Es ist ein Phänomen, das sich laut Straßburgs Bürgermeisterin Jeanne Barseghian in ganz Frankreich immer weiter ausbreitet: Menschen, die eigentlich ein Recht auf eine Notunterkunft hätten, würden auf der Straße stehengelassen.
Im Zeltcamp am Parc de l'Étoile in Sichtweite der Stadtverwaltung sollen zeitweise bis zu 200 Personen gelebt haben - Menschen aus Albanien, aus Mazedonien und Georgien, aus Afghanistan und anderen Ländern. Kleinkinder waren darunter, auch Säuglinge. In anderen Camps im Stadtgebiet leben vor allem Menschen aus afrikanischen Ländern. Wer in einem der Camps ankommt, muss dort oft monatelang ausharren, weil keine Unterkünfte bereitgestellt werden.
Der Fernsehbeitrag zum Nachschauen:
Stadt bereitet Haftungsklage vor
Die Unterbringung der Menschen sei eine Pflicht des Staates, die dieser aber nicht erfülle, sagt Straßburgs Bürgermeisterin Barseghian. "Der Staat tritt die Menschenrechte mit Füßen. Deshalb beabsichtigt die Stadt Straßburg eine Haftungsklage gegen den französischen Staat anzustrengen", so die Bürgermeisterin.
Details zur möglichen Klage "Stadt gegen den Staat" gab es zunächst nicht. Aber Barseghian rief Volksvertreter aus anderen betroffenen Städten dazu auf, sich anzuschließen.
Der Umgang mit den Geflüchteten hatte in Straßburg erst vergangene Woche das örtliche Verwaltungsgericht beschäftigt. Da hatte Präfektin Josiane Chevalier die Justiz bemüht, um eine Räumung des Camps am Parc de l'Étoile durchzusetzen. Und das Gericht hatte die Stadt schließlich verpflichtet, diese Räumung zu veranlassen.
Inzwischen sind 45 Menschen aus dem Camp weggebracht worden. Das hat die Präfektur nach der Räumung am Dienstagvormittag mitgeteilt. Die Betroffenen wurden zunächst in Turnhallen gebracht. Dann, so hieß es, seien sie abhängig von ihrer Situation untergebracht worden. 23 Betroffene ohne gültige Aufenthaltspapiere wurden demnach in ein sogenanntes Rückkehrer-Zentrum gebracht. Den Menschen würde dort Hilfe für die freiwillige Rückkehr in ihre Heimatländer angeboten, hieß es.
Von 13 Personen, die Asyl beantragt hätten, werden laut Präfektur nun elf von der Migrationsbehörde OFII betreut. Für zwei Menschen sollen gemäß des Dublin-Abkommens andere EU-Länder zuständig sein. Rund ein Dutzend Menschen sollen zudem von SIAO 67 betreut werden, einer Organisation, die Notunterkünfte für Wohnungslose koordiniert.
Lieber ins Zeltcamp als ins Herkunftsland
Nach einer Camp-Räumung im Sommer hatten einzelne Geflüchtete dem SWR berichtet, in ein Rückkehrer-Zentrum nach Bouxwiller nördlich von Straßburg gebracht worden zu sein. Dort hätten sie versichern sollen, in ihr Herkunftsland zurückzukehren - obwohl der Ausgang ihrer Asylverfahren noch offen war. Wer das ablehnte, dem wurde laut der Schilderungen die Unterbringung verwehrt. Die Betroffenen waren schließlich nach Straßburg zurückgekehrt und hatten dort erneut ihre Zelte aufgeschlagen.
Zu den Unterbringungskapazitäten im Departement Bas-Rhin hatte die zuständige Präfektur auf SWR-Anfrage vor wenigen Wochen keine Angaben machen wollen.
Straßburgs Bürgermeisterin sieht Deutschland als Vorbild
Straßburgs Bürgermeisterin Jeanne Barseghian ist sich sicher, dass ein anderer Umgang mit den Geflüchteten möglich wäre. Deutschland sieht sie da als Vorbild. "Wir sehen, was in den Städten auf der anderen Seite des Rheins passiert: Dort sind keine Camps. Warum? Weil der Föderalstaat, mit den Landkreisen und Städten die Mittel bereitstellt. Die Menschen werden untergebracht."
Dabei habe Deutschland immer wieder viel mehr Menschen aufgenommen als Frankreich. "Seit Beginn des Syrien-Krieges waren es 800.000 in Deutschland und 27.000 in Frankreich. Im Fall der Ukraine ist es genauso. Deutschland hat viel mehr aufgenommen und trotzdem hat man dort nicht eine solche Situation wie hier."
Der komplette Radiobeitrag zum Nachhören: