Undurchsichtige Lage bei Tübinger Biotech-Unternehmen

Das große Rätsel CureVac: Einst Corona-Impfstoff-Hoffnung, und jetzt?

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Miriam Plappert

Der erste Impfstoffkandidat ein Flop, eine verwaiste Produktionshalle, eine scheidende Technologie-Chefin: Für die Tübinger Biotechnologie-Firma CureVac läuft es nicht gut.

Curevac Firmengebäude von außen im Januar 2022.  Das neue, noch nicht fertiggestellte Erweiterungsgebäude, Labor- und Forschungsgebäude (Foto: SWR, Tarik Bourhaleb)
CureVac-Neubau im Tübinger Technologiepark

Die Firma CureVac war einer der großen Hoffnungsträger zu Beginn der Corona-Pandemie. Man hoffte, sie könne wichtigen Impfstoff produzieren. Jetzt aber ist von der Tübinger Firma nicht mehr viel zu hören, was macht CureVac derzeit eigentlich genau?

Im Gebäude brennt Licht. Durch die großen Fenster sind Handwerker zu sehen. Sie laufen zwischen Kartons, steigen über Kabel. Seit Jahren ist hier Baustelle. 2017 gab das Biotechnologie-Unternehmen CureVac bekannt, dass an dieser Stelle im Tübinger Technologie-Park ein Produktionsgebäude entstehen soll. Unter Reinraumbedingungen sollten in dem mehrstöckigen Betonbau mRNA-Wirkstoffe im industriellen Maßstab hergestellt werden. 2019 sollte die Anlage ursprünglich in Betrieb gehen. Doch von Impfstoffproduktion im Moment keine Spur.

Der zweite Impfstoffkandidat lässt auf sich warten

Offen ist, was CureVac dort überhaupt produzieren will. Den ersten selbst entwickelten Corona-Impfstoff musste das Biotech-Unternehmen wegen zu geringer Wirksamkeit im Oktober aufgeben. Nun setzt das Unternehmen auf einen zweiten Kandidaten, der in Zusammenarbeit mit dem Pharmariesen GlaxoSmithKline entwickelt wird. Aber auch da verzögert sich der Zeitplan.

Impfstoff-Zulassung frühestens 2023?

Ursprünglich sollte der Impfstoff noch im vierten Quartal 2021 in einer Phase-1-Studie an Menschen getestet werden. Nun soll die Studie erst im Frühjahr starten. Aber auch wenn das jetzt zügig klappen sollte und die Tests erfolgreich verlaufen, erscheint eine Zulassung frühestens 2023 denkbar. Ob der Impfstoff dann noch benötigt wird, ist angesichts der Konkurrenz durch die Hersteller BioNTech/Pfizer und Moderna fraglich. Beide Impfstoffhersteller haben bereits mit klinischen Studien für einen speziell auf die Omikron-Variante zugeschnittenen Corona-Impfstoff begonnen.

Curevac Firmengebäude von außen im Januar 2022 (Foto: SWR, Tarik Bourhaleb)
Der Gebäudekomplex von CureVac in Tübingen

Zudem setzt CureVac auch beim zweiten Impfstoff-Kandidaten auf natürliche mRNA. Die Hersteller BioNTech/Pfizer und Moderna hingegen arbeiten mit modifizierter mRNA. Dass CureVac einen anderen Weg wählte, könnte ein Grund für die geringere Wirksamkeit des ersten Tübinger Impfstoffs sein. Aus  Fachkreisen ist zu hören, dass CureVac bei seinem ersten Impfstoffkandidaten mit der Dosierung nicht sehr hoch gehen konnte, weil zu starke Nebenwirkungen auftraten. Ziel sei es gewesen, einen besonders guten und lange haltbaren Impfstoff zu entwickeln. Wie sich aber herausgestellt habe, brauche es eine hohe Dosierung für die richtige Immunantwort des Körpers, heißt es. BioNTechs Impfstoff hingegen lasse sich höher dosieren, mit gleichzeitig weniger Nebenwirkungen und daher guter Immunantwort.

