Das Thema "sexueller Missbrauch" hat die Kirche viele Mitglieder gekostet. Muss das aufgearbeitet werden?
Ernst-Wilhelm Gohl: Ja, das Thema berührt den Kern der Kirche - das Vertrauen. Die Menschen haben Vertrauen, dass die Kirche ehrlich ist. In der Kirche sind Menschen und Menschen machen Fehler. Sie nehmen schwere Schuld auf sich und das darf man nicht beschönigen. Es kann nicht sein, dass die Kirche das deckt. Wenn so etwas passiert, muss man als Kirche maximal transparent damit umgehen. Das ist nicht immer einfach. Es gibt auch Vorwürfe, die sich später als falsch herausstellen. Deshalb ist ein geordnetes Verfahren wichtig.
Zu Beginn der Amtszeit von Landesbischof July im Jahr 2005 hatte die Evangelische Landeskirche 2,4 Millionen Mitglieder. Jetzt sind es eine halbe Million weniger. Wie schlimm ist diese Entwicklung?
Ernst-Wilhelm Gohl: Ich finde es wichtig, dass man die Zahlen ernst nimmt und sie nicht schön redet. Die Frage ist, warum treten Menschen aus der Kirche aus? Zum einen geht es ums Geld, aber nicht nur. Viele können mit der Kirche nichts mehr anfangen.
Wie viel Macht hat der Landesbischof, wenn es darum geht, etwas zu verändern?
Ernst-Wilhelm Gohl: In der Evangelischen Landeskirche ist der Bischof ein Verfassungsorgan, das nichts im Alleingang machen kann. Man braucht das Miteinander. So funktioniert Kirche. Man muss miteinander Lösungen finden.
Sie werden also ein experimentierfreudiger Bischof werden?
Ernst-Wilhelm Gohl: Ja, ich will ermutigen, Dinge auszuprobieren. Der Bischof kann nicht die Kirche retten, das muss er auch nicht. Ich habe das in Ulm als Dekan erlebt. Die Gemeinden sind unheimlich kreativ und haben tolle Ideen. Das gilt es zu fördern.
Knappes Wahlergebnis für Ulmer Dekan Neuer Evangelischer Landesbischof Gohl will Veränderungen anstoßen
Nach der Wahl zum neuen Bischof der Evangelischen Landeskirche Württemberg will der Ulmer Dekan Gohl Veränderungen anstoßen. Er sieht große Herausforderungen für die Evangelische Kirche.
Die Wahl war verworren. Drei Kandidaten, nach dem zweitem Wahlgang haben Sie ihre Bewerbung zurückgezogen. Am Ende sind Sie der neue Landesbischof. War das Taktik?
Ernst-Wilhelm Gohl: Von mir war das keine Taktik. Es war für uns klar, dass die großen Gesprächskreise, die auch über eine Mehrheit verfügen, den Bischof oder die Bischöfin stellen. Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass sich die großen Gesprächskreise immer wieder gegenseitig blockiert haben. Am Ende hat keiner der großen Gesprächskreise eine Mehrheit bekommen.
Ist es ein Makel, als Kompromisskandidat zu gelten und sich erst in der fünften Runde durchzusetzen?
Ernst-Wilhelm Gohl: Ich finde einen Kompromiss keinen Makel. In unseren Zeiten finde ich einen Kompromiss ein starkes Zeichen. Ich hätte es schlimmer gefunden, wenn wir gescheitert wären, weil wir uns nicht einig werden. In Zeiten vom Ukraine-Krieg sind die wahren Probleme andere. Ich kann gut damit leben, dass ich ein Kompromiss-Kandidat bin.