Die Reutlinger Tafel macht donnerstags um 11 Uhr auf. Schon als sie ihre Türen an diesem Donnerstag öffnet, stehen 80 Leute an. "Es sind rund 50 Prozent Geflüchtete aus der Ukraine, die zu uns kommen", schätzt Karin Schenk von der Reutlinger Tafel. Schenk und ihr Team können gar nicht alle versorgen, denn auch die Waren werden weniger, die die Tafel bekommt. Deshalb müssen sie besonders darauf achten, die Waren fair zu verteilen. So darf jede Person eben nur einmal Nudeln, einmal Mehl oder einmal Zucker bekommen. Die Mitarbeitenden seien auch seit Wochen am Limit, berichtet Schenk.
Hartz IV Empfänger, Rentner oder Alleinerziehende in Not
Die Tübinger Tafel, aber auch das Sozialkaufhaus der Erlacher Höhe in Freudenstadt berichten von ähnlichen Problemen. Wolfgang Sartorius, Vorstand des Sozialunternehmens Erlacher Höhe, klagt, die Rentnerinnen und Rentner mit geringem Einkommen und Menschen, die Hartz IV bekommen, könnten ihren Alltag wirtschaftlich nicht mehr bestreiten. Die Lage verschärfe sich momentan. Im März seien in den weiteren Niederlassungen in Calw und Nagold deutlich mehr Bedürftige auf der Suche nach Hilfe gewesen. Reinhardt Seibert von der Tübinger Tafel hat aus der Not heraus mit seinem Team beschlossen, nur noch zehn Neuanmeldungen pro Woche zuzulassen.
Leere Regale im Stadtlädle der Erlacher Höhe in Freudenstadt
Warum verschärft sich die Lage so extrem?
Das Vorstandsmitglied des Vereins Tafel Baden-Württemberg, Udo Engelhardt, nennt verschiedene Gründe für die Lieferprobleme, die die Tafelläden derzeit haben: Private Hilfstransporte aus der Bevölkerung würden vermehrt in die Ukraine oder an die polnische Grenze gehen. Weiterhin würden die Supermarktregale durch Hamsterkäufe schon leer geräumt und es bliebe nicht mehr so viel zum spenden übrig. Die Lieferketten reißen zudem durch den Krieg immer mehr ab. Auch die hohen Transport- und Kühlkosten für die Tafeln selbst wirkten sich auf die Lagerbestände aus, so Engelhardt. Mehr als 80 Prozent der Tafelläden haben nach Auskunft des Dachverbandes Schwierigkeiten wegen mangelnder Lebensmittel und gleichzeitig steigendem Interesse.
Forderungen werden laut
Die Tafeln und Sozialkaufhäuser formulieren klare Forderungen an die Supermärkte und die Politik. "Wir erwarten von der Bundesregierung, dass Wahlversprechen hinsichtlich eines Armuts festen Bürgergeldes zügig eingelöst werden", fordert Wolfgang Sartorius von der Erlacher Höhe. Auch die Subventionen der Spritpreise seien keine wirkliche Hilfe für die bedürftigen Gruppen, die sich sowieso kein Auto leisten könnten. Karin Schenk meint, helfen würde vor allem, wenn die Reutlinger Tafel zum Beispiel bei Food Sharing-Abholungen vorgezogen würde und als erstes dran käme bei der Versorgung. Reinhold Seibert von der Tübinger Tafel fordert, Lebensmittel dürften von den Supermärkten nicht entsorgt werden, wenn sie noch verzehrbar sind. Außerdem wünscht er sich eine Grundfinanzierung von Staat und Stadt, um die Miete, die Lieferungen und Autokosten zu bezahlen. Die Tübinger Tafel lebt überwiegend von Spenden.