Booster-Impfung vor einer schweren Infektion oder einem schweren Verlauf geschützt worden. Was wir eben nicht erreicht haben, ist diese Pandemie zu besiegen und deswegen weiterhin in den Kliniken und Pflegeheimen sehr, sehr vorsichtig sind.
Von Mitarbeitenden ist oft von Impfquoten zu hören, von Bewohnerinnen und Bewohner nicht. Wie sieht es bei Ihnen aus?
Ja, ich kann auf jeden Fall sagen, dass die Impfquoten sehr hoch sind. Auf genaue Zahlen kann ich mich nicht festlegen, aber wir sind bei über 90 Prozent bei den Bewohnerinnen und Bewohnern.

Wir tun in unserem Alltag Dinge, die hätten wir vor fünf Jahren nicht für möglich gehalten. Ist das in einer Klinik ähnlich?
Das würde ich durchaus sagen, gerade in der Klinik für die Pflege, die sehr nah am Patienten ist, oder die Therapeuten. Diese müssen wirklich dauerhaft die Masken tragen. Acht Stunden FFP2-Maske zu tragen, ist sicherlich immer noch eine große Herausforderung. Wenn es dann auch schnell gehen muss, es Notfälle in den Kliniken gibt, dann zu wechseln, hygienisch zu arbeiten. Die Ausfälle, die wir auch bei Mitarbeitenden haben, zu kompensieren, das sind alles Aufgaben, wo wir noch keinen Alltag erreicht haben, aber auch gelernt haben, damit zu leben. Und so versuchen wir da irgendwie einen schönen Mittelweg zu fahren. Ich hoffe, wir finden den weiterhin.
Können Sie einschätzen, wie es Ihren Patientinnen und Patienten in dieser Pandemie geht?
Ich glaube, das größte Problem ist - gerade in Krankenhäusern - die Einsamkeit. Wir versuchen das zu verhindern, indem wir Besuche zulassen. Ansonsten ist diese Abschottung immer schon ein sehr, sehr großes Problem. Und nichtsdestotrotz brauchen wir das. Die größte Katastrophe ist immer ein Fall, der sich unkontrolliert in irgendeiner Weise in so einer Einrichtung wie unserer verbreitet. Das sind alles durchaus schwer erkrankte Menschen und das Virus greift sehr schnell um sich. Der Mittelweg muss immer wieder neu austariert und neu gesucht werden. Und er wird jetzt mit Omikron sicherlich noch mal ein bisschen anders austariert werden müssen.
Was müsste im zweiten Jahr nach dieser ersten Corona-Impfung aus Ihrer Sicht anders laufen?
Ich glaube, wir werden nach einem Jahr wieder eine neue Situation haben, die aber besser kontrollierbar sein wird. Wenn wir uns jetzt in den nächsten ein, zwei, ich hoffe nicht drei Jahren in eine endemische Situation hinein schaukeln - mit Phasen, wo es schwieriger wird, aber dann auch mit wieder deutlichen Besserungen -, dann können wir in einem Jahr deutlich optimistischer sein. Ich glaube, dass wir diese Situation besser in Griff kriegen. Der Hauptschwerpunkt muss jetzt darauf liegen, die schweren Verläufe zu verhindern, damit wir einfach damit leben lernen können. Und ich glaube, dass wir immer besser werden.