Der Grünen-Politiker und bekennende Vegetarier ist das erste Mitglied mit türkischen Wurzeln in einer Bundesregierung. In seinem Geburtsort am Fuße der Schwäbischen Alb hat man die Familie Özdemir in sehr guter Erinnerung. Sein Vater Abdullah Özdemir kam 1961 mit seiner Familie als Gastarbeiter nach Deutschland und arbeitete zunächst bei einer Textilfirma im Schwarzwald, später bei einem Feuerlöscherhersteller. Besonders seine Mutter Nihal Özdemir war in Bad Urach sehr verwurzelt. Sie betrieb zeitlebens erfolgreich eine Änderungsschneiderei im Elternhaus des Politikers, wie eine benachbarte Ladenbesitzerin erzählt.
"Seine Mama war eine absolute Koryphäe als Schneiderin in Bad Urach. Es gab nichts, was sie nicht reparieren konnte. Sie war hier ganz arg beliebt."

Die Nachbarin glaubt, dass es kaum jemanden in Bad Urach gebe, der ihn nicht kenne, und plaudert weiter aus dem Nähkästchen. Der neue Bundeslandwirtschaftsminister habe sie auch schon in den Arm genommen und sie seien direkt per Du gewesen.

"Cem Özdemir strahlt etwas sehr Menschliches aus"
Auch von anderen Ortsansässigen wird der Spitzenpolitiker als umgänglich und herzlich beschrieben. Bei seinen Besuchen in der Stadt grüße er und sei immer zu einem Gespräch bereit. Über den Einzug in die Regierung ist man im Ort froh.
"Er ist ein Lichtblick in diesem Kabinett."
Der Passant erklärt, er sei zwar kein Grünen-Wähler, aber "Cem Özdemir strahlt etwas sehr Menschliches aus und vor allem Kompetenz - menschliche Kompetenz, und das ist sehr wichtig." Auch ein Landsmann ist stolz auf ihn:
"Ich freue mich ganz arg für ihn, denn er ist aus Bad Urach und ein ganz netter Kerl."
Nachhilfelehrerin Irmgard Naumann war eine Wegbereiterin
Irmgard Naumann, stellvertretende Bürgermeisterin von Bad Urach und ehemalige Schuldirektorin, hat den Lebensweg von Cem Özdemir entscheidend geprägt. Als Nachhilfelehrerin hat sie seine Deutschkenntnisse wesentlich verbessert und ist "mächtig stolz auf ihn". Ihr Geheimnis: "Bei 70 Fehlern habe ich drunter geschrieben 'Du hast drei Worte richtig'".
Die ehemalige Direktorin unterrichtete zur damaligen Zeit an der gleichen Schule, die Cem Özdemir besuchte, Sport. Dennoch lernten sie sich auf ungewöhnliche Weise kennen. Als die stellvertretende Bürgermeisterin in die Änderungsschneiderei seiner Mutter kam, um eine Hose reparieren zu lassen, kam diese aufgeregt mit den Worten auf sie zu: "Du Lehrerin, du musst Cem helfen, Cem muss höhere Schule". Da war schon alles besiegelt und Frau Naumann unterrichtete ihn seit dieser Begegnung zwischen 1975 und 1977 jeden Dienstag. Sie hatte sein Potenzial früh erkannt und beschreibt ihn liebevoll.
"Der war ein Lausbub, aber er war sehr fokussiert auf das Lernen. Er war sehr interessiert, er war hochintelligent."
Der gebürtige Uracher wechselte zunächst von der Grundschule auf die Hauptschule. Aber damit waren der junge Cem und seine Eltern nicht zufrieden, denn sie waren überzeugt, dass er eine höhere Schule besuchen muss. Mit der Unterstützung seiner Nachhilfelehrerin schaffte er es schließlich bis auf das Gymnasium und studierte nach dem Abi Sozialpädagogik in Reutlingen.
"Glückwunsch-SMS" für den Bundeslandwirtschaftsminister aus Bad Urach
Die Verbindung zwischen Nachhilfelehrerin Irmgard Naumann und bestrebtem Schüler Cem Özdemir besteht bis zum heutigen Tag. Gerührt erzählt sie von einem Interview von Cem, wie sie ihn liebevoll nennt: "'Dann trat Frau Naumann in mein Leben, sie gab mir Mut und Zuversicht.' Über diesen Satz habe ich mich wahnsinnig gefreut!“
Unmittelbar als Frau Naumann von der Wahl Özdemirs zum Bundeslandwirtschaftsminister erfahren hatte, schickte sie ihm eine SMS mit den Worten:
"Lieber Cem, aus Deiner Heimatstadt Bad Urach, herzlichen Glückwunsch. Ich bin mächtig stolz auf Dich!"
Postwendend bedankte sich der neue Minister bei Frau Naumann, wie er sie bis heute mit voller Hochachtung nennt, erzählt sie lachend.
Für beide war die Begegnung ein Gewinn
Ihre Erinnerungen sind so wach, als hätte sie den Spitzenpolitiker erst gestern unterrichtet. Sie kann auch noch eine ganz besondere Geschichte aus dem Hause Özdemir preisgeben:
Für seinen weiteren Lebensweg wünscht sie ihm alles Gute und erzählt bescheiden, dass auch Cem Özdemir ihr indirekt bei ihrem Werdegang geholfen habe. Durch das Unterrichten des Politikers habe sie nämlich gemerkt, dass sie mehr als "den Kindern eine Rolle vorwärts oder rückwärts beibringen kann" und hat es somit als Rektorin an die Spitze einer Schule geschafft. So war die Begegnung für beide ein Gewinn.