Mit Austausch und Begegnung Erinnerungsstücke schaffen

Holocaust-Gedenken: Jugendguides aus Tübingen und Israel gehen online

Stand
AUTOR/IN
Anette Hübsch
Anette Hübsch ist Reporterin für Hörfunk, Online und Fernsehen beim SWR im Studio Tübingen. (Foto: SWR, Jochen Krumpe)

Wie vermittelt man Jugendlichen den Holocaust? Mit Begegnung und Austausch, dachte sich der Gedenkstättenverbund aus Horb-Rexingen. Entstanden ist die Website: "Pieces of Memory".

Am 1. Juli ist die Internetseite von "Pieces of Memory - Kinder in der Shoah und wir" online gegangen. Wer sie klickt, findet 29 Biographien von Nachfahren und Überlebenden des Holocaust. Das sind berührende Geschichten, illustriert mit Bildern und Texten, die Einblicke in Einzelschicksale geben. Es sollen nachvollziehbar werden, warum Menschen geflohen, und warum andere geblieben sind, sagt Projektleiterin Jule Henninger.

Gedenkstättenverbund Gäu-Neckar-Alb. Bildschirmfoto, Screenshot, Projektteam Stücke der Erinnerung, Pieces of Memory (Foto: SWR, Gedenkstettenverbund Gäu-Neckar Alb)
Jugendguides aus Tübingen und Israel bei einer Exkursion zum Tübinger Schloss im Oktober 2021

"Unser Anliegen war, die Familiengeschichten zu erzählen: vor, während und nach dem Krieg".

Die Autorinnen und Autoren der Biographien sind 20 Jugendguides aus Deutschland und Israel. Junge Menschen, die in Museen und Gedenkstätten zum Holocaust Führungen machen. Damit sollen vor allem junge Leute einen leichteren Zugang zu diesem schweren Thema finden. Die jungen Menschen im Alter von 15 bis 25 Jahren haben für das Projekt auch eigene Interviews mit Zeitzeugen geführt, die in jungen Jahren den Holocaust erleben mussten. Manche wurden verfolgt, verschleppt, in Konzentrationslager deportiert und getötet. Wenige überlebten.

Auch die Eltern von Fredy Kahn aus Nagold haben das KZ überlebt. Sie sind nach dem Krieg wieder ins Land der Täter zurückgekehrt. In einem langen Videointerview auf der Internetseite "Pieces of Memory" erzählt der 75-jährige Kahn von seiner Kindheit in Rottenburg-Baisingen. Seine Eltern taten sich schwer, wenn er sich aus ihrem Sichtbereich entfernte. Aus Angst, dass ihm etwas passieren könnte, bekam der kleine Fredy auch einen Hund und ein Kindermädchen, die auf ihn aufpassen sollten.

"Diese große Sorge meiner Eltern war für mich als Kind ganz schlimm. Ich habe genau gespürt, dass sie etwas Schlimmes erlebt hatten. Doch sie haben nie mit mir darüber geredet."

Wie über den Holocaust reden?

Die 20 Jugend-Guides aus Israel und der Region Neckar-Alb haben viel Zeit und Herzblut darauf verwendet, die Lebensgeschichten in Englisch, Hebräisch und Deutsch auf die Internetseite zu bringen. Für Projektleiterin Henninger auffällig: In vielen deutschen Familien sei die NS-Zeit noch immer ein Tabu-Thema. Ganz anders im Land der Opfer:

"In Israel ist der Umgang viel emotionaler, würde ich sagen. Auch selbstverständlicher. Viele haben eigene Familienmitglieder, die von der Shoah betroffen sind."

Besuch von sieben Jugendguides aus Israel

Auch der 16-jährige Daniel Roseman hat Interviews mit Juden aus seinem Heimatort Shavei Zion in Nordisrael geführt. Im Oktober vergangenen Jahres ist er zusammen mit sechs weiteren Jugendguides nach Süddeutschland gekommen. Zum ersten Mal. Er besuchte auch Tuttlingen, wo seine Urgroßeltern wohnten.

"In Deutschland zu sein, wo meine Familie lebte, und sich mit jungen Deutschen zu treffen, war etwas Besonderes. Ich denke, das hat mich schon geprägt."

Noch immer sei er glücklich und dankbar, dass er diesen Besuch machen konnte. Zusammen mit 13 Jugendguides aus Tübingen und Umgebung besuchte er Holocaust-Gedenkstätten und Museen in der Region Neckar-Alb.

Gedenkstättenverbund Gäu-Neckar-Alb. Bildschirmfoto, Screenshot Daniel, Stücke der Erinnerung, Pieces of Memory (Foto: SWR, Anette Hübsch)
Daniel Roseman aus Israel ist einer der Jugendguides, der im Oktober 2021 nach Tübingen zum Besuch gekommen ist.

Heinz Högerle vom Gedenkstättenverband in Horb-Rexingen freut sich, dass das Konzept des Austauschs und der Begegnung funktioniert hat. Von der Internetseite ist er begeistert.

Gedenkstättenverbund Gäu-Neckar-Alb. Bildschirmfoto, Screenshot, Stücke der Erinnerung, Pieces of Memory (Foto: SWR, Anette Hübsch)

"Das ist schon erstaunlich und einzigartig, was die Jugendlichen da gemeinsam geschaffen haben."

Erinnerungskultur Holocaust-Gedenken – Wie Jugendliche das Erinnern lernen

Zeitzeugen, die von ihrer Geschichte erzählen könnten, gibt es bald nicht mehr. Doch Gedenkstättenbesuche sind für Schulklassen oft nur öde Pflichtbesuche. Wie vermittelt man Jugendlichen den Holocaust?

SWR2 Wissen SWR2