Ein Pappschild mit der Aufschrift "Fuck this war" und eine weiß-blaue Flagge. (Foto: SWR)

Streit bei Gedenkmarsch in Freiburg

Wie sich Menschen aus Russland gegen den Ukraine-Krieg positionieren

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Wera Engelhardt
SWR Aktuell, Logo (Foto: SWR, SWR)

Solidarität zeigen - aber wie? Russinnen und Russen in der Region suchen Wege, um sich für die Ukraine stark zu machen. Doch die Gräben sind tief.

Am Anfang, nach Beginn des Krieges gegen die Ukraine, seien die Schuldgefühle erdrückend gewesen. "Ich war wie viele andere schockiert, und ich fühlte diese Schande, dass das Land, wo ich geboren wurde und dessen Bürger ich immer noch bin, so viel Leid über seinen Nachbarn gebracht hat", sagt der Russe Alexey Gresko. Dann habe er gemerkt, dass es niemandem helfe, sich von Schuld überwältigen zu lassen - also sei er aktiv geworden.

Gresko machte Wahlkampf für Alexej Nawalny

Alexey Gresko ist vor zwei Jahren aus Russland nach Deutschland geflohen. In seiner Heimat hatte er Politik gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin gemacht - als Vertrauter und Wahlkampfkoordinator von Alexej Nawalny, der jetzt seit mehr als zwei Jahren in einem russischen Straflager inhaftiert ist. In Freiburg engagiert sich Gresko heute für Menschen aus der Ukraine, geht bei Demos mit und will zeigen, dass nicht alle Russinnen und Russen auf der Seite Putins stehen.

"Leider ist es so, dass man bei den prinzipiellen Fragen - und das ist jetzt so eine prinzipielle Zeit - seine Präsenz zeigen muss. Und dass man seine Position zeigen muss."

Gedenkveranstaltung Freiburg: Konflikt wegen Flagge

Das wollte er jüngst auch auf der Gedenkveranstaltung der Deutsch-Ukrainischen Gesellschaft (DUG) in Freiburg zum Jahrestag des Kriegsbeginns. Gresko hatte die Flagge der russischen Kriegsgegner dabei: eine weiß-blau-weiße Abwandlung der russischen Nationalflagge, ohne den roten Streifen - als Symbol gegen das Blutvergießen. Die Leiterin der Veranstaltung, Oksana Vyhovska, forderte ihn auf, die Flagge runterzunehmen, doch Gresko weigerte sich und verwies auf deren Bedeutung. Nach einem Wortgefecht mit Umstehenden streifte Gresko schließlich noch das Blau-Gelb der Ukraine über. Ein Kompromiss.

Ukrainischer Verein: Keine russischen Zeichen erwünscht

Er habe nicht provozieren wollen, sagt Gresko später. Aber er wolle nunmal sichtbar sein als Russe, der sich an die Seite der Ukraine stellt. Und er wolle seine Identität nicht verleugnen. Er nehme die heftige Reaktion einiger Demoteilnehmer nicht persönlich. "Ich verstehe die Ukrainerinnen und Ukrainer", sagt er. Es sei ein emotionaler Tag gewesen.

Rund 1.500 Menschen haben an der Gedenkveranstaltung in Freiburg für die Ukraine teilgenommen.  (Foto: SWR, Peter Steffe)
1.500 Menschen kamen Ende Februar zur Gedenkveranstaltung vor das Freiburger Rathaus. Peter Steffe

Oksana Vyhovska von der DUG hat auch einige Tage nach dem Gedenkmarsch kein Verständnis für das Zeigen der weiß-blau-weißen Flagge. "Wir wollten an diesem traurigen Tag keine Zeichen von Russland sehen oder hören", sagt sie. Egal ob gute oder schlechte Zeichen, alte oder neue. Sie habe höflich gebeten, die Flagge herunterzunehmen, das sei aber ignoriert worden. Grundsätzlich sei sie für jede Unterstützung für die Ukraine dankbar. Bei künftigen Demos solle aber besprochen werden, welche Flaggen mitgebracht werden. Vyhovska fragt auch: "Wieso laufen sie nicht einfach unter der ukrainischen Flagge?"

Verein zur Integration russischsprachiger Frauen

Die Gräben, so scheint es, sind tief, seit Russland die Ukraine überfallen hat. Irina Friedemann kennt das. Auch sie stammt aus Russland, kam 1991 nach Deutschland und lebt nun in Freiburg. Dort hat sie den Verein Wesna gegründet, um vor allem russischsprachigen Frauen dabei zu helfen, sich in Deutschland einzuleben. Dazu gehören etwa Deutschkurse und Hilfe bei der Bewerbung. Nicht nur Russinnen sind dabei, sondern auch Frauen aus anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Nach Beginn des Krieges gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 verließen sowohl einige Russinnen als auch Ukrainerinnen den Verein, wie Friedemann erzählt. Das Zusammensein war unmöglich geworden.

Russin Friedemann erlebt Anfeindungen

Ihre eigene Position und die des Vereins macht Friedemann klar: "Wir sind gegen den Krieg und die russische Aggression." Trotzdem habe sie Vorbehalte und Anfeindungen erlebt, sei von Kollegen im Büro gefragt worden, ob sie nun ihren Job nun kündigen müsse. "Ich habe mich irgendwann gefragt, ob ich in Deutschland bleiben soll", erzählt sie.

Eine Frau und ein Mann sitzen an einem Tisch in einem Café. (Foto: SWR)
Irina Friedemann und Alexey Gresko planen ihr neues Angebot für politische Bildung in einem Freiburger Café.

Sie blieb, musste nicht kündigen und plant nun gemeinsam mit Alexey Gresko, den sie schon länger kennt, ein Projekt für politische Bildung in Freiburg. Die Idee: Sie wollen Vorträge und Diskussionen zu aktuellen Themen, zum Beispiel zum Bürgergeld, für russischsprachige Menschen organisieren - und dabei auch erklären, wie Gesetzgebung und politische Prozesse in Deutschland funktionieren. Diese demokratischen Abläufe seien vielen ihrer Landsleute vollkommen fremd, sagt Friedemann.

"Nur hier in Deutschland habe ich gelernt, wie Demokratie funktioniert. Und was dabei herauskommt. Und das wissen die russischsprachigen Leute nicht - woher denn auch? Insbesondere wenn diejenigen sich nicht für die Politik interessieren."

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Alexey Gresko weiß, dass nicht alle Russinnen und Russen wie er und Irina Friedemann denken. Als Beleg dafür nennt er die pro-russischen Autokorsos, die im vergangenen Jahr durch mehrere Städte - auch in Baden-Württemberg - gerollt waren. Und er glaubt, dass der Graben zwischen Menschen aus Russland und aus der Ukraine nur schwer zu überwinden sein wird. Doch er bleibt dabei: Nur zuzusehen helfe auch nichts. "Unsere Generation wird die Folgen dieses Kriegs ein ganzes Leben lang spüren. Aber man muss zuversichtlich bleiben. Und nichts dagegen zu tun - so kann ich nicht leben."

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