Den Wohnraum verkleinern und mehr teilen? Für viele ein No-Go. Doch nicht für sie: In Gundelfingen bei Freiburg (Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald) haben sich 70 Menschen zu einem Wohnprojekt zusammengeschlossen. Die Kosten für das Projekt belaufen sich auf rund elf Millionen Euro.
70 Menschen in 22 Wohnungen - mit Hausschuh-Pflicht
Von außen könnte man bei dem großen Gebäude am Rand von Gundelfingen direkt neben dem Friedhof denken: Behörde. Vier Stockwerke, großes Treppenhaus, zwei Flügel, aber zu einer Behörde passen die vielen Balkone nicht und schon gar nicht diese Antifa-Flagge. Sobald man das Haus betritt, ist schnell klar: Hier ist was anders.
"Unser ganzes Haus ist Hausschuh-Bereich", sagt Jenny Wolf, eine der Bewohnerinnen des "Wohnprojektes Allmende". Das gilt auch am Tag der offenen Tür. Für die Besucher gibt es Gäste-Hausschuhe. 70 Menschen leben hier verteilt auf 22 Wohnungen. Einige Wohnungen sind typische Studenten-WGs, andere sind Senioren-WGs oder klassische Wohnungen für Einzelpersonen oder Familien mit bis zu fünf Mitgliedern.

Wohnungsgrößen wie in den 60er Jahren
Hauke Oelschlägel wohnt mit seiner dreiköpfigen Familie in dem vierstöckigen Haus. Er hat sich schon vor ein paar Jahren für das Projekt entschieden, weil er Sorge hatte, nach Jahren in WGs, es könnte ein bisschen einsam werden nur so in der Kleinfamilie. Vor ein paar Wochen sind sie in die 60 Quadratmeter-Wohnung eingezogen. Obwohl sie vorher 100 Quadratmeter hatten, sagt er: "Dadurch, dass die Wohnung besser geschnitten ist, fühle ich mich nicht eingeengt."
Gemeinschaftsräume: Werkstatt, Badezimmer mit Wanne, Kinder-Toberaum
1.350 Euro warm zahlen sie für die 60 Quadratmeter. Nicht gerade wenig, aber ihr Lebensraum endet hier ja auch nicht an der Wohnungstür. Es gibt einen Kinder-Toberaum, einen Jugendraum, eine Werkstatt, es gibt Gästezimmer, die man günstig anmieten kann und Co-Working-Spaces. Dass das kleine Badezimmer keine Badewanne hat, macht auch nichts, denn auch ein Bad mit Badewanne gibt es im Gemeinschaftsteil. In dem Wohnprojekt wird fast alles geteilt. Dazu gehören die vier gemeinsamen Autos und vor allem ganz viel Zeit.
Zusammen essen, zusammen diskutieren
Zweimal die Woche gibt es im großen Gemeinschaftsraum ein Abendessen für alle, und weil es natürlich wahnsinnig viel zu entscheiden und gestalten gibt, gibt es viele Arbeitsgruppen und Plena, in denen sich die Hausgemeinschaft organisiert. "Wir gehen da nicht blind rein in so ein Projekt mit 70 Leuten. Wir haben ein Sozialplenum, mitunter moderiert, und haben da eine sehr gute Atmosphäre, in der Probleme direkt angesprochen werden", sagt Hauke Oelschlägel.
Studenten, Familien, Senioren: Raus aus der Uni-Blase
Einer der Bewohner ist Jona Classen. Er studiert Biologie im 1. Semester und hat ein WG-Zimmer für 450 Euro. "Ich bin der mit der Antifa-Flagge", sagt er zur Begrüßung. Die Flagge hat für Aufsehen gesorgt, weil das Wohnprojekt kurz nach dem Einzug Drohbriefe bekam. "Runter mit der antifaschistischen Aktionsflagge. Nehmen Sie diese Drohung ernst", stand in dem Brief. Erst waren alle geschockt, aber dann war schnell klar, dass man sich so schnell nicht einschüchtern lassen will. Mittlerweile gab es auch viele solidarische Post von Nachbarn. Erstmal bleibt die Flagge jedenfalls. Wie man generell mit politischen Äußerungen umgehen will, das soll demnächst mal in einem Plenum besprochen werden. Bis dahin lässt Jona Classen die Flagge jedenfalls hängen. Ihm gefällt an dem Projekt generell, dass er in dem Mehrgenerationenprojekt Menschen begegnet, die er sonst nie treffen würde. "Mit kleinen Kindern hat man in meinem Alter eigentlich nichts zu tun", erzählt der Student. Hier bekommt er schnell mal eins in die Hand gedrückt. So kommt er raus aus der üblichen Uni-Blase.
Wohnung für jede Lebensphase
"Wir haben gerade drei Kinder und daher eine Fünf-Zimmer-Wohnung. Wenn die Kinder weg sind, können wir im Haus umziehen und Platz machen für neue Familien, dadurch bleibt dann auch der Mehrgenerationen-Charakter erhalten", sagt Jenny Wolf. Sie gehört zu denen, die fast von Anfang an dabei waren.
2017 hat sich der Verein für das Projekt gegründet. Inzwischen ist es Teil des Mietshäusersyndikats, was vor allem dazu dient, dass das Haus nicht plötzlich doch verkauft werden kann. Eigentümer sind das Mietshäusersyndikat und der Hausverein gemeinsam. Finanziert wird das 11 Millionen-Euro Projekt durch einen besonderen Mix an Krediten. Ein Großteil sind Förderkredite, denn 60 Prozent sind sozialer Wohnungsbau, außerdem gibt es ganz normale Kredite von der Hausbank. Das, was klassischerweise das Eigenkapital ist, wird hier über Direktkredite abgewickelt, von Menschen, die das Projekt unterstützen, manchmal nur mit 500 Euro. Als Mieter kann man auch Kredit geben, muss es aber nicht.
Solidarische Miete, lange Warteliste für Wohnungen
Solidarität spielt eine große Rolle. Das gilt auch bei den Mieten. Bei den Sozialwohnungen sind die Mieten fest, aber bei den restlichen Wohnungen frei. Da die Baukosten gestiegen sind, musste das über höhere Mieten aufgefangen werden. Auch da gilt aber wieder: Wer kann, darf gerne mehr zahlen.
Am Tag der offenen Tür ist das Wohnprojekt regelrecht überrannt worden. Viele wollten sich ein Bild machen, wie das Leben in so einer Gemeinschaft wohl ist. Manche wären auch gern eingezogen, aber im Moment gibt es keine Chance, denn ausziehen will so schnell niemand und die Warteliste ist lang.