Ein Rundbrief des Landratsamts Tuttlingen und des Kreisklinikums an Pflege- und Behindertenheime sorgt für Aufregung. Es geht dabei um die angespannte Corona-Situation, fehlende Intensivbetten und einen dringenden Appell. Denn der Landkreis und die Kliniken wollen, dass nochmal alle Menschen in Heimen gefragt werden, ob sie im Notfall auf eine Intensivbehandlung verzichten würden.
Auf Beatmung verzichten?
Das Schreiben fordert Pflegekräfte, Heimbewohner und Angehörige dazu auf, sich über einen möglicherweise schweren Corona-Verlauf Gedanken zu machen. Konkret geht es darum, abzufragen, wie schwer kranke Heimbewohner im Notfall behandelt werden wollen. Also zum Beispiel, ob man sie invasiv beatmen soll oder ob sie darauf verzichten möchten. Boris Strehle, der die Altenhilfe der Sankt Franziskus Stiftung leitet, ist irritiert über dieses Schreiben.
"In der jetzigen Zeit, in der in allen Medien über die Überlastung der Notfallmedizin gesprochen wird, bekommt so eine Frage eine Note, die da einfach unglücklich ist in diesem Zusammenhang."
Es entstehe Druck dadurch, sagte Strehle dem SWR - auf Personal und Heimbewohner gleichermaßen. Denn: Sollen Menschen wirklich auf Behandlungen verzichten, um das Gesundheitssystem zu entlasten? Der Tuttlinger Landrat Stefan Bär hat schon am Mittwoch klargestellt, dass man mit dem Brief nur Behandlungswünsche abfrage. Im Kreisklinikum werde weiterhin jeder behandelt, der das wünscht.
Triagen verhindern
In dem Brief steht allerdings auch, dass ohne Äußerung eines Behandlungswunsches in letzter Konsequenz Triagen drohen könnten. Dann müssten also die Ärzte entscheiden, wer auf Intensivstationen behandelt wird und wer nicht. Genau das wolle man verhindern, so das Landratsamt Tuttlingen, und weiter: "Das ist unseres Erachtens keine Diskriminierung, sondern Fürsorge!"

Verständnis für Patientenverfügung
Karen Winterhalter hat großes Verständnis für die Klinikleitung. Sie leitet das Elias-Schrenk-Haus in Tuttlingen, ein Seniorenpflegeheim. Sie findet es nicht schlimm, wenn die Klinik in dieser angespannten Situation Patientenverfügungen verschickt. Es ist ihr lieber, wenn die Betroffenen und nicht die Ärzte entscheiden, ob beatmet wird oder nicht.
Nicht die Pflege, sondern Ärzte entscheiden
Die Sankt Franziskus Stiftung jedoch wünscht weitere Gespräche über das Schreiben des Landkreises. Denn die Heime wurden darin ja auch aufgefordert, sorgsam zu überlegen, wann ein Krankenhausaufenthalt für ihre Bewohner wirklich nötig ist - auch im Notfall. Für Boris Strehle von der Sankt Franziskus Stiftung ein Unding. Man käme doch in höchste Schwierigkeiten, wenn das Pflegepersonal entscheidet, ob sich eine intensivmedizinische Behandlung noch lohnt oder nicht, erklärt er. Diese Entscheidung müsse immer ein Arzt treffen.
Diese Ansicht teilt auch Karen Winterhalter. Wenn ein offensichtlicher Notfall besteht, werde man wie bisher einen Notarzt rufen. Und der entscheide dann über eine mögliche Einweisung ins Krankenhaus.