Eine CDU-Veranstaltung 1984 im Freiburger Stadtteil Landwasser. Anwesend: der damalige Postminister Christian Schwarz-Schilling. Der junge Postbote Werner Siebler nutzt die Gelegenheit und fordert den Politiker auf, das Verfahren gegen ihn und alle anderen Betroffenen einzustellen.
"Lassen Sie mich Briefträger sein und ernennen Sie mich endlich zum Beamten auf Lebenszeit!"

Mit dem Grundgesetz in der Hand wehrt sich der junge Mann gegen seine Entlassung. Er sei zwar Mitglied der kommunistischen Partei, stehe aber zur bundesdeutschen Verfassung. Der damalige Postminister Schwarz-Schilling lässt ihn abblitzen. Der Fall machte damals Schlagzeilen, das Fernsehen berichtete und befragte Passanten.
"Haben Sie Angst um Ihre Post, weil sie von einem DKP-Mann ausgetragen wird? - Nein überhaupt nicht. Das ist ein ordentlicher Mann."
Auch im Visier der Verfassungsschützer: Der junge Winfried Kretschmann
Im Rahmen des Radikalenerlasses wurden in den 1970-er und 80-er Jahren tausende junge Menschen im Südwesten durch den Verfassungsschutz überprüft, viele erhielten Berufsverbot. Aus heutiger Perspektive wirkt nicht nur der Fall Werner Siebler fragwürdig. Schon früh auch im Visier der Verfassungsschützer: Winfried Kretschmann, heute grüner Ministerpräsident, damals links-rebellischer Lehramtsstudent, bekennender Maoist. Aus heutiger Sicht seien seine Informationen über China damals "höchst dürftig" gewesen. Er habe eben auf der Seite der Schwachen stehen wollen.
"In Wirklichkeit waren das doch sehr christlich imprägnierte Impulse."
Viele junge Menschen schlossen sich damals aus Protest der DKP an, aus Protest auch gegen den laxen Umgang mit Alt-Nazis, denn viele ehemalige NSDAP-Mitglieder konnten ihre Berufe nach dem Krieg weiter ausüben.
Werner Siebler fordert Entschädigung
Der Freiburger Werner Siebler durfte erst 1991 wieder Post austragen. In den sechs Jahren seines Berufsverbotes war er teilweise geringbeschäftigt oder arbeitslos, das wirkt sich deutlich auf seine Rente aus. Heute ist Werner Siebler Vorsitzender des Freiburger Stadtverbandes des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und findet: Die Opfer des Radikalenerlasses müssten finanziell entschädigt werden. Von der Politik fordert er das Eingeständnis, dass ihm und den anderen Betroffenen Unrecht geschehen ist.
Ministerpräsident Kretschmann zögert
Aber selbst Ministerpräsident Winfried Kretschmann zögert, obwohl auch er damals erst verspätet in den Schuldienst übernommen wurde.
"Kollektiv kann man sich erst mal nicht entschuldigen."
Vielmehr müsse man sich bei den Leuten konkret entschuldigen. Zunächst müsse man immer den Einzelfall prüfen, ob jemandem Unrecht geschehen sei oder nicht. Eine Entschuldigung wäre Werner Siebler sowieso zu wenig.
"Die demokratische Kultur hat unter dem Radikalenerlass gelitten. Das gilt es aufzuarbeiten."
ARD-Doku: Jagd auf Verfassungsfeinde - Der Radikalenerlass und seine Opfer