Macron oder Le Pen? Wahlplakate im Deutsch-Französischen Gymnasium. (Foto: SWR, Anita Westrup)

Wählerverhalten im Elsass

Straßburger Politologe: "Die wenigsten haben aus Überzeugung gewählt"

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Anita Westrup

Macron gewinnt die Wahl in Frankreich. Aber Marine Le Pen ist ihm auf den Fersen, so dicht wie noch nie, vor allem im Elsass. Analysen vom Straßburger Politologen Philippe Breton.

Frankreich hat gewählt. Emmanuel Macron bleibt Frankreichs Präsident. In beiden elsässischen Départements konnte sich Macron gegen seine Herausforderin Marine Le Pen durchsetzen - mit jeweils 53 Prozent und 59 Prozent der Stimmen.

Marine Le Pen hat die Wahl zwar verloren, aber im Vergleich zu 2017 viele Stimmen dazugewonnen, besonders auf dem Land im Elsass. In der Gemeinde Heiteren, südlich von Straßburg, kam die Rechtspopulistin auf 64,4 Prozent, während Macron hier gerade einmal 35,5 Prozent erreichte. In der Gemeinde Ottmarsheim, östlich von Mulhouse, erhielt Le Pen 57 Prozent der Stimmen, während Macron 14 Prozent weniger erzielte. Marine Le Pen verwurzelt sich immer tiefer ins Elsass, sagt Philippe Breton. Er ist Politologe und Leiter des "Observatoire de la vie politique en Alsace" in Straßburg, einem politikwissenschaftlichen Forschungsinstitut mit elsässischem Schwerpunkt. In einem Interview mit dem Radiosender "France Bleu Alsace" hat er das Wählerverhalten der Elsässer analysiert. Das Gespräch hat Anita Westrup übersetzt:

France Bleu Alsace: Sie sind der Gründer des "Observatoire de la vie politique en Alsace". Das Elsass hat für Macron gestimmt, aber nicht so deutlich wie im Jahr 2017. Es gab im Vorfeld Stimmen, die sagten, dass Macrons Sieg knapper ausfallen würde, überrascht Sie das Wahlergebnis?

Philippe Breton: Nein, das Ergebnis hat mich nicht wirklich überrascht. Wir beobachten, dass sich die Partei "Rassemblement National" von Marine Le Pen immer tiefer im Elsass verwurzelt, der Zuspruch für die Partei wächst in vielen Gemeinden im Elsass. Emmanuel Macron bremst diese Entwicklung ein wenig aus. In Straßburg ist etwas Überraschendes passiert: Die Partei "Rassemblement National" hat mehr als 20 Prozent der Stimmen geholt. Das ist absolut neu, vor allem in den Arbeitervierteln war die Partei erfolgreich. Marine Le Pen beginnt sich dort festzusetzen.

Marine Le Pen verwurzelt sich immer tiefer in die politische Landschaft im Elsass, sagt der Straßburger Politologe Philippe Breton.  (Foto: Observatoire de la vie politique en Alsace)
Marine Le Pen verwurzelt sich immer tiefer in die politische Landschaft im Elsass, sagt der Straßburger Politologe Philippe Breton.

France Bleu Alsace: Die Wahlbeteiligung war in Straßburg besonders niedrig, nicht wahr?

Philippe Breton: Die Wahlenthaltung ist eine komplexe Angelegenheit. In den ländlicheren Regionen im Elsass haben wir gesehen, dass die Wahlbeteiligung besonders hoch ist, wenn Marine Le Pen gewählt wurde. Die Wahlenthaltung in den Städten ist eine andere Sache, das hat etwas mit einer Ablehnungshaltung zu tun. Man will weder den einen Kandidaten, noch die andere Kandidatin wählen.

France Bleu Alsace: Weiß man etwas darüber, wie sich die Mélenchon-Wähler verhalten haben? Der Linksaußen-Kandidat landete im ersten Wahlgang auf dem dritten Rang.

Philippe Breton: In Straßburg haben sich Wähler mit Migrationshintergrund, die im ersten Wahlgang für Mélenchon gestimmt haben, mehrheitlich enthalten - das war vorhersehbar.

France Bleu Alsace: Die Blockade gegen rechts in Frankreich hält noch, aber ist nicht mehr so solide wie im Jahr 2017.

Philippe Breton: Es gibt immer eine Art Blockade-Wahl. Bei diesen Präsidentschaftswahlen ist besonders auffällig, dass wenige aus Überzeugung abgestimmt haben. Viele haben sozusagen das kleinere "Übel" gewählt, sich nicht explizit für eine Person ausgesprochen, sondern die andere Person einfach mehr abgelehnt. Andere sind der Wahl ganz bewusst ferngeblieben. Diese Tendenzen nehmen in Frankreich immer mehr überhand.

France Bleu Alsace: Die politische Landschaft im Elsass verändert sich, sagen Sie. Was bedeutet das für die "Républicains" (Anmerk. d. Red. zu Deutsch Republikaner)? Sie waren jahrelang sehr erfolgreich im Elsass. Jetzt stehen bald die Parlamentswahlen an. Bei den letzten Parlamentswahlen, vor fünf Jahren, haben sich die Republikaner ganz gut geschlagen - trotz des immensen Erfolgs von Emmanuel Macrons Partei "La République en Marche". Werden sie in diesem Jahr einknicken?

Philippe Breton: Das ist die große Frage. Das rechte Lager wird immer stärker im Elsass. Die Wähler des rechten Lagers sind oft gemäßigt, sie kommen aus der rechten Mitte, sie sind nicht radikal oder rechtsaußen. Der rechtsextreme Kandidat Éric Zemmour hat keinen großen Erfolg verbuchen können. Es ist davon auszugehen, dass Macron immer wieder Wähler auf seine Seite zieht. Außerdem ist es sehr wahrscheinlich, dass viele Abgeordnete ihre Posten behalten wollen und sich deswegen bei den kommenden Parlamentswahlen Macron annähern.

France Bleu Alsace: Womit rechnen Sie noch bei den kommenden Parlamentswahlen? Könnte Mélenchon mit seiner Partei "La France insoumise" bei den Parlamentswahlen in Straßburg ähnlich durch die Decke gehen, wie bei den Präsidentschaftswahlen?

Philippe Breton: Ich glaube nicht an einen Durchbruch der Partei "La France insoumise". Die Wählerschaft ist zusammengewürfelt. Darunter sind auch viele Protestwähler. Die Wahlergebnisse sind zweifellos beachtlich. Es gibt einen Trend nach links und Mélenchon zieht diese Wähler an, aber ich denke nicht, dass die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen auch die Ergebnisse der Parlamentswahlen sein werden.

France Bleu Alsace: In Straßburg haben wir eine Bürgermeisterin von den Grünen. Können die Grünen ihre Wähler bei den Parlamentswahlen wieder mobilisieren?

Philippe Breton: Sie können versuchen, sie zurückzugewinnen, weil sie sie offenbar verloren haben. Eines der größten Probleme der Grünen bei dieser Stichwahl: Sie spielten gar keine Rolle. Es ist davon auszugehen, dass viele Grünen-Wähler von der Politik vor ihrer Haustür enttäuscht waren und einige zu Mélenchon übergelaufen sind. Vor den anstehenden Kommunalwahlen gibt es für die grüne Stadtverwaltung also einiges zu tun, um Wählerstimmen zurückzugewinnen.

Das Interview ist am 25. April 2022 um 8:10 Uhr im französischen Radiosender "France Bleu Alsace" ausgestrahlt worden.

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