Positive Bilanz nach einem Jahr

Freiburg: Wie der Drogenkonsumraum Leben rettet

Stand

Von Autor/in Jan Lehmann

Für Süchtige zählt nur der nächste Schuss. Doch der kann immer der letzte sein. Mit sauberer Spritze und unter Aufsicht zu konsumieren, kann Leben retten. So geschehen in Freiburg.

195 Menschen sind in Baden-Württemberg 2024 laut Polizei-Statistik an den Folgen von Rauschgiftkonsum gestorben. In Freiburg waren es sieben - etwas weniger als die durchschnittlich zehn Drogentoten im Jahr. Das könnte auch am neuen Drogenkonsumraum liegen. Denn dort wurden im ersten Jahr des Bestehens mindestens drei Menschen gerettet. Nach Karlsruhe ist Freiburg die zweite Stadt im Land mit einem solchen Angebot.

Drogenkonsumraum bedeutet mehr Sicherheit für Suchtkranke

Aaron, 35, hatte den Tod schon vor Augen. Vor zweieinhalb Jahren war das, erzählt er. "Das war eine Überdosis. Ich war acht Minuten abwesend." Da lag er im Eingangsbereich einer Spielothek. Dass er überlebt hat, ist einem schnellen Notarzteinsatz zu verdanken. Seitdem ist es ihm wichtig, "die Sicherheit für mich zu haben, dass jemand da ist". Deshalb kommt er jetzt regelmäßig in den Drogenkonsumraum der Freiburger AWO-Drogenhilfe.

Drogensüchtige können in dem Raum mitgebrachte Betäubungsmittel unter hygienischen Bedingungen und unter Aufsicht konsumieren. Ein Ziel soll sein, die Zahl der Drogentoten zu senken.
Drogensüchtige können in dem Raum mitgebrachte Betäubungsmittel unter hygienischen Bedingungen und unter Aufsicht konsumieren. Ein Ziel soll sein, die Zahl der Drogentoten zu senken.

Der Raum in der Rosastraße neben dem Colombipark gleicht einer kleinen Arztpraxis. Am Tresen bestellt Aaron das nötige Besteck: Spritzen, Löffel, Kochsalzlösung, Tupfer, Vitamin-C-Pulver. Alles steril verpackt. "Heroin?", fragt Elke van den Boom. Aaron nickt. Für die Mitarbeiterin ist es wichtig, genau zu wissen, was konsumiert wird, damit sie im Zweifel richtig reagieren kann. Woher Aaron sein Heroin hat, wird er hier nicht gefragt. Harte Drogen zu konsumieren ist nicht strafbar. Wohl aber der Erwerb und Besitz.

Ich hatte mal eine Blutvergiftung durch unsauberen Konsum. Deswegen finde ich das Angebot, das es hier jetzt seit einem Jahr gibt, verdammt gut.

Steriles Spritz-Besteck vermindert die Gefahr von Infektionen

Mit einer Nierenschale und dem abgepackten Besteck geht Aaron zu einem langen Tisch vor einer Spiegelwand. Er setzt sich an ein mit Plexiglas abgetrenntes Tischabteil. Dort kann er sich - hygienisch sicher und unter den Augen der medizinisch geschulten Betreuer - seine Spritze setzen. Mindestens einmal täglich kommt Aaron dafür her. Hygiene spielt für ihn eine große Rolle. Denn die Blutvergiftung hatte er sich durch eine unsaubere Nadel geholt.

Selina Trinkner, Leiterin der Drogenhilfe, im Gespräch mit einem Nutzer des Drogenkonsumraums
Niedrigschwellige Beratung: Selina Trinkner, Leiterin der Freiburger Drogenhilfe, im Gespräch mit einem Nutzer des Drogenkonsumraums.

20 bis 30 andere Suchtkranke nutzen wie Aaron täglich den Drogenkonsumraum. "Menschen, die abhängigkeitserkrankt sind, die konsumieren. Das ist eine Tatsache", sagt Selina Trinkner, die Leiterin der Drogenhilfe. "Hier können sie es in einem geschützten Rahmen machen; bei Überdosierung können die Fachkräfte direkt eingreifen." Das mussten sie in den ersten zwölf Monaten seit Eröffnung des Konsumraums sieben Mal. Dafür gibt es einen Extra-Behandlungsraum mit einer Sauerstoffflasche. "Von den sieben Notfällen waren drei schwer, und die wären ganz sicher mit dem Tod geendet", sagt Trinkner.

Drogenkonsumraum nur für Schwerstabhängige

5.546-mal haben Suchtkranke im ersten Jahr den Drogenkonsumraum genutzt. Dafür mussten sie sich registrieren lassen. Das ist die Bedingung. Denn das Angebot gilt nur für Schwerstabhängige. Für Erstkonsumenten und Gelegenheitsnutzer ist es tabu. Rund 250 Menschen sind inzwischen registriert. Die meisten konsumieren intravenös - immer häufiger Kombinationen aus mehreren Substanzen. Solche Drogencocktails gelten als besonders gefährlich.

Der Betrieb des Drogenkonsumraums läuft aus polizeilicher Sicht völlig reibungslos.

Dass die Abhängigen nun häufiger drinnen statt draußen in der Stadt konsumieren, ist ein weiterer positiver Effekt. "Insbesondere ist die Zahl der Spritzenfunde im Colombipark, der Toilettenanlage Turmstraße sowie den privaten Hauseingängen im Colombi-Quartier nahezu auf Null zurückgegangen", weiß die Freiburger Polizei zu berichten. Sie ist überhaupt voll des Lobes für das neue Angebot der Drogenhilfe. Auch Befürchtungen, der Drogenkonsumraum könne sich "zu einem Anziehungspunkt und Hotspot für Dealer entwickeln", hätten sich nicht bestätigt.

Zwei junge Frauen auf einer Picknickdecke im Freiburger Colombipark
Der Freiburger Colombipark soll wieder ein Wohlfühlort werden - die offene Drogenszene ist bereits weniger präsent.

Polizei und Stadt loben das neue Angebot der Freiburger Drogenhilfe

Ähnlich zufrieden äußert sich die Stadtverwaltung. Der Konsumraum sei ein wichtiges Angebot für schwer suchtkranke Menschen und biete zudem einen niederschwelligen Zugang zu weiteren Hilfen.

Und er passt gut zum Ansinnen der Stadt, den Colombipark von seinem Schmuddel-Image zu befreien. So wird der ehemalige "Käfig", wo sich früher die Drogenszene traf und teils in aller Öffentlichkeit konsumierte, gerade zu einem Kinderspielplatz umgebaut. Der von Anwohnern bekämpfte neue Treffpunkt, der sogenannte Pergolaplatz auf der Park-Rückseite, hat sich beruhigt, seitdem es einen weiteren Platz in Nähe des Hauptbahnhofes gibt.

Ein Grund, warum Aaron den Drogenkonsumraum auch regelmäßig nutzt: Der Kontakt zu Nicht-Abhängigen. Hier kann er offen über seine Sucht reden. Von den Mitarbeitenden der Drogenhilfe bekommt er immer wieder Hinweise auf Hilfen und Therapiemöglichkeiten. "Es sollte mehr solcher Räume in Deutschland geben", meint er und fügt an: "Drogenkonsumräume retten Leben."

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