Auf einem Hof im kleinen Nerenstetten (Alb-Donau-Kreis) lebt Ina Kraus mit ihrer Familie einen außergewöhnlichen Traum - mit 130 Burenziegen und jeder Menge anderer Tiere. Und das alles neben dem ganz normalen Berufsalltag. Alles fing an mit einem Weihnachtsgeschenk ihres Mannes Benjamin: Er schenkte seiner Frau eine Ziege. Daraus wurden schnell viele weitere. Wie die Familie ihren Alltag auf dem Hof meistert - ein Weidebesuch.
Ab zu den Burenziegen: Der Wecker klingelt morgens um vier Uhr
Mit Schwung parkt Ina Kraus ihr Quad auf dem Schotter vor dem Haus. Man sieht ihr nicht an, dass sie um vier Uhr aus den Federn gestiegen ist, so wie jeden Tag. Das motorradähnliche Gefährt auf vier Rädern sieht hingegen mitgenommener aus: mit Staub und Dreck bedeckt und mit abgewetztem Sitz.
"Das ist das größte Modell, das es gibt", sagt die 38-Jährige über ihr Quad. "Und es macht Spaß, es zu fahren." Täglich fährt sie hinaus auf die Koppeln, zu den Ziegen. An wechselnde und teils schwer zugängliche Orte.
Gerade hat Kraus nach einer Ziegenherde gesehen, jetzt füllt sie einen Wasserkanister auf, um ihn zu den Ziegenmamas mit ihren Lämmern zu bringen. "Die haben die letzten Tage viel getrunken, hab schon überlegt, ob ich den Wassertank hinstellen muss", sagt sie.

Ihr Mann Benjamin wartet schon vor der Haustür: barfuß und gut gelaunt, in Jeans und T-Shirt. Er hat einen Vollzeitjob im Kundensupport einer großen Firma für Schwerlastfahrzeuge. Der 42-Jährige hat ein Herz für Ziegen, ist sogar Beirat im Ziegenzuchtverband Baden-Württemberg. Und will auch andere vom Ziegenglück überzeugen: "Im Juli gibt es ein Basisseminar in Nerenstetten zur Ziegenhaltung", erzählt er: "Es heißt Bock auf Ziege." Dann muss er los zu Arbeit und seine Frau Ina auch.
Zeit für einen Besuch bei den Tieren, die gerade Siesta unter den Bäumen halten. Manche stehen auf und kommen neugierig näher. Zwischen Kraulen und Lämmer-Bestaunen erfährt man mehr über den Alltag.

Job und Ziegen unter einen Hut bringen: Familie Kraus hält zusammen
Ina ist Landwirtin im Nebenerwerb, doch sie ist die Hauptperson, wenn es um den Hof geht. Wenn sie vor dem ersten Hahnenschrei aufsteht, füttert sie die Tiere, mistet den Pferdestall. An drei Tagen in der Woche arbeitet sie in der Qualitätssicherung einer Mühle bei Ulm. Danach geht's wieder heim zum Füttern, nach den Ziegen sehen. Und am Abend dann: die lästige Bürokratie. Auf die könne sie auch verzichten.
Die Familie hilft tatkräftig mit. Inas Vater fährt auf's Feld, ihre Mutter kocht und backt. Mann Benjamin kümmert sich um die Ziegen und das Umweiden auf andere Koppeln. Und der elfjährige Sohn und die achtjährige Tochter haben zwar noch keine festen Aufgaben, aber die Liebe zu den Tieren geerbt.

Eine Ziege als Weihnachtsgeschenk war Startschuss für Zucht
Ina Kraus hat den Hof von ihren Eltern übernommen, die damals noch Milchvieh hatten. Dass sie als die älteste von drei Schwestern mal den Hof übernimmt, sei ihr schon als Kind klar gewesen. "Ich wollte das schon immer", erzählt sie. Nur mit den Kühen konnte sie nichts anfangen. Sie wollte schon immer Ziegen und Schafe, von denen wiederum ihr Vater nicht viel hielt. Im Weg stand er aber nicht.
Als Ina Kraus den Hof übernahm, wichen die Kühe und dann hatte ihr Mann Benjamin noch die zündende Überraschung: Er schenkte seiner Frau zu Weihnachten eine Ziege. Sie musste sie nur noch aussuchen. Sie stieß auf die Burenziege, die sie überzeugte: sanft und robust. Aus einer wurden mehr, heute hat Familie Kraus 15 Böcke, rund 120 Ziegen und Lämmer.