Beim zweiten Anlauf könnte es trotzdem klappen

Dennoch könnte CureVacs zweiter Impfstoffkandidat (CV2Cov) eine gute Wirksamkeit aufweisen. Zumindest erzielte Cv2Cov in einer im Fachmagazin Nature veröffentlichten Studie an Affen eine ähnlich hohe Wirksamkeit wie der von BioNTech/Pfizer entwickelte Impfstoff Comirnaty. Und das, obwohl der CureVac-Impfstoff mit 12 Mikrogramm in der Studie deutlich niedriger dosiert war als das BioNTech-Präparat (30 Mikrogramm).

Ausschließlich auf natürliche mRNA will CureVac aber auch nicht mehr setzen. So gab das Unternehmen im Oktober bekannt, künftig auch Wirkstoffe mit modifizierter mRNA erforschen zu wollen.

Ein Mann geht hinter einem Labormantel mit dem Logo des biopharmazeutischen Unternehmens Curevac vorbei. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow; Archivbild)

Zu spät einen Partner gesucht

Neben der Impfstoff-Entwicklung selbst hätten auch Probleme im Management zu dem Flop geführt, heißt es aus informierter Quelle. Das Unternehmen habe zu lange an einem Impfstoff gefeilt und zu spät realisiert, dass es sich auf einer falschen Fährte befinde. BioNTech hingegen habe sich schnell für einen Impfstoff entschieden und sich gleich den Pharmariesen Pfizer als Partner ins Boot geholt. CureVac hingegen habe auch zu spät über mögliche Partner nachgedacht.

Ein Grund für die Probleme sehen Insider auch darin, dass keine Geschäftsleute, sondern hauptsächlich Wissenschaftler im Management von CureVac gewesen seien.

Zentrale Personen verlassen CureVac

Das scheint sich nun zu ändern. Personell gab es bei dem Tübinger Biotech-Unternehmen im vergangenen Jahr viele Wechsel. So zog Mitgründer Ingmar Hoerr im Juni seine Kandidatur für den Aufsichtsrat aus gesundheitlichen Gründen zurück. Kurz darauf verließ Mitgründer Florian von der Mülbe den Vorstand. Ende Januar ging auch die langjährige Technologiechefin Mariola Fotin-Mleczek nach 16 Jahren. Als CTO war sie für die wissenschaftliche Entwicklung der mRNA-Wirkstoffe, darunter auch der Corona-Impfstoffe, mitverantwortlich.

Nach 33 Jahren in Deutschland will die 55-Jährige nun nach Polen zurückkehren, um einen Familienbetrieb außerhalb der Biotech-Branche aufzubauen. Die Gründe seien persönlicher Natur, sagte Mariola Fotin-Mleczek gegenüber der F.A.Z.. Sie wolle nahe Krakau ein Gästehaus für eine katholische Familienbewegung aufbauen. Der Schritt habe nichts mit der Situation bei CureVac zu tun, die Pläne seien schon länger gereift.

CureVac-Aktie stürzt ab

Die CureVac Aktie befindet sich derzeit an einem Tiefpunkt. Dass sich Hauptinvestor und SAP-Mitgründer Dietmar Hopp im Januar die Möglichkeit schuf, CureVac-Aktien im Wert von bis zu 450 Millionen Euro verkaufen zu dürfen, sorgte für weitere Kursverluste. Komplett aufgeben wolle er CureVac nicht, so Hopp. Er wolle nur so viele Aktien verkaufen, wie nötig, um seine Biotechnologie Holding Dievini in Familienbesitz zu überführen. Im Juni 2020 hatte sich auch der Bund mit 300 Millionen Euro an dem Tübinger Unternehmen beteiligt.

Hohe Gewinne bei BioNTech

Wie unterschiedlich sich die Hoffnungsträger BioNTech und CureVac entwickelt haben, zeigt die Einschätzung von Paul Sand, Finanzanalyst bei der Stuttgarter Firma Sand und Schott: "Die Anleger haben bei BioNTech, wenn sie von Anfang an dabei waren, im Jahr 2021 bis 200 Prozent Gewinn einfahren können. Bei CureVac hingegen hat man bis zu 70 Prozent seiner Anlage verloren." Im Vorfeld sei nicht abzusehen gewesen, wer das Rennen macht. Die Investoren gingen jetzt lieber zu BioNTech als zu CureVac. Schließlich hat BioNTech schon ein erfolgreiches Produkt an den Markt gebracht und finanzielle Möglichkeiten, mit denen das Unternehmen Forschungen vorantreiben kann.

