Darf man beliebig Gegend und Menschen filmen und darf ein Gericht dieses Videomaterial als Beweismittel einsetzen? Das war in diesem Prozess am Reutlinger Amtsgericht die Kernfrage. Denn es ging auch um elementare Persönlichkeitsrechte. Der Fall: Im März vergangenen Jahres brannte ein Strohlager in Münsingen-Auingen zwei Tage lang lichterloh. 2.000 Strohballen hielten sechzig Feuerwehrleute in Atem. Der Schaden: 120.000 Euro. Der Grund für das Feuer? Ein Brandsachverständiger bestätigte jetzt dem Reutlinger Amtsgericht, dass eine Selbstentzündung von Stroh prinzipiell möglich ist, in diesem Fall aber eher ausgeschlossen werden kann.
Spurensuche führt zu Überwachungskamera
Die Polizei war sowieso schon bald nach dem Brand auf einer anderen Spur, und das mit bemerkenswerten Mitteln: Ein Beamter hatte die Überwachungskamera des Nachbarn vom Strohlager entdeckt und um die Aufnahmen gebeten. Sie zeigten nicht nur das Gelände des Nachbarn, sondern im Bildhintergrund auch das Strohlager und einen Weg dorthin. Darauf war einen Mann mit Hund zu erkennen, der zum Stroh ging, dort niederkniete, mit etwas hantierte, dann schnell weglief, sich dabei mehrmals umsah. Schon bald stieg Rauch vom Stroh auf. Der Mann im Bildhintergrund wurde bald ausfindig gemacht. Er hatte sich als Zeuge des Brandes gemeldet und war nun Tatverdächtiger.
Starnberger Video-Forensiker eingeladen
Im Reutlinger Amtsgericht erschien im Prozess gegen ihn ein Video-Forensiker namens George A. Rauscher aus Starnberg. Rauschers Fachgebiet: die Untersuchung von Video-Aufnahmen auf Echtheit und die Identifizierung von Personen auf den Aufnahmen. Rauscher scheint renommiert. So hat er etwa die skandalösen Ibiza-Videos, die österreichische Politiker zu Fall brachten, auf Echtheit untersucht. Im Reutlinger Gerichtssaal nannte Rauscher seine technische Ausrüstung besser als die der Polizei oder anderer einschlägiger Behörden. Das Amtsgericht hatte ihn beauftragt, die Person im Bildhintergrund zu identifizieren, im Vergleich mit wesentlich besseren Aufnahmen. Zu 99 Prozent sei es der Angeklagte, der als mutmaßlicher Brandstifter zu sehen sei, so seine Expertise. Richter Eberhard Hausch folgte dem Gutachten und verurteilte den 70-Jährigen zu der Gefängnisstrafe "im Seniorengefängnis".
Gericht in Reutlingen wertet Video als Beweis
Die meiste Zeit davor war es im Saal 4 des Amtsgerichts um etwas anderes gegangen: Darf vermutlich illegales Bildmaterial - das Filmen anderer Menschen ohne deren Wissen und Zustimmung ist nicht erlaubt - für eine Verurteilung herangezogen werden? Auf keinen Fall, sagte Verteidiger Erhard Weinland und sprach von einem Orwellschen Überwachungsstaat.
"Das Video kam rechtswidrig zustande. Fremde Grundstücke, jedes Liebespaar, alles wird gefilmt."
Dieser Auffassung schloss sich Amtsrichter Eberhard Hausch nicht an. Er ließ am Ende der Verhandlung allerdings erkennen, dass er froh wäre, wenn ein höheres Gericht entscheidet, was hier rechtens sei.
"Der Datenschutz kann nicht so weit gehen, dass wir vor eindeutigen Beweismitteln die Augen verschließen."