Nachgefragt in Reutlingen

Soziale Gerechtigkeit, Rente, Migration - was die Menschen vor der Bundestagswahl bewegt

Stand

In wenigen Tagen geht es an die Wahlurnen. Was beschäftigt die Menschen kurz vor der Bundestagswahl? Welche Themen sind ihnen wichtig? Wir haben Menschen aus Reutlingen gefragt.

Was muss sich in Deutschland politisch ändern?  Steigende Lebenshaltungskosten, Migration, Fachkräftemangel und Unsicherheiten in der Rente sind nur einige Themen, die die Menschen beschäftigen. Zwei der Hauptthemen: Wirtschaft und Migration. Ein Stimmungsbild aus Reutlingen. 

Kurz vor der Wahl war 360 Grad-Hostin Leonie Maderstein in Reutlingen unterwegs und hat die Menschen dort nach ihren Wünschen und größten Herausforderungen gefragt:

Wahl 2025: Was kann Deutschland besser machen? | SWR Aktuell 360 Grad

Soziale Gerechtigkeit: Faire Löhne und Grundeinkommen

Helga sitzt am Frühstückstisch beim Verein Arbeiterbildung in Reutlingen. Dort gibt es gegen eine kleine Spende Brötchen, Käse, Wurst und Kaffee. Die 65-Jährige arbeitet bei einem Anwalt. So ein Frühstück kann sie sich zuhause nicht leisten. "Die Preisexplosion vor drei Jahren war eine Katastrophe", sagt sie. Sie hat umgestellt: auf Brot mit Butter und Gewürzen. Weil es günstiger sei. Sie wünscht sich mehr Respekt für Arme - und wirbt für ein bedingungsloses Grundeinkommen. "Dann könnte jemand studieren, dann könnte jemand eine zweite Ausbildung machen", so ihre Begründung. Das wäre eine Zukunftsvision, das vermisse sie aber bei Politiker und Politkerinnen.

Geld ist für viele Menschen ein Thema, das wird in der neuesten Folge SWR Aktuell 360 Grad auf Youtube klar. Samantha ist mit ihrer Tochter Finja in der Reutlinger Innenstadt unterwegs. Sie und ihr Mann "verdienen nicht schlecht". Sie arbeitete bei einer Bank, ihr Mann bei den Stadtwerken. Aber: Urlaub sei mittlerweile unbezahlbar geworden. "Wahrscheinlich werden wir wieder auf den Campingplatz gehen", in Italien, so Samantha. Ins Hotel, mit Flügen, das sei nicht drin. "Da zahlt man für eine Woche 5.000 Euro zu viert", erzählt die Frau aus Reutlingen.

Reicht die Rente?

Ähnlich kritisch blicken viele Menschen in Reutlingen auf das Thema Rente, so zum Beispiel Horst. Er arbeitet seit 25 Jahren bei einem kleinen Zulieferer in der Autoindustrie. Er habe seit Corona keine Gehaltserhöhung mehr bekommen und spare mit seiner Frau für die Rente. Nach eigenen Angaben würde er nach aktuellem Stand 1.200 bis 1.300 Euro bekommen. Das reiche nur knapp. Er habe Träume für die Rente, wolle Reisen, Urlaub machen. "Sie sagen immer: Zahlen Sie in die Rente ein. Um dann ums Überleben zu kämpfen?", so Horst.

Sie sagen immer: Zahlen Sie in die Rente ein. Um dann ums Überleben zu kämpfen?

Erhard dagegen ist schon in Rente. Am Monatsende habe er nichts übrig. Er bekomme 430 Euro Rente und verdiene sich etwas mit Bus fahren dazu. Die Situation sei nicht so toll, "man weiß sich aber zu helfen", meint er. Beim Einkaufen schaue er sehr genau, was er kaufe. Mehr als Grundnahrungsmittel seien für ihn nicht drin. Urlaub oder ein Auto sind für Erhard beides nicht möglich. "Wenn die Politiker dann auf die dumme Idee kommen, 'Wir müssen die Sozialleistungen noch mehr kürzen'", ist das für Erhard fern von Gut und Böse. 

Unterschiedliche Meinungen zum Thema Migration

In Reutlingen sprechen viele Menschen das Thema Migration an. Einige fordern strengere Regelungen, andere plädieren für mehr Integration. Auch Mark ist das Thema wichtig. Er ist mit zwei seiner Töchter unterwegs und kritisiert die Sicherheitslage in Reutlingen. "Im Park in Reutlingen am Bahnhof ist es äußerst schwierig nachts, ohne angepöbelt zu werden, vor allem als Frau durchzukommen", sagt er. Nach seiner Wahrnehmung ist es nicht mehr so entspannt wie früher, es gebe mehr Schlägereien und Gewalttaten. Mark findet deshalb es brauche Lösungen, für die, die "straffällig werden und im Sozialsystem rumhängen."

In Umfragen zum Sicherheitsgefühl äußern sich viele Menschen ähnlich wie Mark. In einer Befragung gab beispielsweise fast jede und jeder Zweite an, sich in Baden-Württemberg nachts unsicher zu fühlen. Nach Angaben der polizeilichen Kriminalstatistik sind Straftaten im Umfeld des Reutlinger Bahnhofs zwischen 2022 und 2023 um knapp 25 Prozent gestiegen. Für 2024 ist laut Polizei ein leichter Rückgang zu erwarten.

"Wir haben knapp 21 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Man kann die nicht alle pauschal als kriminell oder Straftäter darstellen." 

Duleem sitzt in einem Park in der Reutlinger Innenstadt. Er ist vor zehn Jahren aus dem Irak geflohen, heute studiert er in Tübingen Medizin. Er kritisiert, dass sich der Wahlkampf so auf das Thema Migration fokussiere. Duleem glaubt, dass niemand so sehr von Angst und einem Unsicherheitsgefühl profitiere, wie Rechtspopulisten. Es zeichne ein falsches Bild, "als ob wir Millionen von Menschen gerade an der Grenze haben, die bald reinkommen wollen und alles durcheinander bringen" würden, so Duleem. Die Debatte führe dazu, dass sich auch normale Bürger auf einmal unsicher fühlten und Angst hätten. Dazu komme, dass Migranten und Menschen mit Fluchtgeschichte in einen Topf geschmissen würden. "Wir haben knapp 21 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund (Anmerkung d. Red.: Laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sind es 22,3 Millionen Menschen). Man kann die nicht alle pauschal als kriminell oder Straftäter darstellen."

Angst vor Hass

Lena ist an ihrem freien Tag als Pflegefachkraft in der Reutlinger Einkaufsstraße unterwegs. Auch für die ist Migration wichtig: Denn laut Lena wird bei diesem Thema grade viel Hass produziert. Lena fordert eine soziale und positive Herangehensweise an die Sache. "Ich finde diesen Hass, der gerade rumgeht, extrem schlimm, auch gegenüber Migranten. Und ich finde, das sollte man auf jeden Fall unterbinden", so Lena.

Ob und wie die Politik auf diese Herausforderungen reagiert und ob sich die Lebensrealität der Menschen in Reutlingen und ganz Baden-Württemberg ändert, wird sich nach Sonntag zeigen, wenn ein neuer Bundestag gewählt wird und eine neue Regierungskoalition entsteht.

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