Jedes der rund 130 Tiere hat einen Namen - und natürlich auch eine Geschichte. Da holt sich Ziege Pia eine Streicheleineit, die mal eine schlimme Verletzung hatte. Heute ist nur noch ein großer Hubbel am Hals zu sehen. Ziege Gabi läuft hinterher. Früher sei sie schüchtern gewesen. Heute lässt sie gern mal mit anderen Ziegen die Hörner aneinander krachen, um zu sehen, was noch geht.
Nutztier Ziege: Burenziegen werden zur Landschaftspflege gebraucht
Burenziegen stammen ursprünglich aus Afrika und wurden dort zur Fleischerzeugung gezüchtet. Importiert wurden sie früher unter anderem als Lebendfutter für Zoolöwen. Üblich sind die Ziegen in weiß und rotbraun - in der Fachsprache "Kalahari Red".
Um das Ziegenfleisch geht es Ina Kraus nicht, sie selbst ist sogar Vegetarierin. Zunächst kamen die Ziegen zur Weidepflege auf die Pferdekoppel. Dann hat Ehepaar Kraus gemerkt, dass es eine Nachfrage für reine Ziegenherden, die Landschaften vor Verbuschung schützen, gibt. So soll Lebensraum für Bodenbrüter und Insekten erhalten bleiben.

Anders als Schafe fressen Ziegen ausgesprochen gerne Laub. Und da Gemeinden oder auch Autobahnmeistereien ökologische Ausgleichsflächen pflegen müssen, sind Ziegen gefragt.
Die Krauses lassen die Ziegen eine Weile auf der Fläche weiden, dann ziehen sie die Tiere zur nächsten Landschaftspflege um "Das ist manchmal gar nicht so einfach, wenn das Gebiet so zugewachsen ist, dass man erst Mal eine Schneise für den Zaun frei machen muss," berichtet Ina Krause.
Zusätzlich züchtet sie Burenziegen und verkauft sie auch. Dabei setzt sie auf eine Neuheit: schwarze Burenziegen. Ins Herdbuch, darin wird die Zucht dokumentiert, eintragen lassen kann sie sie noch nicht. Die Farbe ist noch nicht anerkannt. Einige Ziegen hätten bereits die gewünschte Farbe, meint die 38-Jährige. Jetzt müsse noch der Blutanteil stimmen. Die Farbe sei jedenfalls eine Marktlücke, ist sie überzeugt. Und bei noch einer anderen Sache setzt sie auf eine Neuheit: beim Schutz ihrer Ziegen.

Herdenschutzhunde als Bodyguard oder: Der Hund im Ziegenpelz
Familie Kraus hat sechs Herdenschutzhunde. Diese leben mit der Ziegenherde auf der Weide und beschützen sie. Anders als Hütehunde, die Schäfer bei der Arbeit unterstützen, sind die Herdenschutzhunde als Bodyguards rund um die Uhr mit den Ziegen auf der Weide. Sie gehören praktisch zur Herde und verteidigen sie nach außen. Anlass dafür waren zwei Attacken von Hunden.

Ina Kraus denkt bei dem Herdenschutzhund aber nicht nur an andere Hunde, die ihren Ziegen schaden könnten, sondern auch an Wildschweine, die durch Zäune rennen. Außerdem halten die Hunde Diebe, die Tiere oder die Batterien am Zaun stehlen ab. Und nicht zuletzt Wölfe, die wohl früher oder später zurückkehren, meint die Ziegenzüchterin.
Sie schüttelt den Kopf über Weidetierhalter, die darauf mit Schulterzucken reagieren. Man müsse Wölfe abschrecken: "Sie dürfen gar nicht erst lernen, dass Tiere auf einer Weide leichte Beute sind, sonst wird es schwer." Mit den Schutzhunden auf der Weide sei für Wölfe das Territorium vergeben und damit Tabu. Eine Beißerei mit einem Hund würden sie nicht riskieren.
Sie wünscht sich mehr Akzeptanz für die Herdenschutzhunde. Diese würden bellen, wenn Fremde zum Zaun kämen. Das würde vielleicht Spaziergänger oder Anwohner stören. Doch für die Weidetiere seien sie ein wertvoller Schutz.
Dann geht es zurück zum Hof: Die achtjährige Tochter kommt gerade heim und schaut neugierig, was ihre Mama macht. Die nimmt sich Zeit. Aber klar ist auch: Es muss noch der Pferdestall gemistet werden. Und dann wird gefüttert - und die anderen Koppeln, die müssen auch noch kontrolliert werden. Langweilig wird es bei den Krauses in Nerenstetten nicht.