Eine Mitarbeiterin einer Teststation in der Innenstadt nimmt einen Abstrich. Das Robert Koch-Institut gibt die Sieben-Tage-Inzidenz für die Stadt Oldenburg mit 630,9 an. (Foto: dpa Bildfunk, Hauke-Christian Dittrich)

Staat zahlte Millionen an Betrüger

Abrechnungsbetrug bei Corona-Teststellen: So groß ist das Ausmaß in Baden-Württemberg

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Johannes Böhler

Seit der Einführung der Bürgertests kommen immer mehr Betrugsfälle ans Licht. Mittels gefälschter Abrechnungen kassierten Betrüger teils Geld für Tests, die es nie gegeben hatte.

Zahlreiche Anbieter kostenloser Corona-Bürgertests in Deutschland haben falsche Abrechnungen eingereicht und so den Staat um Millionen betrogen. Allein in Baden-Württemberg ermittelt die Polizei laut Landeskriminalamt (LKA) in knapp 300 Fällen. Der Schaden liege im unteren zweistelligen Millionenbereich, sagte ein Sprecher am Dienstag. Eine konkrete Schadenssumme könne das LKA jedoch aufgrund laufender Ermittlungen derzeit noch nicht beziffern, so der Sprecher.

Drogen- und Waffenfunde bei mutmaßlichen Betrügern

Im Februar hatte die Polizei bei Durchsuchungen im Großraum Stuttgart bei einem der mutmaßlichen Betrüger, der sich 600.000 Euro erschlichen haben soll, 100 Gramm Kokain gefunden. Ursprünglicher Anlass für die Durchsuchungen waren Ermittlungen gegen den Mann und gegen weitere Beschuldigte wegen Drogenhandels und Zwangsprostitution.

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Der Mann aus dem Großraum Stuttgart soll tausende Corona-Tests abgerechnet haben, die es nie gab. Der Schaden liegt mindestens im sechsstelligen Bereich.

Zwei Schusswaffen und Bargeld in Höhe von 1,3 Millionen Euro stellten Sonderermittlerinnen und -ermittler bei einem Großeinsatz im Februar in Karlsruhe sicher. Festgenommen wurden bei dem Einsatz sechs Männer, die bei der Abrechnung mit Corona-Tests ebenfalls im großen Stil betrogen haben sollen. Der Schaden geht in die Millionen, eine genaue Höhe nannte die Polizei nicht.

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In Karlsruhe haben Sonderermittler bei einem Großeinsatz sechs Männer festgenommen. Sie sollen bei der Abrechnung von Corona-Bürgertests in großem Stil betrogen haben.

LKA sieht keine Hinweise auf Bezug zur Organisierten Kriminalität

Eine Verbindung von Bürgertest-Abrechnungsbetrug im großen Stil zur Organisierten Kriminalität, also zum Beispiel Mafia-Organisationen, konnten die Ermittler jedoch bislang nicht nachweisen: "Dem LKA BW liegen keine Hinweise auf einen Bezug zur Organisierten Kriminalität vor. Zu den tätertypologischen Aspekten werden aus ermittlungstaktischen Gründen und zum aktuellen Stand der Ermittlungen keine Aussagen getroffen", antwortete ein LKA-Sprecher auf Anfrage des SWR.

Wie konnte es also soweit kommen? Als grundsätzliches Problem bei den Bürgertests zeichnet sich nach SWR-Recherchen ein betrugsanfälliges System ab: Anmelden müssen Teststellenbetreiberinnen und -betreiber ihre Stationen bei den Gesundheitsämtern auf Kreisebene, welche für die Kontrollen der Hygieneauflagen zuständig sind. Das Geld für die kostenlosen Bürgertests kommt jedoch vom Bund, und wird über die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) an die Betreiber ausgezahlt, die wiederum für die Kontrolle der Abrechnungen zuständig ist - allerdings erst seit Juli 2021. "Vorher gab es keinen Prüfauftrag", sagt Kai Sonntag, Pressesprecher der KVBW.

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Das Sozialministerium weiß weder, wie viele Corona-Testzentren es in BW gibt, noch wie oft sie geprüft werden. Trotzdem spricht man von "wirksamen Kontrollen". Für Fälle von Abrechnungsbetrug sind wiederum andere zuständig.

Die Folge: Abgesehen von der Kassenärztlichen Vereinigung fühlt sich kein Ministerium so richtig für die Bekämpfung von Betrugsfällen bei den Bürgertests verantwortlich: Weder das baden-württembergische Sozialministerium noch das Bundesgesundheitsministerium haben einen genauen Überblick über die Anzahl im Land betriebener Teststationen, die Nachfrage nach Bürgertests oder das Ausmaß des mutmaßlichen Betrugsschadens. Beide Behörden verweisen in Reaktion auf SWR-Anfragen diesbezüglich jeweils aufeinander.

Amtschef plädiert für Ende von Laien-Testungen

Weitere Maßnahmen, um das System weniger betrugsanfällig zu machen, sind seit Juli 2021 nicht mehr ergriffen worden. Uwe Lahl, Amtschef Pandemiebewältigung beim Landessozialministerium, empfiehlt laut Pressestelle lediglich, die Testung "schrittweise wieder in professionelle Hände" zu übergeben und damit wegzukommen von "Laien-Testungen durch privatwirtschaftlich fachfremde Anbieter. Das würde dem Bund viel Geld sparen und den Missbrauch reduzieren", so der Amtschef. Die aktuelle Testverordnung gilt aber noch bis Ende Juni. Bis dahin bleibt das Aufdecken von Betrugsfällen bei den zahlreichen Anbietern von Bürgertests wohl weiterhin Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigung.

"Die KVBW prüft routinemäßig", antwortet Pressesprecher Kai Sonntag auf eine Anfrage des SWR. Die Überprüfung der online eingereichten Abrechnungen erfolge binnen 17 Tagen nach bestimmten Algorithmen und auf Plausibilität, sagt Sonntag. "Falls Fehler erkennbar sind, wird die Auszahlung zurückgehalten und es werden Nachweise angefordert. Bei weiteren Auffälligkeiten wird eine vertiefte Abrechnungsprüfung eingeleitet und sämtliche Auftrags- und Leistungsdokumentationen angefordert", so der Pressesprecher weiter. Bei Verdacht auf Betrug werde der Fall an die Staatsanwaltschaft übergeben.

Laut KVBW haben im April rund 5.700 Teststellen (ohne Arztpraxen) eine Abrechnung für rund 18,7 Millionen Tests eingereicht. Pro Abstrich erhalten Teststellen-Betreiber pauschal acht Euro, dazu 3,50 Euro pro verwendetem Antigen-Schnelltest-Set.

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