Am Freitag wurde noch einmal deutlich, dass sich auch Baden-Württemberg neben den anderen Bundesländern auf steigende Flüchtlingszahlen einstellen muss.
Denn Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sollen nun doch zumindest teilweise nach bestimmten Regeln auf die einzelnen deutschen Länder verteilt werden. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) teilte nach einer Besprechung mit den Innenministern der Länder und Vertretern der kommunalen Spitzenverbände mit: "Wir haben heute Vormittag vereinbart, dass wir nun verstärkt nach dem Königsteiner Schlüssel diejenigen Geflüchteten auf die Länder verteilen, die nicht privat in Familien oder bei Bekannten untergebracht und versorgt werden."
Situation hat sich schnell geändert
Auf eine Situation wie diese sei man vor Ausbruch des Krieges nicht vorbereitet gewesen, bilanziert der Tübinger Landrat und Präsident des Landkreistages Baden-Württemberg, Joachim Walter, im SWR: "Seit dem 24. Februar sind wir nun natürlich dabei, uns vorzubereiten, denn es war uns klar: Wenn dieser Krieg weitergeht, werden Menschen aus der Ukraine fliehen und zu uns kommen."
Suche nach Unterkünften für Menschen aus der Ukraine
Auf kommunaler Ebene laufe nun die Wohnungssuche für Flüchtlinge. Auch die Bevölkerung sei aufgerufen worden, dabei mitzuhelfen. "Wir haben viele Angebote. Allerdings ist es so, dass viele dieser Angebote nicht sofort nutzbar sind, weil sie noch einen Renovierungsbedarf haben oder weil sie ausgestattet werden müssen", warnt Walter.
"Wir haben uns entschieden, unsere Pläne aus 2015 und 2016 aus der Schublade zu holen und Hallen als Ankunftszentren wieder zu aktivieren."
Tatsächliche Zahl der Flüchtlinge höher
In diesen Ankunftszentren würden die Flüchtlinge registriert und könnten dort einige Tage bleiben, bis ihnen Wohnungen angeboten würden. Allerdings könne Walter nicht abschätzen, wie viele Flüchtlinge aus der Ukraine insgesamt aufgenommen werden könnten. "Momentan ist es so, dass offiziell etwa 5.600 Menschen in Baden-Württemberg sind - sie sind in den Erstaufnahmestellen. Inoffiziell sind es deutlich mehr."
Situation schwieriger als 2015
Nach Aussage Walters gestaltet sich die Planung derzeit schwieriger als in der Flüchtlingssituation im Jahr 2015. "Damals hatten wir einen Zustrom, der über die Erstaufnahmestellen zu uns kam. Aber heute wissen wir am Morgen nicht, wie viele Flüchtlinge wir möglicherweise am Abend unterbringen müssen, weil viele bei Privatleuten sind, dort die Situation aber nicht auf die Dauer ausgerichtet ist."
"Das Wichtigste ist eine gut koordinierte Aufnahme, Unterbringung und Versorgung."
Wohlfahrtspflege: Flüchtlinge brauchen Sicherheit
Die Vorsitzende der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg, Annette Holuscha-Uhlenbrock, sagte im SWR, ihre Organisation helfe derzeit den Kommunen und Landkreisen bei der Suche nach leer stehendem Wohnraum. Es stehe im Vordergrund, die Hilfe und Unterbringung gut zu koordinieren.
Priorität habe, dass die Flüchtlinge "erstmal gut ankommen und auch das verarbeiten, was ihnen widerfahren ist. Viele mussten auch ihre Ehemänner, ihre Väter, teilweise auch Kinder zurücklassen. Deshalb brauchen sie ein Gefühl der Sicherheit. Sie brauchen Orientierung, aber sie brauchen auch Begleitung und Unterstützung." Gerade bei Behördengängen seien Dolmetscher wichtig, um die Kommunikation zu vereinfachen, erläutert Holuscha-Uhlenbrock.
Herausforderung für Lehrkräfte Zwischen Hoffnung und Trauma: Ukrainische Flüchtlingskinder bald in Schulen und Kitas
Nach ihrer Flucht aus der Ukraine sollen Kinder so gut es geht zurück in den Alltag finden. Dazu gehört der Besuch einer Schule oder Kita. Kann das ohnehin überlastete Bildungssystem in BW das stemmen?
Kinder brauchen besonderen psychologischen Zugang
Viele Menschen, die aus der Ukraine nach Deutschland kommen, stünden unter Schock. "Sie mussten spontan und zum Teil auch ohne Abschied ihr Land verlassen, konnten vielleicht nur eine kleine Tasche zusammenpacken. Sie realisieren noch gar nicht, wie es um sie geschieht", so Holuscha-Uhlenbrock weiter. Vor allem bei kleinen Kindern sei eine besondere psychologische Betreuung für die Trauma-Bewältigung notwendig.
BW-Integrationsmanager sollen Ukraine-Flüchtlinge beraten
Geflüchtete aus der Ukraine sollen nun auch von den 1.200 baden-württembergischen Integrationsmanagern und -managerinnen unterstützt werden - das sagte Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) am Freitag. "Da weder Zeitpunkt noch Art und Weise der Beendigung des Krieges vorhergesagt werden können, müssen wir auch mit einer längeren Verweildauer der Geflüchteten rechnen", so Lucha.
Die Integrationsmanager - meist Sozialarbeiterinnen und -arbeiter - sollen dafür sorgen, dass die Flüchtlinge Angebote zum Deutschlernen, zur Berufsqualifizierung und zur Integration in den Arbeitsmarkt bekommen. Viele hätten weder Familie noch Freunde in Baden-Württemberg, erläuterte das Ministerium. Sie könnten kaum Deutsch und müssten sich erst einmal vor Ort zurechtfinden.