Die Handwerkskammer wirbt mit einer Woche der Ausbildung um Lehrlinge. Die Ex-Studentin Chiara Angermüller erklärt, wie sie Spaß am Handwerk fand, wo sie aber auch Versäumnisse sieht und sich Verbesserungen wünscht. (Foto: SWR)

Interview zur "Woche der Ausbildung"

Friseurlehre in Freudenstadt statt Studium in Stuttgart

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Sandra Müller
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Natalie Waldenspuhl

Die Arbeitsagenturen wollen mit der "Woche der Ausbildung" junge Menschen für eine Ausbildung begeistern. Chiara Angermüller hat ihr Studium abgebrochen und arbeitet als Friseurin.

Eine Lehre machen, sich zur Bankkauffrau, zum Automechaniker, zum Schreiner ausbilden lassen, das war früher mal der Weg ins Berufsleben. Heute dagegen studieren viele nach der Schule. Das ist grundsätzlich eine tolle Sache, aber für das Handwerk auch ein Problem. Denn Auszubildende sind inzwischen schwer zu finden. In Baden-Württemberg zum Beispiel sind es heute rund ein Viertel weniger als noch vor 20 Jahren. Deswegen werben die Handwerkskammern seit Montag mit der "Woche der Ausbildung". Die soll zeigen, wie toll das Handwerk ist. Eine, die das schon erlebt hat, ist Chiara Angermüller aus Freudenstadt. Die 23-Jährige hat erst studiert und sich dann doch für eine Lehre entschieden. Sie arbeitet jetzt als Friseurin.

SWR Aktuell: Frau Angermüller, haben Sie es bereut?

Chiara Angermüller: Nein, also mit keinem Tag habe ich den Schritt, eine Ausbildung gemacht zu haben, bereut. Es ist ein sehr erfüllender Job und ich bin sehr froh, ihn machen zu können.

SWR Aktuell: Trotzdem sind Sie inzwischen schon eine Ausnahme, denn immer weniger junge Leute wollen ein Handwerk erlernen. Angeblich finden viele das nicht sexy genug - Sie anscheinend schon. Was spricht denn aus Ihrer Erfahrung für das Handwerk?

Chiara Angermüller: Aus meiner Erfahrung spricht auf jeden Fall das praktische Arbeiten dafür. Man sieht seine Arbeit vor sich, hat direkt ein Ergebnis und bekommt auch direktes Feedback vom Kunden. Außerdem verbessert man die Lebensqualität der Leute: Ob das jetzt mit einer Haarfarbe oder mit irgendwas ist, was ein Maurer oder Schreiner gebaut hat. Das Handwerk verbessert die Lebensqualität, man arbeitet praktisch und das ist für mich, und bestimmt auch für viele andere, einfach viel erfüllender als theoretische Arbeit.

Die Ex-Studentin Chiara Angermüller erklärt im Friseursalon, wie sie Spaß am Handwerk fand, wo sie aber auch Versäumnisse sieht und sich Verbesserungen wünscht. (Foto: SWR)
Die 23-Jährige liebt ihren Beruf. Sie ist Friseuse aus Leidenschaft.

SWR Aktuell: Es ist auf jeden Fall eine besondere Chance zur Zufriedenheit im Beruf. Aber trotzdem haftet dem Handwerk etwas Altbackenes an - in Ihrer Generation wahrscheinlich erst recht. Warum eigentlich? Was denken Sie?

Chiara Angermüller: Ich glaube, das ist ein Zusammenspiel von vielen Dingen, die da zusammenkommen. Ein Beispiel ist die Modernisierung. Die Ausbildung läuft in vielen Bereichen noch fast genauso, wie vor 20 oder 30 Jahren, Prüfungsordnungen haben sich kaum verändert. In meinen Augen hat da sehr wenig Modernisierung stattgefunden. Auch, dass viele Bereiche kaum digitalisiert wurden oder keine modernen Techniken mit einbinden. Klar, ich kann jetzt nur für die Friseurbranche sprechen, aber ich denke, das ist in vielen anderen Branchen genauso ein Problem. Modernisierung ist auf jeden Fall mal ein Punkt.

SWR Aktuell: Haben Sie das so erlebt, nachdem Sie dann in einen Handwerksberuf gewechselt haben? Was hat ihnen gefehlt?

