Die Stolpersteine sind am Montagvormittag vor den letzten frei gewählten Wohnorten der Familien in den Boden eingelassen worden. Auf einer Messingplatte an der Oberseite sind der Name und das Schicksal des Menschen zu lesen, an den erinnert wird. In Ulm wurden insgesamt 19 Steine an fünf Orten verlegt. Unter anderem vor den ehemaligen Wohnhäusern der Familie Hirsch.

"Diesen Stein an dem Ort zu sehen, wo meine Mutter lebte, das bedeutet mir mehr als ich in Worte fassen kann."
In der Neutorstraße 36 wohnte Frida Hirsch, eine Cousine von Albert Einstein. Im September 1940 konnte sie zusammen mit ihrem Ehemann Leopold über die Transsibirische Eisenbahn fliehen. Ihr berühmter Vetter Albert Einstein verhalf ihr zur Ausreise in die USA und bezahlte auch die Überfahrt. Jetzt, bei der Stolpersteinverlegung, sprach die Mutter von Frida Hirsch, Karen Carlson aus Chicago. "Das ist sehr emotional für mich", meinte Carlson, "diesen Stein an dem Ort zu sehen, wo meine Mutter lebte, das bedeutet mir mehr als ich in Worte fassen kann."
Die Amerikanerin berichtete über ihre Mutter, die ihr ganzes Leben lang immer nur positiv über Ulm gesprochen hatte. "Sie erzählte immer von ihren guten Freunden und Freundinnen in Ulm, von ihren Spaziergängen an der Donau. Sie ging zum Schwimmen in den Fluss, im Winter war sie Skilaufen in der Nähe von Ulm." Die negativen Erfahrungen verschwieg Einsteins Cousine dagegen. "Davon erfuhr ich erst später von anderen Leuten", erklärt Tochter Karen.
Zum Beispiel aus dem Tagebuch ihrer Mutter, das sie ins Englische übersetzen ließ. Darin wunderte sich das Mädchen Frida. Sie war einst die beliebteste in der Schulklasse, und plötzlich wurde sie gemieden. Keiner wollte mehr etwas mit ihr zu tun haben, hatte das Mädchen ins Tagebuch geschrieben. Frida Hirsch ist 2015 in den USA gestorben. Auf ihrem Grabstein befindet sich ein Ulmer Spatz.
Auch an die Familien Strassburger/Nördlinger wird mit zwei Stolpersteinen erinnert. Rosa Nördlinger lebte nach dem Tod ihres Mannes bis 1942 in Ulm, bis zu ihrer Einweisung in das jüdische Zwangsaltersheim in Pfronstetten-Tigerfeld. Ihre Tochter Alice Strassburger war zu dieser Zeit Leiterin des Altersheims. Die beiden Frauen wurden im August 1942 über Stuttgart nach Theresienstadt deportiert, wo Rosa kurze Zeit später verstarb.
Auch an das Schicksal der Familien Steiner und Kahn/Mitlehner wird mit Gedenksteinen erinnert, die zum Teil 1941 über Stuttgart nach Riga deportiert wurden und dort verstarben.
Gunter Demnig hat die Stolpersteine ins Leben gerufen
Mit den an Montag verlegten 19 Stolpersteinen sind es in Ulm jetzt insgesamt 145. Die Bürgerinitiative Stolpersteine Ulm plant noch weitere. "Uns fehlen schmerzlicherweise Sinti und Roma", erklärt Sprecher Martin König von der Initiative, "aber da haben wir noch keine Wohnorte." In Ulm hätten damals zahlreiche Sinti und Roma gelebt. "Wir sind an dem Thema dran und hoffen, bald auch für sie Stolpersteine verlegen zu können."
Rabbiner Shneur Trebnik: Parallelen zum Krieg in der Ukraine
Unter den rund 100 Gästen bei den Verlegungen an fünf Orten in Ulm war am Montag auch der Ulmer Rabbiner Shneur Trebnik. Er zog in seiner Ansprache Parallelen zum derzeitigen Krieg in der Ukraine. "Wieder sind Menschen auf der Flucht, weil sie dort, wo sie sind, nicht mehr leben können", sagte der Rabbiner. Erste Juden aus der Ukraine seien bereits in Ulm angekommen. Trebnik appellierte an alle Ulmer, hilfsbereit zu sein und, wenn möglich, Unterkünfte bereit zu stellen.
In Ulm und Neu-Ulm hat sich 2014 die Initiative Stolpersteine gegründet, 2015 wurden die ersten Gedenktafeln vor ehemaligen Wohnhäusern Ulmer Bürger ins Pflaster eingelassen. Auch andere Städte in der Region haben sich der Initiative angeschlossen. Weitere Stolpersteine liegen in Heidenheim, Steinheim und Schwäbisch Gmünd.