Im Herbst kommenden Jahres soll es so weit sein: Dann soll das weltweit wohl bekannteste Märchenschloss von König Ludwig II. von außen wie von innen in neuem, altem Glanz erstrahlen. Aktuell ist Schloss Neuschwanstein noch ein Sanierungsfall, eine Großbaustelle. Jahrzehntelang wurde dort nichts gemacht. Neben den Prunksälen wird auch das kostbare Inventar restauriert.
Silberschmied aus Rottenburg darf ran
Der Rottenburger Silberschmied Hans-Joachim Bleier ist der erste Restaurator seit Ende des 19. Jahrhunderts, der an den Kerzenständern umfassend Hand anlegen darf. König Ludwig II. gab sie nach einem Entwurf von Julius Hofmann bei der Münchner Werkstatt Eduard Wollenweber in den Jahren 1881 bis 1884 in Auftrag. Sie gehören von Beginn an zur Ausstattung von Schloss Neuschwanstein. Die Standleuchter, im Fachjargon Kandelaber, sind rund drei Meter hoch und bestehen jeweils aus über 150 Einzelteilen: vom dreibeinigen Fuß über goldene Türmchen am Schaft bis hin zur detailverliebten Krone mit eingesetzten bunten Glassteinen.
Ein Kerzenständer nach dem anderen
Insgesamt zehn dieser großen Kerzenständer gibt es in Schloss Neuschwanstein. Sie stehen in einem der Prunksäle: im Sängersaal. Einer der Kerzenständer wurde bereits als Probeexemplar zur Veranschaulichung restauriert, neun sind nun im Auftrag der Feinschmiede von Hans-Joachim Bleier. Da sie in der Werkstatt entsprechend viel Platz einnehmen und der Sängersaal für die Besucherführungen mit mindestens acht Kandelabern ausgestattet sein muss, hat Bleier immer nur zwei zur Restaurierung bei sich. Ein Jahr hat er dafür Zeit, die Kandelaber wieder zum Glänzen zu bringen. Schloss Neuschwanstein ist auch für ihn als Kenner vieler Schlösser, Klöster und Kirchen etwas Besonderes.
Oberstes Prinzip: So viel Historisches erhalten wie möglich
Bei der Restaurierung der Standleuchter achten Bleier und sein Team streng darauf, dass so viel wie möglich von der historischen Substanz der Kandelaber erhalten bleibt. Das gilt nicht nur für die außen Sichtbare Vergoldung der Messing-Kandelaber, sondern auch für jede einzelne Schraube, Mutter und Gewindestange.
Das Besondere an den rund 140 Jahre alten Schmuckstücken aus Schloss Neuschwanstein ist, dass daran alles handgefertigt ist. Dementsprechend einzigartig, also nicht genormt wie heute, ist jede Schraube und jedes Gewinde. Da bringt die eine oder andere festsitzende Mutter beim Ab- und Aufbauen der Kerzenhalter das Restauratoren-Team von „Meister Bleier“, wie ihn seine Kollegen nennen, auch mal zur Verzweiflung – aber nur fast.
Schmutz und Putzmittel-Spuren müssen weg
Jahrzehnte-, wenn nicht sogar jahrhundertelang wurde an den Kerzenständern im Schloss Neuschwanstein nichts oder kaum etwas gemacht. Hier und da wurde mal ein Verzierungsstück ersetzt, nachdem das alte von Touristen abgeschraubt und gestohlen wurde. Und geputzt und abgewischt wurden sie – leider nicht immer mit den richtigen Putzmitteln, sagt Hans-Joachim Bleier.
Gold ist nicht gleich Gold
Dort, wo Menschen auf Augenhöhe gut drankamen, ist über die Jahre viel der Vergoldung zerstört und abgerieben worden. Da scheint das Messing durch. Diese Stellen verlangen dem Rottenburger Restaurator viel ab, denn einfach neu vergoldet wird nicht – die Spuren der Geschichte sollen ja erhalten bleiben. Damit die goldenen Farbnuancen und der metallische Glanz von oben bis unten auf die Besucher von Schloss Neuschwanstein möglichst gleichmäßig wirken, hat Bleier einen Kollegen aus Tübingen mit ins Team geholt: Christian Holder. Er kennt sich besonders gut mit Farben und unterschiedlichen Reinigungstechniken aus.
Aus Bologneser Kreide wurde Belgisches Putzpulver
Von der Bayerischen Schlösserverwaltung, dem Auftraggeber, war ursprünglich vorgegeben, dass sie die vergoldeten Messing-Standleuchter mit sogenannter Bologneser Kreide reinigen sollen. Hans-Joachim Bleier und Christian Holder waren aber davon überzeugt, dass sogenanntes Belgisches Putzpulver, in dem auch Bologneser Kreide, aber auch noch stark verdünnte Zitronensäure und anderes enthalten ist, besser für die historischen Kerzenständer sei. Sie konnten den Auftraggeber anhand von Proben überzeugen und haben entsprechend das Okay dafür bekommen.
Als Restaurator im Schloss Neuschwanstein
Anfang Mai soll es so weit sein, dass Hans-Joachim Bleier und sein Team mit den ersten beiden fertig restaurierten Riesen-Kandelabern nach Schloss Neuschwanstein fährt. So ist es mit der Bayerischen Schlösserverwaltung vereinbart. Dann wird vor Ort geschaut, ob sie den Vorstellungen der Bauleiter und Chef-Restauratoren im Schloss Neuschwanstein entsprechen. "Das hoffe ich sehr", sagte Hans-Joachim Bleier beim Werkstattbesuch des SWR. Er fiebert schon jetzt der Fahrt nach Schwangau entgegen.
Bevor es ins Allgäu geht, müssen die ersten beiden Kandelaber fertiggestellt und wieder auf mehrere Kisten verteilt verpackt werden. Die Transportkisten aus Holz wurden extra für die Riesen-Kerzenständer maßgeschreinert, darunter eine für die Krone, eine für den Fuß und eine andere für die Schalen, in die die Kerzen gesteckt werden. Es sind ja nicht irgendwelche Kerzenständer, sondern die des wohl bekanntesten Märchenschlosses der Welt.