Freiburger Fachärztin und Helferin erklären

Stress und Trauma: Was Krieg mit Menschen macht

Stand

Von Autor/in Lukas Herzog

Sudan, Gaza, Ukraine: Menschen, die etwa vor diesen Kriegen fliehen, haben oft Traumatisches erlebt. Wie sich das auf ihr weiteres Leben auswirkt.

Ein Mann ließ seinen Sohn nach einem Streit allein im Wald zurück. Alkohol und Cannabis seien im Spiel gewesen. Später wurde der Sohn unterkühlt auf einer Bank gefunden. Es ist zwei Tage her, dass dieser Fall vor dem Freiburger Amtsgericht verhandelt wurde. Vor Gericht sagte der Vater, er bereue den Vorfall, verwies auf seine Flucht aus der kriegsgeplagten Ukraine und den Tod seiner Frau. Was macht Krieg mit Menschen, die vor ihm nach Deutschland fliehen?

Ukrainische Geflüchtete: "Funktionieren wie Roboter"

Wenn Oksana Vyhovska von Menschen erzählt, die vor dem Krieg aus der Ukraine geflohen sind, bekommt man einen Eindruck davon, wie tief die seelischen Wunden bei diesen Menschen sitzen müssen. Als Vorständin der Deutsch-Ukrainischen Gesellschaft Freiburg kümmert sie sich um ukrainische Geflüchtete von Offenburg (Ortenaukreis) bis Lörrach.

Vyhovska spricht hauptsächlich von Familien, bei denen nur Frauen und Kinder nach Deutschland geflohen sind. Väter und Söhne blieben in der Ukraine zurück. Manche gelten inzwischen als vermisst, andere sind in russischer Gefangenschaft oder wurden getötet. Die Mütter hier in Deutschland seien wie Roboter. Es gehe nur noch darum, zu funktionieren, sich um die Kinder zu kümmern, sagt Vyhovska.

Oksana Vyhovska über das belastende Leben geflüchteter Ukrainerinnen und Ukrainer:

Bombardierungen und zerstörte Häuser

Die meisten Menschen, die aus der Ukraine geflohen sind, hätten traumatische Erfahrungen gemacht, erklärt Vyhovska weiter. "Die haben erlebt, wie ihre Häuser zerstört wurden. Die wurden bombardiert."

Es ist wirklich schwer, wenn du weißt, dass du kein Zuhause mehr hast.

Das Leiden habe auch kein Ende, wenn sie in Deutschland ankämen. Der Krieg sei auch hier allgegenwärtig. Gleich morgens nach dem Aufstehen gehe der erste Blick auf das Handy. "Du gehst in Soziale Medien und liest: Wo wurde diese Nacht bombardiert? Wie viele Menschen sind verletzt oder getötet?" Es sei ein ständiges Leben im Stress, sagt Vyhovska. Ihre Mutter lebt bis heute in der Ukraine.

Eine blonde Frau steht gehüllt in eine ukrainische Flagge vor einem Mikrofon: Die Voritzende des Deutsch-Ukrainischen Gesellschaft in Freiburg, Oksana Vyhovska.
Mit ihrem Verein ist Oksana Vyhovska auf vielfältige Weise tätig. Sie organisiert unter anderem eine Samstagsschule für ukrainische Kinder, kulturelle Projekte wie Benefizkonzerte und politische Kundgebungen.

Folgen von Kriegstraumata sind vielseitig

Menschen, die aus Kriegsgebieten fliehen, haben oft Traumatisches erlebt. Ihnen wurde etwa Gewalt angetan oder sie mussten um das eigene Leben fürchten. Andere wiederum waren dabei, als Menschen getötet wurden. Die Folgen solcher Erlebnisse seien vielseitig, erklärt Ute Nowotny-Behrens, Leiterin der Traumaambulanz am Universitätsklinikum Freiburg.

"Das können eben Depressionen sein, das können Angststörungen sein", so Nowotny-Behrens. Auch sogenannte somatoforme Störungen seien möglich. Dabei empfinden Betroffene körperliche Schmerzen, obwohl sie keine Verletzung haben.

Posttraumatische Belastungsstörungen häufige Folge

Die gängigste Folge aber sind sogenannte Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS). Das traumatisierende Erlebnis hat sich bei Betroffenen ins Gedächtnis eingebrannt. In Albträumen, aber auch tagsüber kehrt das Erlebte vor dem inneren Auge immer wieder. Bilder des Ereignisses würden Betroffene "immer wieder überfluten", sagt Nowotny-Behrens.

Auslöser für diese Bilderflut können beispielsweise Knallgeräusche sein. Aber auch nur grüne Kleidung kann die Bilder wieder hervorrufen. Sie erinnere manche Betroffene an Militäruniformen. Hinzu kämen ein anhaltendes Bedrohungsgefühl, Anspannung und Schlafstörungen, so die Leiterin der Traumaambulanz.

Psychische Störungen auch ohne Kriegstrauma

Auch Geflüchtete, die keine solchen traumatischen Erlebnisse hatten, können laut Nowotny-Behrens psychische Störungen entwickeln. Das betreffe etwa Menschen, die nicht aus einem unmittelbar vom Krieg betroffenen Gebiet geflohen sind. So zum Beispiel Ukrainerinnen und Ukrainer aus weniger umkämpften Städten.

Auch für diese Menschen gehe die Flucht "mit einem Verlust von Heimat und Bezugspersonen einher", so Nowotny-Behrens. Man verliere möglicherweise die berufliche Anerkennung und somit Aussichten auf eine gute Arbeit. Außerdem habe man womöglich Menschen zurücklassen müssen. "Das kann zu Depressionen oder auch anhaltender Trauer führen", sagt Nowotny-Behrens.

Refugium in Freiburg: "Zuhören und da sein"

Eine Anlaufstelle für Menschen, die Ähnliches erlebt haben, bietet das Refugium der Caritas in Freiburg. Geflüchtete unterschiedlicher Nationen erhalten hier psychosoziale und medizinische Beratung. Hier bekämen Geflüchtete oft das, was im Alltag zu kurz komme, sagt Jennifer Hillebrecht, die therapeutische Leitung von Refugium: "Wir hören zu, sind da, interessieren uns."

Von hier aus versuche man, den Geflüchteten Therapieplätze zu vermitteln. Oft gelinge das aber nicht, so Hillebrecht. Es scheitere etwa an der sprachlichen Hürde zwischen Geflüchteten und Therapeutinnen und Therapeuten. Manchmal fehle auch die fachliche Kompetenz für die spezifischen psychischen Erkrankungen von Geflüchteten.

Kein schneller Weg zur Heilung

Therapie, da sind sich aber Helferin und Expertinnen einig, sei das Wichtigste für diese Menschen. Einen schnellen Weg zur Heilung gibt es oft nicht. Hillebrecht hat beispielsweise noch heute eine Person in der Beratung, die vor zehn Jahren zum ersten Mal zu ihr kam.

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