Der vierjährige Hannes liegt in einem selbstgebauten Pflegebett aus Holz, mitten im Wohnzimmer seiner Familie in Sontheim im Kreis Heidenheim. Er ist ein kleiner Kämpfer und auch ein Quatschkopf, sagen seine Eltern. Hannes wird über eine Kanüle im Hals beatmet und er wird auch künstlich ernährt. Der kleine Junge hat Spinale Muskelatrophie (SMA) - eine unheilbare Erbkrankheit. Bei SMA sterben Nervenzellen im Rückenmark ab. Das beeinträchtigt alle Muskeln im Körper.
Als der Kinderarzt Daniel Steinbach und Magdalena Mittner von PalliKJUR an sein Bett treten, strahlt er. Das Palliativ-Team aus Ulm hat es ermöglicht, dass Hannes zuhause sein kann. Mitten im Familientrubel mit Mama, Papa und seinen beiden knapp zweijährigen Zwillingsschwestern.

Team will kranken Kindern ein gute Lebenszeit ermöglichen
Die Beiden gehören zum PalliKJUR-Team, einer Gruppe aus Ärzten und Pflegekräften, die Kindern mit unheilbaren Krankheiten mehr Lebenszeit zuhause ermöglichen. Sie wollen kleinen Patienten Lebenszeit und Lebensqualität zuhause schenken, sagt Daniel Steinbach, Leiter von PalliKJUR: "Die Zeit, die sie haben, soll eine gute Zeit sein. Und gut ist für Kinder, wenn sie zuhause sind und ihre Eltern, ihre Geschwister um sich herum haben. Wir betreuen die Kinder nicht nur in den letzten Lebenstagen, wir betreuen auch viele chronisch kranke Kinder. Die müssten, wenn es uns nicht gäbe, immer wieder für alle möglichen Krisen und Probleme in die Klinik."
"Die Zeit, die sie haben, soll eine gute Zeit sein. Und gut ist für Kinder, wenn sie zuhause sind."
Unheilbar kranker Hannes überlebte bei einem Herzstillstand 70 Minuten Reanimation
Eine solche Krise hat Familie Benz schon erlebt. Hannes hatte im Winter einen Virusinfekt. Der ging aufs Herz - Herzstillstand. Hannes musste 70 Minuten lang wiederbelebt werden. Er hat überlebt, ohne Schäden am Gehirn. Dank PalliKJUR musste Hannes danach nicht in einer speziellen Pflegeeinrichtung bleiben, sondern konnte nach Hause.
Das Team organisierte alles, kam zu Untersuchungen, stellte Rezepte aus. Und war - wie grundsätzlich für alle Patienten - 24 Stunden in Bereitschaft. Eine große Hilfe für die Familie, sagt Hannes Vater Roland Benz: "Das war unser Anker, dass wir jede Zeit hätten anrufen können. Da sind wir von Herzen dankbar."

PalliKJUR steht für "Palliativteam für Kinder und Jugendliche Ulm/Ravensburg" und besteht aus Ärztinnen und Ärzten, Pflegekräften sowie der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Ulm und der Oberschwabenklinik Ravensburg. Gemeinsam organisieren sie die ambulante Palliativversorgung für Kinder und Jugendliche in der Region zwischen Schwäbisch Hall und dem Bodensee und zwischen Sigmaringen und Ulm. Ihre Arbeit wird zum großen Teil von Spenden getragen.
Der Kinderarzt hat Hannes Lunge abgehört, den Bauch untersucht und die künstliche Ernährung geprüft. Hannes geht es gerade gut - Daniel Steinbach freut sich. Das Kind gibt mit einzelnen Worten und seiner Mimik zu verstehen, dass es nun nach draußen will. Seine Mutter und die Kinderkrankenpflegerin Magdalena Mittner ziehen ihm sein Korsett und Beinorthesen an, die ihm Halt geben. Sie heben ihn in seinen Rollstuhl. Der Kleine pest los, Richtung Garten zu seinen Schwestern. Draußen angekommen greift er zu einem Spielzeugrasenmäher. Er schiebt den Rasenmäher, sein Vater schiebt ihn.

Hannes ist einer von rund 100 Patienten, die das PalliKJUR-Team aktuell betreut. 30 Kinder brauchen gerade regelmäßige Besuche.
Kinderkrankenpflegerin Magdalena Mittner und Lisa Benz haben sich inzwischen an den Gartentisch gesetzt und gehen die Liste mit den verordneten Medikamenten für Hannes durch. Kinderarzt Daniel Steinbach unterschreibt einige Verordnungen. "Es ist hilfreich, dass alles so unkompliziert geht", sagt die dreifache Mutter.
Wie die Ärzte und Pflegekräfte mit dem Tod von Patienten umgehen
Die Pflegekräfte und Ärzte von PalliKJUR müssen sich immer wieder von Kindern verabschieden. Es hilft, wenn man den Tod von Patienten und Patientinnen im Team bespricht, und wenn man einen Ausgleich im Privatleben hat, sagt Kinderkrankenpflegerin Magdalena Mittner: "Speziell bei PalliKJUR merke ich aber auch, dass mir eine ganz hohe Dankbarkeit entgegengebracht wird. Von den Eltern, von den Kindern teilweise, je nach Krankheitszustand. Und mich das wiederum sehr pusht, die Arbeit weiterzumachen und auch Freude bei der Arbeit zu haben.
"Auch wenn man denkt, bei einem Palliativteam, da hat man mit Tod zu tun: Wir haben eigentlich mehr mit Leben und mit Freude zu tun als mit Tod."
Im Sandkasten der Familie geht es unterdessen sehr lebendig zu: Hannes und seine beiden Zwillingsschwestern Mattea und Carlotta sandeln nach Herzenslust. Der Vierjährige schüttelt sich kurz, als er im Eifer des Gefechts Sand ins Gesicht bekommt und buddelt dann ungerührt weiter.
Nach einer Viertelstunde hingebungsvollen Spielens hustet er ein paar Mal. Sein Vater bringt das mobile Beatmungsgerät und schließt es routiniert an die Halskanüle an, während sein Hannes nach einem Bagger greift. "Das ist das normale Leben," sagt seine Mutter Lisa Benz und streicht ihrem Sohn liebevoll über den Kopf. "Dass alle zuhause sind, das ist das Wichtigste."