Der 61-jährige Autofahrer, der bei einer Verkehrskontrolle bei Efringen-Kirchen (Landkreis Lörrach) am späten Abend des 7. Februar 2022 einen Polizisten überfahren und schwer verletzt hatte, hängt offenbar der sogenannten Reichsbürger-Bewegung an. Das hat die Polizei zwei Tage nach dem Vorfall bei einer Pressekonferenz bekannt gegeben. SWR-Recherchen vor Ort und im Internet deuten auf eine schrittweise Radikalisierung des Mannes hin.
Größtenteils ein unauffälliger Bürger
Den größten Teil seines Lebens war der 61-Jährige offenbar ein unauffälliger Bürger in einem Ortsteil von Efringen-Kirchen. So beschreiben ihn Passanten und so stellt er sich selbst auf zwei Websites dar.
In Kempten kam er mit einer fernöstlichen Heilkunde in Kontakt, dem Qigong. Bei einem bayerischen Heilpraktiker absolvierte er nach eigenen Angaben eine weitere Ausbildung, diesmal zum Qigong-Kursleiter. 2015 führt er in seiner Abschlussarbeit für die Zertifizierung durch den "Deutscher Dachverband für Qigong und Taijiquan" seine Leidenschaft mit der Liebe zur Musik zusammen. Die Badische Zeitung berichtete über seine Begeisterung.
Schrittweise Radikalisierung?
Doch bei der Zeitung gehen im selben Zeitraum Leserbriefe von ihm ein, die eine andere Seite zeigen: Inhalt sind Kritik am Staat und an den "GEZ-Gebühren", manche Formulierungen lassen erkennen, dass diese Gedanken aus der Welt der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter stammen. Gegenüber dem SWR bestätigt ein Nachbar dies direkt. Geworben habe der Mann allerdings nicht für sein extremistisches Weltbild.

Zwei Kameras an seinem Wohnhaus lassen ein gesteigertes Sicherheitsbedürfnis erahnen und an einer Streuobstwiese am Ortsrand, die ihm gehört, hängt ein Schild: "Achtung Gelände wird Video überwacht". Eine Kursteilnehmerin, die bei dem 61-Jährigen Qigong lernen wollte, sagte dem SWR, J. sei eher unsicher aufgetreten, habe um Anerkennung gerungen und sie als Qigong-Lehrer nicht überzeugt. Als er auf einen Aushang hinwies, den sich die Teilnehmer durchlesen sollten, schreckte sie auf: "Die Bundesrepublik sei kein wirklicher Staat, der Zweite Weltkrieg nicht zu Ende…" habe da gestanden - "typische Reichsbürgeransichten". Die Teilnehmerin kündigt den Kurs daraufhin.
Der "Ewige Bund"
Im Internet finden sich weitere Spuren von seiner Hinwendung zum politischen Extremismus: Im russischen Netzwerk "VK" hat er unter seinem echten Namen ein Konto und setzt im Januar als Profilbild eine Texttafel einer Vereinigung namens "Ewiger Bund" ein: "Wer seine Rechte nicht kennt, hat keine", heißt es da. Und: "Wusstest du, dass wir Badener bis zum heutigen Tage eine rechtsgültige Verfassung und einen rechtmäßigen Großherzog haben?"
Dem Landeskriminalamt Baden-Württemberg liegen keine Erkenntnisse zu dem "Ewigen Bund" vor - wohl aber dem Bundesamt für Verfassungsschutz. In einer aktuellen Broschüre heißt es: Die Reichsbürger-Gruppierung "Bismarcks Erben", die auch unter dem Namen "Ewiger Bund" und "Preußisches Institut" sowie insbesondere in Form ihrer Unterorganisation "Vaterländischer Hilfsdienst" (VHD) auftritt, besteht seit Sommer 2018. In den Jahren 2019 und 2020 zeichnete sie sich durch einen für den Phänomenbereich der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" verhältnismäßig starken Mitgliederzuwachs aus, welcher sich zuletzt aber wieder etwas abgeschwächt hat.
Youtube-Video zeigt Aktivitäten der Vereinigung
Wie flächendeckend die Aktivisten dieses ewig gestrigen Bundes allein in Baden-Württemberg verteilt sind, lässt ein Video vom 18. Januar 2022 erahnen, das sie bei Youtube hochgeladen haben. An diesem Datum feiern Nationalisten und Monarchisten die Selbstkrönung Friedrich I. zum König in Preußen sowie die Ausrufung Wilhelm I. zum deutschen Kaiser in Versailles 1871. In ganz Deutschland stellen sich Reichsbürger mit roten Fackeln vor die sogenannten Bismarcktürme und filmen sich – allein in Baden-Württemberg an fünf verschiedenen Standorten.
Ob der 61-Jährige auch an solchen symbolischen Aktionen teilgenommen hat, lässt sich aus seinen Social-Media-Aktivitäten nicht ablesen. Und offen bleibt bis zu einem rechtskräftigen Urteil, inwiefern seine politische Radikalisierung zu der Tat am vergangenen Montag beigetragen hat, die die Staatsanwaltschaft als versuchten Mord wertet. Mutmaßlich habe er mit dem Frontal-Angriff auf den Polizisten die Straftat seiner erwiesenen Trunkenheitsfahrt verschleiern wollen, heißt es.