Interview mit Caritas-International-Mitarbeiterin aus Freiburg

Ukraine-Konflikt: "Viele Leute haben ein mulmiges Gefühl"

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AUTOR/IN
Jan Ludwig
Charlotte Schönberger
Charlotte Schönberger, Redakteurin und Reporterin beim SWR (Foto: Katja Madžar)

Die Lage im Ukraine-Konflikt ist unverändert angespannt. Caritas-Mitarbeiterin Henrike Bittermann musste ausreisen und schildert dem SWR im Interview, wie die Menschen mit der drohenden Kriegsgefahr umgehen.

Die Bundesregierung hat deutsche Staatsbürgerinnen und -bürger dazu aufgerufen, die Ukraine zu verlassen. Henrike Bittermann ist Mitarbeiterin bei Caritas International Freiburg und arbeitet normalerweise in der ukrainischen Stadt Lwiw (Lemberg), der Partnerstadt von Freiburg. Am Montag musste auch sie die Ukraine verlassen und hält sich nun wieder in Freiburg auf. SWR-Redakteur Jan Ludwig hat mit ihr gesprochen.

SWR: Wie haben Sie die Stimmung vor Ort wahrgenommen?

Henrike Bittermann: In Lwiw ist die Stimmung unter den Leuten mittlerweile angespannt, auch wenn die Stadt im Westen der Ukraine liegt. Die kriegen ja die Medienberichterstattung mit und reden mit ihren Familien in der Ostukraine und dadurch kommt bei vielen ein mulmiges Gefühl auf. Die Menschen bereiten sich langsam auf eine kriegerische Auseinandersetzung vor und treffen Sicherheitsvorkehrungen.

Für wie realistisch halten denn die Menschen, mit denen Sie gesprochen haben, eine Invasion Russlands?

Ukrainer und Ukrainerinnen sind resilient und leben seit Jahren mit der Gefahr eines wieder aufflammenden Krieges. In den letzten acht Jahren hat der Krieg an der Ostgrenze ja auch nicht wirklich aufgehört. Ein Teil der Bevölkerung rechnet mit einem Krieg. Auch weil viele westliche Länder ihre Bürger und Bürgerinnen auffordern, das Land zu verlassen. Das ist natürlich ein Statement. Andere glauben nicht dran. Auch weil Russland ja schon öfters die Truppen an der Grenze zusammengezogen hat.

Die Freiburger Partnerstadt Lwiw (das frühere Lemberg) liegt rund 70 Kilometer von Polen entfernt. (Foto: SWR)
Die Freiburger Partnerstadt Lwiw (das frühere Lemberg) liegt rund 70 Kilometer von Polen entfernt.
Henrike Bittermann (Foto: SWR, Privat)
Henrike Bittermann ist Mitarbeiterin von Caritas International in der Ukraine Privat

Sie selbst sind auch immer wieder im Osten des Landes unterwegs. Wie ist dort die Lage?

Bittermann: Wir sind in der Ostukraine auch entlang der sogenannten Pufferzone aktiv, also entlang des Bereichs, der nicht mehr von der ukrainischen Regierung kontrolliert wird. Die Lage für die Menschen ist jetzt schon sehr schwierig. Dort fehlt es an allem: Es gibt zu wenig Lebensmittel und Heizmaterial, die medizinische Versorgung ist schlecht. Die Menschen sind auf Unterstützung angewiesen.

Was würde ein Angriff Russlands für die Ukrainerinnen und Ukrainer bedeuten?

Bittermann: Die Menschen wollen nicht nochmal in eine Situation kommen wie 2014 (Anmerkung der Redaktion: 2014 kam es zum Einmarsch Russlands in die Ukraine und zur Annexion der Krim). Damals sind viele geflohen. Sie haben schon mal alles verloren und mussten neu anfangen. Das wollen die Leute nicht nochmal erleben.

Rechnen Sie bei einem Kriegsausbruch mit einer Fluchtbewegung Richtung Westen?

Bittermann: Sollte Russland tatsächlich in die Ukraine einmarschieren, kann ich mir das gut vorstellen. Allerdings ist die Ukraine flächenmäßig zweimal so groß wie Deutschland. Deswegen gibt es in der Ukraine viele Binnengeflüchtete. 2014 gab es zum Beispiel etwa 1,5 Millionen Geflüchtete, die innerhalb des Landes unterwegs waren. Bei einem Krieg ist der Weg weiter in den Westen, in die EU, denkbar. Polen wäre da die nächste Grenze.

Was sind die Erwartungen der Menschen in der Ukraine an Deutschland?

Bittermann: Die Ukrainerinnen und Ukrainer haben Deutschland bislang als sehr passiv wahrgenommen. Es wird immer von Sanktionen gesprochen. Aber wie sollen die Sanktionen denn konkret aussehen? Da wünschen sich viele ein klareres Statement von deutscher Seite.

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