Manche erinnern sich vielleicht: Die SPD und Thilo Sarrazin: Da waren drei Jahre Querelen und viele Instanzen nötig, bis Sarrazins Parteiausschluss schließlich feststand. Theoretisch kann das auch den Grünen und Boris Palmer blühen.

Tübinger Kreisschiedskommission ist am Zug
In einem ersten Schritt wird jetzt die Tübinger Kreisschiedskommission selbständig festlegen, wann sie die betroffenen Parteien anhört - also Boris Palmer beziehungsweise seinen Anwalt Rezzo Schlauch auf der einen und den Anwalt des Grünen Landesvorstands auf der anderen Seite. Danach muss sie über den Antrag auf Parteiausschluss entscheiden. Das Verfahren kann nach Angaben des Vorsitzenden des Grünen Bundesschiedsgerichts, Hartmut Geil, mit einem Freispruch enden, mit dem Parteiausschluss oder einer anderen Strafe. So könnte zum Beispiel entschieden werden, dass Palmer seine Mitgliedschaft bei den Grünen zwei Jahre ruhen lassen muss. Er könnte eine Rüge oder eine Verwarnung erhalten und vieles mehr.
Gang durch viele Instanzen möglich
Die Entscheidung der Tübinger Kreisschiedskommission muss nicht die endgültige Entscheidung sein: Sowohl Palmer als auch der Landesvorstand können dagegen Berufung einlegen. Dann käme das Landesschiedsgericht zum Zug. Bei erneuter Berufung: das Bundesschiedsgericht. Und selbst das wäre nicht das Ende der Fahnenstange, sagte Hartmut Geil, der Vorsitzende des Bundesschiedsgerichts der Grünen dem SWR: Man könne sogar vor normalen Gerichten gegen die Entscheidungen der Partei klagen.
"Es ist nie schön, wenn jemand aus der Partei ausgeschlossen wird. Das macht keinen Spaß, das hat man nie gerne auf dem Tisch liegen. Und es wäre natürlich schöner, wenn der Landesverband und Boris Palmer einen Weg finden würden, miteinander auszukommen, aber: Wir werden da nicht gefragt, ob es uns gefällt, wenn’s soweit kommt. Sondern im Rechtsstaat muss das zuständige Gericht entscheiden, ob ihm das Spaß macht oder nicht!“
Hat Palmer den Grünen schweren Schaden zugefügt?
In Frage kommt ein Parteiausschluss laut Geil nur, wenn die Grünen nachweisen können, dass Palmer der Partei durch sein Verhalten schweren Schaden zugefügt hat. Das regle das Parteiengesetz. In seinem Antrag versucht der Anwalt des Grünen Landesvorstands genau diesen Schaden aufzuzeigen. Palmer habe gegen Grundsätze der Partei verstoßen, heißt es da:
- Durch negative Äußerungen über Flüchtlinge, wenn er die Stadtverwaltung Polizeidaten über auffällig gewordene Asylbewerber sammeln ließ.
- Wenn er zu Beginn der Pandemie sagte, man rette möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären.
- Wenn er eine geschlechtsumgewandelte Frau wiederholt mit ihrem früheren Männernamen ansprach.

Tübinger Politikwissenschaftler rechnet mit Freispruch Palmers
Der Tübinger Politikwissenschaftler Josef Schmid bezweifelt, dass es den Grünen gelingen wird, Boris Palmer parteischädigendes Verhalten nachzuweisen. Er rechnet eher mit einem Freispruch für den Tübinger Oberbürgermeister. Der Grund: das Bundestagswahlergebnis der Tübinger Grünen sei gut gewesen. Palmer habe da also nicht geschadet. Und selbst wenn es schlecht wäre, gebe es in einem Bundestagswahlkampf viel zu viele Faktoren, als dass man einen Palmer-Einfluss herausrechnen könnte, sagt Schmid. Man müsse Leute wie Palmer aushalten.
"Ich bin ja hier als Dekan Chef von 70 Professoren. Was glauben Sie, wie viele Geisterfahrer ich habe? Die am Ende des Tages sich alle auf die Freiheit von Lehre und Forschung beziehen können? Insofern muss man damit leben: Es gibt Zustände, die schwierig sind und bei denen ich keine einfache Lösung herbeiführen kann."
Egal wie das Parteiausschlussverfahren Palmer letztlich ausgeht: Für Josef Schmid steht fest: Gerichte können keine politischen Konflikte lösen. Am Ende werde es wohl nur Verlierer geben.