Boris Palmer habe den Grünen keinen schweren Schaden zugefügt, argumentiert Rezzo Schlauch in seinem Schreiben an das Landesschiedsgericht der Grünen. Im Gegenteil. Palmer sei ein Aktivposten in der Partei - mit großen Verdiensten. Seine Stadt, Tübingen, sei bundesweit als Vorbild im kommunalen Klimaschutz bekannt. Gleichzeitig sei Tübingen in Palmers Amtszeit die wirtschaftlich am stärksten wachsende Stadt in Baden-Württemberg geworden. Das habe der Anwalt des Grünen-Landesvorstands in seinem Antrag auf Parteiausschluss ignoriert, ärgert sich Schlauch.
"Unzweifelhaft ist es (…) auch der Tatkraft, dem Ideenreichtum, der Konfliktfreudigkeit und der Risikobereitschaft von Tübingens Oberbürgermeister zu verdanken, dass die Stadt in so vielen Feldern viel beachtete Pionierarbeit leistet."
Es zeige sich, dass es genau diese Eigenschaften sind, die einerseits Palmers politischen Erfolg in der Realisierung grüner Programmatik maßgeblich bestimmten, so Schlauch in dem 55-seitigen Erwiderungsschreiben. Andererseits seien dies die behaupteten Gründe für seinen Ausschluss aus der Partei.
Rezzo Schlauch hinterfragt Grundsatzprogramm
Rezzo Schlauch dreht den Spieß um und fragt die Grünen, ob sie sich selbst noch im Einklang mit dem eigenen Grundsatzprogramm befinden. Denn das fordere politische Diskussionen, Streit, Gestaltung und Erneuerung.
Die Frage nach dem "schweren Schaden"
Zentral für das Parteiausschlussverfahren gegen Palmer ist vor allem ein Begriff: der "schwere Schaden". Denn nur wenn ein Mitglied seiner Partei einen schweren Schaden zugefügt hat, ist in Deutschland laut Parteiengesetz ein Parteiausschluss möglich. Einen solchen "schweren Schaden" nachzuweisen, ist bei Parteiausschlussverfahren bislang aber nur selten gelungen. Der Tübinger Politikwissenschaftler Josef Schmid geht davon aus, dass das Parteiausschlussverfahren gegen Palmer mit einem Freispruch enden wird.
Rezzo Schlauchs Argumente gegen einen Parteiausschluss
Auch Rezzo Schlauch bestreitet in seiner Erwiderungsschrift, dass Palmer den Grünen Schaden zugefügt habe. Und er versucht, die vielen Vorwürfe gegen Palmer zu entkräften: Dass Palmer das N-Wort im Zusammenhang mit einem schwarzen deutschen Fußballspieler benutzt habe, sei Ironie gewesen. Das hatte auch die Staatsanwaltschaft Tübingen schon so gesehen. Außerdem seien Palmers ständige Provokationen und sein bewusstes Abweichen von der Parteilinie ein Beitrag zur Diskussionskultur. Dies liege den Grünen ja eigentlich seit ihrer Entstehung besonders am Herzen.
"Die Behauptung, Palmer füge der Partei Schaden zu, kann nicht allein an vermeintlich schädlichen Äußerungen gemessen werden. Sie muss das gesamte Wirken der politischen Person berücksichtigen. Gerade in Baden-Württemberg ist davon auszugehen, dass Palmer seiner Partei weitaus mehr Stimmen einbringt, als er sie kostet."
FORSA-Umfrage belegt Palmers Beliebtheit bei Tübinger Bürgern
Dass Palmer seiner Partei nicht geschadet habe, wird für Rezzo Schlauch auch anhand von Wahlergebnissen deutlich: Seit Palmers Amtsantritt als OB hätten die Grünen zugelegt - bei der Tübinger OB-Wahl, bei der Gemeinderatswahl, bei der Bundestagswahl. Das nicht ins Bild passende Ergebnis der Gemeinderatswahl 2009 lässt Schlauch jedoch aus. Außerdem zitiert er aus einer FORSA-Umfrage, die Palmer selbst in Auftrag gegeben hatte. Demnach sei die Mehrheit der Tübinger mit der Arbeit des OBs zufrieden. Und auch heruntergebrochen auf die Tübinger Grünen ergebe sich eine große Zustimmung zur Politik Palmers.
Boris Palmer selbst hat sich bislang nicht zum Parteiausschlussverfahren geäußert.
Landesvorstand argumentiert anders
Der Anwalt des Grünen Landesvorstands argumentiert im Antrag auf Parteiausschluss, dass Palmer der Partei sehr wohl geschadet habe. Der Schaden bestehe darin, dass Palmer in den Medien immer wieder den Eindruck erwecke, dass wesentliche Positionen der Grünen zur Disposition stünden und die Partei uneinig sei. Äußerungen zur Migrationspolitik, zu einzelnen Menschen mit Migrationshintergrund, seien dafür ein Beleg. Aber auch Palmers Äußerung zu Beginn der Corona-Krise "man rette möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären".
Schiedsgericht plant Anhörung im April
Nach den Osterferien soll endlich Bewegung ins Parteiausschlussverfahren gegen Boris Palmer kommen. Das Landesschiedsgericht der Grünen plant für Ende April eine Anhörung beider Seiten. Der Grünen Landesvorstand begrüßt nach eigenen Angaben das Fortschreiten des Verfahrens und ist an einer zeitnahen Anhörung und Entscheidung interessiert.
Ein Landesparteitag hatte Anfang Mai 2021 beschlossen, ein Parteiordnungsverfahren gegen den wegen seiner Provokationen umstrittenen Rathauschef anzustrengen. Das Verfahren ist auch deshalb von großer Bedeutung, weil im Herbst in Tübingen die Wahl des Oberbürgermeisters ansteht. Palmer will als unabhängiger Kandidat antreten, weil sich seiner Meinung nach eine Kandidatur für die Grünen nicht mit einem parallelen Ausschlussverfahren verträgt.