Tag der digitalen Gesundheit

Forschung an der Universität Ulm: Wann macht Handynutzung krank?

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Maja Nötzel
SWR-Aktuell Redakteurin Maja Nötzel (Foto: SWR)

Handy und Internet gehören schon lange zum Alltag - so sehr, dass Forscher an der Universität Ulm das Phänomen der Onlinesucht untersuchen. Viel Zeit vorm Bildschirm bedeutet aber nicht gleich Sucht.

Wann nutzen wir unser Handy zu häufig? Und vor allem: Was schauen wir uns dort an? Christian Montag forscht an der Universität Ulm zum Thema Online-Sucht. Er hat eine App mitentwickelt, die "smart@net-app", mit deren Hilfe die Nutzer ihr Handyverhalten analysieren lassen können.

SWR Aktuell: Wann ist der Umgang mit dem Handy "krankhaft"? Wann muss ich bei mir oder bei meinen Kindern aufpassen?

Christian Montag: Das Handy ist per se nicht unbedingt der Übeltäter. Wir sagen ja auch nicht, dass ein Alkoholiker "flaschenabhängig" ist. Wir müssen auf die Inhalte achten, die einen überbordenden Konsum befeuern. Das sind vor allen Dingen die sozialen Netzwerke, die mit dem Datengeschäftsmodell immer an uns zerren und sagen 'Hey du, komm vorbei, ich habe hier etwas super Interessantes für dich, und wehe, du weißt das nicht, dann bist du außen vor'.

Das betrifft auch andere App-Gruppierungen, wie zum Beispiel Freemium-Games (In Grundfunktionen kostenlose Spiele, Anm. der Red.), also die Videospiele, die es auch auf den Smartphones gibt. Es ist wesentlich wichtiger, darüber nachzudenken, was Menschen auf dem Handy exzessiv machen, und nicht immer nur das Smartphone selbst in den Fokus zu nehmen.

Wann kann ich von einer Sucht oder süchtigem Verhalten sprechen, wenn es ums Internet geht?

Christian Montag: Wir orientieren uns momentan vor allen Dingen an der Diagnostik, die die Weltgesundheitsbehörde für die Computerspielabhängigkeit vorgeschlagen hat. Die ist nämlich seit 2019 anerkannt. Da wäre so etwas wie ein Kontrollverlust, ich will eigentlich weniger spielen, mir gelingt das aber nicht mehr. Dann ist das Computerspielen das absolute Zentrum in meinem Leben. Alles, was mir sonst einmal wichtig war, ist außen vor. Und dann haben wir vor allen Dingen noch eine gewisse Unbelehrbarkeit. Stellen wir uns jemanden vor, der bis spät in die Nacht zockt und morgens die Klausur verpasst. Was lernt er oder sie daraus? Gar nichts.

Und damit wir nicht Alltagshandlungen pathologisieren und vielen Menschen ein Problem andichten, das sie gar nicht haben, ist es wichtig, dass bedeutsame Beeinträchtigungen beobachtet werden. Man hat so langsam den Eindruck, dass für eine solche Diagnose schon einiges beobachtet werden muss. Interessant ist auch, dass die Weltgesundheitsbehörde keine konkrete Zeit am Bildschirm vorschlägt.

Die Veranstaltung am Freitag, die fragt ja, gibt es ein Zuviel an Internet und Handy? Was ist denn ihre Antwort?

Christian Montag: Es gibt natürlich ein Zuviel. Es gibt Menschen, die so belastet sind, dass sie sogar behandelt werden müssen, weil es einfach tiefgreifend in den Alltag eingreift. Wir wollen aber nicht generell den Teufel an die Wand malen und sagen, das betrifft jeden. Nach aktuellen Schätzungen sind das zwei bis fünf Prozent der deutschen Bevölkerung, die unter einer Onlinesucht leiden.

Warum die reine Bildschirmzeit nicht ganz hilfreich ist, möchte ich kurz erläutern. Manche Leute verdienen zunehmend ihr Geld in digitalen Welten. Die müssten viel online sein. Nicht jeder, der viel online ist, hat gleich ein Problem. Auf der anderen Seite sind die Leute, die besonders belastet sind, üblicherweise sehr viele online. Die reine Online-Zeit ist nicht sehr trennscharf, um zwischen Problemverhalten und Nicht-Problemverhalten zu trennen.

Sie haben eine App entwickelt, die das Verhalten am Handy analysiert. Aber moderne Smartphones sammeln doch schon Daten über mein Verhalten. Was leistet Ihre App darüber hinaus?

Christian Montag: Die Diagnostik lässt sich nur unzureichend über diese digitalen Fußabdrücke erfassen. Da steht dann beispielsweise drauf, dass Sie vier Stunden am Tag am Handy sind, und ich auch. Aber der eine von uns hat Leidensdruck, der andere nicht. Wir müssen erfragen, wie geht es den Menschen damit. Versuchst du, das zu reduzieren, und es gelingt dir nicht? Erlebst du häufig, dass etwas Negatives aufgrund deiner Nutzung entsteht, aber du änderst dein Verhalten nicht? Diese Dinge sind wichtig, und die erfassen wir mit der App. Wir bieten einen Service an, so dass man sich im Vergleich zu anderen verorten kann. Da ist es ganz hilfreich, zu schauen, wo stehe ich mit meinem Verhalten im Vergleich zu anderen. Das Ganze ist kostenlos und anonym.

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