80 Jahre nach den Todesmärschen

Gedenken an Opfer des KZ Schörzingen: Wanderung über Alb

Stand

Von Autor/in Nathalie Waldenspuhl

Im April 1945 wurden die KZ-Häftlinge auf der Schwäbischen Alb auf Todesmärsche geschickt. 80 Jahre später gehen Menschen diesen Weg nach. Sie wollen den Opfern gedenken.

Auf den ersten Blick sieht der Eckerwald bei Schörzingen (Zollernalbkreis) idyllisch aus: Am Wegrand kommen die ersten Blumen raus, in den Bäumen singen die Vögel und am Horizont zeichnet sich die Schwäbische Alb ab. Erst nach ein paar Metern tauchen die Betonruinen zwischen den Bäumen auf. Denn während des Zweiten Weltkriegs wurde hier ein Ölwerk errichtet - von den Häftlingen des Konzentrationslagers Schörzingen.

Eine Wandergruppe geht den Waldweg entlang, an den Ruinen vorbei. Nachdenklich hören sie zu, wenn die Leiterein der Gedenkstätte KZ Eckerwald, Brigitta Marquart-Schad erzählt. Sie berichtet über das Schieferölwerk, über die Menschen, die hier zur Arbeit gezwungen wurden. Manchmal, so sagt sie, könne man das alte Öl sogar noch riechen. Marquart-Schad hat die Gedenkwanderung, gemeinsam mit der evangelischen Kirche Württemberg, organisiert. Gemeinsam mit 14 Teilnehmern geht sie vier Tage lang den Todesmarsch der KZ-Häftlinge aus Schörzingen nach. Die Gedenkstätte Eckerwald ist eine der ersten Stationen.

Wanderer gehen den Weg der Todesmärsche nach

Seit Sonntag ist die Gruppe unterwegs. Ihr Weg führt von Schörzingen (Zollernalbkreis), über Wehingen (Kreis Tuttlingen) und Beuron bis nach Meßkirch (Kreis Sigmaringen). Insgesamt sind das 56 Kilometer. Auch vor 80 Jahren sind die KZ-Häftlinge diesen Weg gegangen. Kurz vor Kriegsende, die Alliierten waren schon auf dem Vormarsch, haben die Nationalsozialisten ihre Lager aufgelöst und die Gefangenen in Richtung Oberschwaben und Allgäu geschickt. Auf dem Weg über die Schwäbische Alb treffen die Wanderer immer wieder auf die Vergangenheit. Ereignis- und Zeitzeugenberichte erinnern daran, was vor 80 Jahren auf diesem Weg passiert ist.

Zeitzeuge berichtet über seine Erinnerungen an die KZ-Häftlinge

Einer dieser Berichte kommt von Franz-Karl Weiß. Der 87-Jährige erzählt der Gruppe, was er damals in Deilingen (Kreis Tuttlingen) erlebt hat: Auf ihrem Todesmarsch wurden die KZ-Häftlinge für einige Tage im Deilinger Pfarrgarten eingepfärcht. Ohne Essen und ohne Dach über dem Kopf. Eigentlich war es den Dorfbewohnern verboten, mit ihnen zu sprechen.

Franz-Karl Weiß, damals sieben Jahre alt, sein großer Bruder und ein paar andere Kinder sind trotzdem an den Zaun gegangen. Sie hatten ein Stück Brot dabei, das sie den Häftlingen durch den Zaun gaben. Aus Dankbarkeit schenkten die Gefangenen den Kindern ein Spielzeug.

Ein Senior hält ein Holzspielzeug in die Höhe: Zwei Vögel, die aus Holz geschnitzt wurden.
Zeitzeuge Franz-Karl Weiß berichtet: Als Kind haben er und sein Bruder den KZ-Häftlingen ein Stück Brot gegeben. Im Gegenzug haben sie ein Spielzeug bekommen.

Franz-Karl Weiß hat das Spielzeug bis heute aufbewahrt. Vorsichtig packt er es aus und lässt es einmal durch die Runde gehen. An vieles aus der NS-Zeit könne er sich nicht mehr erinnern, sagt er, schließlich war er noch ein Kind. Aber die zwei kleinen Holzvögel hat er in all den Jahren nicht vergessen. Sie berühren ihn immer noch.

Gedenkwanderung macht Teilnehmer nachdenklich

Geschichten wie die von Franz-Karl Weiß lassen einen nachdenklich zurück. Umso wichtiger ist es, dass die Teilnehmenden mit ihren Erfahrungen nicht alleine bleiben. Beim Wandern sprechen sie über das, was sie umtreibt und tauschen sich aus. Auch ein Psychologe begleitet die Gruppe.

Für die Gruppe geht es abends in ihre Herberge, eine evangelische Tagungsstätte. Dort bekommen sie Zeit, das Erlebte gemeinsam zu besprechen. Noch bis Mittwoch sind sie unterwegs. In ihrer letzten Station in Meßkirch werden sie das Grab eines KZ-Häftlings besuchen, der auf dem Todesmarsch umgekommen ist.

Rechtsruck in Europa macht Gedenken noch wichtiger

Jürgen Schnizler hat die Tour mitorganisiert. Er ist Wandertherapeut und Pilgerbegleiter. Die Gedenkwanderung leitet er in dieser Form zum ersten Mal an. Die Idee kam ihm auf seinen Pilgerreisen. Auch dort stößt er immer wieder auf Erinnerungen an die Zeit des Nationalsozialismus.

Zu sehen ein Mann, der gerade etwas sagt. Hinter ihm zu sehen ist ein Mahnmal der KZ-Gedenkstätte Eckerwald.
Jürgen Schnizler ist der Initiator der Gedenkwanderung. Er sagt: "Wir müssen Geschichte lebendig halten."

Mit der Wanderung möchte er erreichen, dass das Gedenken an die Opfer der NS-Zeit lebendig bleibt. Auch dann, wenn es Zeitzeugen wie Franz-Karl Weiß nicht mehr geben wird. Er sagt: "Das Erleben vor Ort bringt mehr, als wenn man irgendwas in einem Buch oder von einer Tafel abliest." Und angesichts des Rechtsrucks in Europa: "Wir dürfen keinen Schlussstrich ziehen. Wir müssen die Geschichte lebendig erhalten."

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