Menschenmenge am Tafelladen Heilbronn nach Eröffnung (Foto: SWR)

Tag der Arbeit

Arm trotz Arbeit? Jede sechste Person in Baden-Württemberg von Armut bedroht

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AUTOR/IN
Laura Schmittinger
Marc-Julien Heinsch
SWR-Redakteur Marc-Julien Heinsch Autor Bild (Foto: David-Pierce Brill)

Arbeit gleich Wohlstand? Das galt lange in Baden-Württemberg. Doch nicht erst durch Corona und steigende Preise wächst die soziale Ungleichheit. Schützt Arbeit noch vor Armut?

Am Sonntag ist der erste Mai, der Tag der Arbeit - ein Feiertag für die einen, ein Kampftag für die anderen. Gewerkschaften kämpfen für mehr soziale Gerechtigkeit und Solidarität.

Aber schützt Arbeit noch vor Armut, wenn alles teurer wird, die Inflation steigt - aber die Löhne nicht?

Krisen treffen die wirtschaftlich Schwächsten besonders hart

Besonders hart traf die Corona-Krise die, die sowieso schon wenig haben. Mit den Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine verschärft sich diese Situation - auch im reichen Baden-Württemberg - noch weiter.

Wie ist es um Armut und Einkommen im Land bestellt? SWR-Reporterin Laura Schmittinger hat in der Stuttgarter Tafel nachgefragt: Kommen die Menschen noch über die Runden?


Viele Menschen im reichen Baden-Württemberg können sich das Einkaufen in Supermärkten nicht leisten. Allein in den vier Läden der Schwäbischen Tafel Stuttgart kaufen täglich 1.800 Menschen ein. Im Land bekommt jeder siebte Vollzeitbeschäftigte einen Niedriglohn, also Brutto weniger als 2.284 Euro im Monat, und ist damit Geringverdiener.

Armutsforscher Butterwegge: Kluft zwischen Arm und Reich vertieft sich

Der Sozialwissenschaftler Christoph Butterwegge beschäftigt sich seit über 25 Jahren mit dem Thema Armut und ihren Auswirkungen auf eine Gesellschaft. Er sagt: "Schon vor der Pandemie hat sich die Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland vertieft." Er nennt das einen "Paternoster Effekt", wie beim historischen Aufzug im Stuttgarter Rathaus: Die einen fahren nach oben, die anderen fahren nach unten. "Dieser Effekt hat sich während der Pandemie verstärkt."

Wer gilt in Baden-Württemberg als von Armut bedroht?

Menschen gelten als armutsgefährdet, wenn sie netto weniger verdienen als der Durchschnitt der Bevölkerung in ihrer Region. In Baden-Württemberg liegt die Schwelle für Einpersonenhaushalte bei fast 1.200 Euro netto. Ein Haushalt mit vier Personen gilt bei einem Nettoeinkommen unter 2.450 Euro als armutsgefährdet.

In Baden-Württemberg leben laut Statistischem Landesamt insgesamt 15,6 Prozent der Menschen mit der Gefahr arm zu werden. Anders gesagt: Knapp jeder und jede Sechste ist von Armut bedroht.

Im regionalen Vergleich ist im Rhein-Neckar-Kreis die Armutsgefährdung am höchsten, Stuttgart liegt auf Platz drei und die geringste Gefahr besteht in Schwarzwald Baar-Heuberg.

Armut bedeutet häufig den Ausschluss vom gesellschaftlichen Leben

Doch Armut bedeute nicht nur weniger Einkommen zu haben, sondern schließe Menschen auch aus dem gesellschaftlichen Leben aus, so Armutsforscher Butterwegge.

Die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben vermissen die Befragten in der Stuttgarter Tafel am meisten:

Verbraucherpreise in Baden-Württemberg steigen

Allein im April stiegen die Verbraucherpreise in Baden-Württemberg um sieben Prozent. Besonders verteuert haben sich Heizöl (plus 71 Prozent) und Kraftstoffe (plus 37 Prozent). Aber auch Lebensmittel wie Brot und Fleisch kosteten überdurchschnittlich mehr.

Für Armutsforscher Christoph Butterwegge ist ein Ende dieser Entwicklung nicht in Sicht:


"Ich fürchte, dass Energie- und Ernährungsarmut sich ausbreiten auch über den Kreis der unmittelbar Bedürftigen hinaus."

Seine Prognose: Wenn die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander gehe, dann werde sich die Gesellschaft spalten und der Zusammenhalt schwinden.

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