Egeriagebäude in Tübingen von außen, Luftaufnahme, Januar 2022. Curevac hat Interesse an der Nutzung des Gebäudes (Foto: SWR, Tarik Bourhaleb)
In das ehemalige Textilgebäude in Tübingen will CureVac einziehen.

CureVac erweitert trotzdem

Obwohl CureVac noch kein Produkt auf den Markt bringen konnte, vergrößert sich das Unternehmen. Im Gebäude einer ehemaligen Textilfabrik im Tübinger Stadtteil Lustnau sollen neue Büro- und Laborflächen für rund 200 Mitarbeiter eingerichtet werden. Denn die Belegschaft wächst. Während 2019 noch rund 450 Mitarbeiter bei CureVac beschäftigt waren, sind es heute an allen Standorten bereits mehr als 700. Weitere 300 Stellen sollen neu besetzt werden. Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) hält sich zur aktuellen Situation von CureVac bedeckt. Zum konkreten Arbeitsstand könne er nichts sagen. Das Unternehmen sei wegen der Börse extrem restriktiv.

Warum sich der Bau des Produktionsgebäudes im Technologie-Park im Norden der Stadt so lange hinzieht, konnte Baubürgermeister Cord Soehlke nicht sagen. Am Geld liege es aber eher nicht. Von einem Investitionsstau sei ihm nichts bekannt.

Tübinger Bevölkerung rätselt

Auch Tübinger Bürger rätseln darüber, was bei CureVac vor sich geht. Abschreiben will man das Unternehmen aber nicht. "Es zeigt, dass es nicht so einfach ist und dass wir denen dankbar sein können, die es hinkriegt haben", sagte etwa Helmut Stürk dem SWR in einer Straßenumfrage. Auf die Frage, warum es bei CureVac mit dem Impfstoff nicht geklappt hat, nannte Helmut Reichert das Management: "Vielleicht haben sie nicht gut geforscht, oder sind nicht auf dem neuesten Stand." Winne Brugger schaut optimistisch in die Zukunft. Man müsse langfristig denken: "Die machen ja nicht nur den Impfstoff und die sind immer noch irgendwie dabei weiterzumachen."

Pharma-Experte: Zukunftschancen durch neue Produkte

Ob CureVac bei anderen mRNA-Produkten, etwa in der Krebstherapie, mithalten kann, bleibt abzuwarten. BioNTech und Moderna haben durch die hohen Einnahmen aus dem Verkauf ihrer Corona-Impfstoffe einen großen finanziellen Vorsprung. LBBW-Analyst und Pharma-Experte Timo Kürschner schätzt die Situation von CureVac trotzdem nicht schlecht ein.

"Sie sind jetzt zurückgeworfen worden, aber sie haben durchaus Kapital, um weiterhin Forschung zu betreiben und auch weiterhin Medikamente zu entwickeln."

Forschung in der Krebsimmuntherapie

Wenn es ihnen gelänge im Bereich der Krebstherapie, wo CureVac schon etabliert ist, ein Medikament auf den Markt zu bringen oder auch einen anderen Impfstoff, dann sei das Unternehmen ähnlich gut gestellt wie BioNTech. Die Krebstherapie sei auch deshalb so interessant, weil hier hohe Umsätze winken. Kürschner schätzt, dass ein Krebsmedikament, wenn es Marktleader in dem Bereich ist, Milliarden im Quartal einbringen könnte.  Aktuell testet CureVac einen mRNA-Wirkstoff zur Krebsimmuntherapie und einen Impfstoff gegen Tollwut in der Phase-1-Studie. Andere Produkte, etwa Impfstoffe gegen Gelbfieber, Malaria und Grippe, befinden sich noch in der präklinischen Forschung und Entwicklung.

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