Chiara Angermüller: Ich finde diesen Vergleich von einer neuen, modernen Hochschule mit super "fancy" klingenden Studiengängen, die am besten noch einen englischen Namen haben, schwierig. Denn dann kommt man auf's Land, in seine Ausbildung, in die Berufsschule, und da ist es einfach super altmodisch. Da hat sich niemand mal dahinter geklemmt und gesagt: "Hier kommen jetzt neue Techniken her, hier kommt jetzt ein frischer Wind rein!" Da sieht man das ganz anschaulich.

SWR Aktuell: Nun versuchen die Handwerkskammern zum Beispiel mit der "Woche der Ausbildung" etwas zu ändern. Am Mittwoch zum Beispiel gab es ein Online-Event von der Handwerkskammer in Reutlingen. Wären Sie da hingegangen?

Chiara Angermüller: Also ehrlich gesagt, wahrscheinlich nicht. Ich finde es super, dass da was gemacht wird. Aber ich kann nur aus meiner Erfahrung sprechen. Es wird gar nicht so an einen herangetragen, dass es überhaupt die Möglichkeit zu einer Ausbildung gibt. Ich glaube, das muss dir jemand direkt sagen und auf dich zukommen. Während der Berufsfindungsphase, so zwischen 15 und 18, muss man das bildlich vor sich sehen und jemanden hören, der von seinen Erfahrungen spricht. Wenn man sich jetzt zu irgendeinem Online-Event anmelden muss, weiß ich nicht, ob das so viele Leute erreicht.

SWR Aktuell: Wenn sie da so zurückschauen: Wo und an welcher Stelle hätte man Sie erreichen müssen?

Chiara Angermüller: Ich glaube in der Phase zwischen 15 und 18 Jahren, in der es langsam auf den Schulabschluss zugeht. Da gibt es auch verschiedene Berufs-Informations-Tage. Es gibt zum Beispiel einen Tag in der Oberstufe, wo man frei bekommt, um sich eine Uni oder eine Hochschule anzuschauen. Ich wusste nicht mal, welches Studium ich mir angucken soll. Wir sind irgendwo hingefahren und sind da auf dem Campus rumgelaufen, von dem wir keine Ahnung hatten. Warum sagt man nicht: "An dem Tag dürft ihr in einen Ausbildungsbetrieb gehen und mitarbeiten". Ihr dürft zu einem Schreiner, zu einem Friseur oder einem Kfz'ler gehen und da mitschrauben? Das wäre viel anschaulicher gewesen.

Chiara Angermüller sitzt in ihrem Friseursalon. (Foto: SWR)
Chiara Angermüller hat zunächst ein Studium begonnen, dieses aber abgebrochen, um Friseuse zu werden.

SWR Aktuell: Das heißt, Ihnen als angehende Abiturientin ist sowas damals gar nicht angeboten worden?

Chiara Angermüller: Nein.

SWR Aktuell: Das sollte man ändern, höre ich aus Ihrer Beschreibung.

Chiara Angermüller: Definitiv, aber bei mir ist das jetzt auch schon sechs Jahre her. Mittlerweile, so bekomme ich das mit, macht das Handwerk schon einiges. Ich weiß aber nicht, ob das daran liegt, dass ich jetzt in der Branche drin bin oder ob es tatsächlich auch bei den jungen Leuten ankommt. Aber es wird auf jeden Fall etwas gemacht, das merke ich schon.

SWR Aktuell: Und wo hat es bei Ihnen am Schluss dann trotzdem die Wende gegeben, dass sie nach dem Studium gesagt haben: "Nee, also jetzt doch noch eine Friseurausbildung?

Chiara Angermüller: Weil ich mit meinem Studium unglücklich war, das war mir viel zu theoretisch. Auch die Jobs, die dann danach gekommen wären, wären mir zu theoretisch gewesen. Das waren Bürojobs, wo man salopp gesagt, den ganzen Tag Mails oder so hin und her schickt.

Ich hatte auch nicht das Ziel: "Ich will die nächsten 50 Jahre lang in einem Büro an einem Schreibtisch sitzen". In dem Salon, in dem ich die Ausbildung gemacht habe, war ich vorher schon länger als Kundin. Und immer wenn ich dort war, war ich von der Atmosphäre fasziniert. Er ist sehr liebevoll und modern eingerichtet, die Mädels waren immer 'cool drauf' und man hat richtig gespürt, wie sie ihre Arbeit lieben.

Die Beauty-Branche und der Beruf an sich haben mich interessiert und so wurde der Gedanke an eine Ausbildung immer präsenter. Irgendwann hab ich dann meine jetzige Chefin gefragt, ob ich vielleicht mal ein paar Tage ein Praktikum machen könnte. Als ich dort war, war mir gleich klar: "Das will ich machen!"

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