Europaflagge, Deutschlandflagge, Frankreichflagge (Foto: dpa Bildfunk, Picture Alliance)

Live-Talk auf der Landesgartenschau Neuenburg

"Wir müssen Hürden abbauen": Regionalpolitiker blicken auf deutsch-französische Zusammenarbeit

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Katharina Seeburger
Eine Frau mit dunkelblonden Haaren lacht in die Kamera. Ihre Haare sind etwas länger als schulterlang. Katharina Seeburger trägt einen gestreiften Pullover in blau, rosa und grau. (Foto: SWR, Laura Könsler)

Elsass und Südbaden müssen an einem Strang ziehen, um als Region stark zu sein. Darin waren sich Bärbel Schäfer und Frédéric Bierry bei dem Talk auf der Landesgartenschau einig.

Wenn man sich in der Grenzregion verstehen wolle, müsse man die Sprache der Nachbarn sprechen. Südbaden und das Elsass müssten an einem Strang ziehen, um als Region stark zu sein - auch gegenüber den Regierungen in Paris und Berlin. Das betreffe den Umweltschutz genauso wie Energiefragen, den Arbeitsmarkt und die Wirtschaft. In diesen Punkten waren sich die Freiburger Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer und der Präsident der Gebietskörperschaft Elsass, Frédéric Bierry, einig.

Hören Sie hier den Mitschnitt des Talks auf der LGS am 15.9.2022:

Bärbel Schäfer und Frédéric Bierry hatten auf Einladung des SWR Studio Freiburg und Radio France Bleu Alsace am Donnerstag auf der Landesgartenschau in Neuenburg (Kreis Breisgau-Hochschwarzwald) über die deutsch-französische Zusammenarbeit diskutiert. Unterschiedlicher Meinung waren die beiden Regionalpolitiker dagegen bei der Frage nach neuen Atomkraftwerken in Frankreich.

Sprache des Nachbarn als Grundlage

Im Elsass, berichtete Frédéric Bierry, sei die Nachfrage an Grund- und weiterführenden Schulen nach Deutschunterricht groß. Auch bilinguale Schulen seien gefragt. Es sei jedoch schwierig, Deutschlehrer zu finden.

zu sehen sind die Präsidentin des Regierungsbezirks Freiburg, Bärbel Schäfer, der Präsident der Gebietskörperschaft Elsass, Frédéric Bierry, die französische Journalistin Aurélie Locquet und die deutsche Journalistin Katharina Seeburger (Foto: SWR, Christoph Ebner)
von links: die französische Journalistin Aurélie Locquet (Radio France Bleu Alsace); Bärbel Schäfer, Präsidentin des Regierungsbezirks Freiburg; der Präsident der Gebietskörperschaft Elsass, Frédéric Bierry und die deutsche Journalistin Katharina Seeburger (SWR Studio Freiburg).

Gerade an den Grundschulen in Baden-Württemberg sieht Bärbel Schäfer hier viel Nachholbedarf. Wegen des enormen Lehrermangels ist dort der Französischunterricht gestrichen und die Stunden etwa auf Förderunterricht verteilt worden. An weiterführenden Schulen sehe die Situation besser aus: Etwa 50 Prozent der Schülerinnen und Schüler lernen Französisch. "Es ist wichtig, mehr im Alltag miteinander zu sprechen", sagte Bärbel Schäfer. Deshalb werden in Baden-Württemberg Begegnungsprojekte zwischen deutschen und französischen Schülerinnen und Schülern gefördert.

Ein gemeinsamer Arbeits- und Wirtschaftsmarkt

Rund 22.000 Menschen aus dem Elsass waren 2021 laut Statistischem Amt des Kantons Basel-Stadt in Baden beschäftigt. Etwa 90.000 Menschen insgesamt pendeln zum Arbeiten zwischen Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Viele französische Fachkräfte arbeiten in Deutschland und der Schweiz, Unternehmen im Elsass haben Probleme, Fachkräfte zu finden.

Das sieht Frédéric Bierry nicht nur als Problem: "Die Löhne in Deutschland und der Schweiz sind höher. Die Menschen haben also dann mehr Geld, das sie zuhause wieder ausgeben können und so die elsässische Wirtschaft ankurbeln." Zudem sei die Wirtschaft beider Länder gerade am Oberrhein sehr eng miteinander verknüpft und voneinander abhängig.

Abbau von Hürden notwendig

Ob Kindergeld, Steuern oder Versicherungen - Grenzgänger müssen vieles beachten. Und bei einem gemeinsamen Arbeitsmarkt kommen immer wieder neue Fragen oder Hürden dazu. So muss laut Bärbel Schäfer geklärt werden, ob die deutsche Energiepauschale auch Franzosen bekommen können, die in Deutschland arbeiten; und ob die Deutschen, die im Ausland arbeiten, hier berücksichtigt werden. "Wir müssen Hürden abbauen", so Bärbel Schäfer.

Ärgernis doppelte Umweltplakette

Völliges unverständlich findet Schäfer, dass Autofahrer inzwischen eine deutsche und eine französische Umweltplakette benötigen. Denn seit Anfang des Jahres ist die Eurometropole Straßburg eine feste Umweltzone. "Das kann man eigentlich niemandem vermitteln. Die Umweltplakette ist eine Vorgabe der Europäischen Union", so Schäfer. Frankreich erkennt die deutsche Plakette bislang nicht an, zumindest in Freiburg und Karlsruhe gilt aber inzwischen die französische Plakette.

"Ich glaube, dass wir schneller alle Umweltzonen aufheben, weil die Luft so gut ist, bevor wir europaweit einheitliche Umweltplaketten haben."

Die Region gegenüber Berlin und Paris stärken

In der Hochphase der Corona-Maßnahmen war die Grenze zwischen Frankreich und Deutschland plötzlich dicht. Weder in Paris noch in Berlin war die Tragweite damals klar. "Die geschlossenen Grenzen während der Pandemie waren einfach schrecklich", sagt Bärbel Schäfer. Um solch weitreichenden Entscheidungen in Zukunft zu verhindern, haben sich Schäfer und Bierry bei den Regierungen in Berlin und Paris eingesetzt und in den Hauptstädten Ansprechpartner gefunden. Generell helfe der Aachener Vertrag, der Staatsvertrag zwischen Deutschland und Frankreich. Darin sind auch Ziele für die Region am Oberrhein festgehalten.

Das Gelände der Sondermüll-Deponie in Wittelsheim im Elsass. (Foto: SWR)

Sondermülldeponie im Elsass macht Sorgen

Doch in vielen Bereichen fallen nach wie vor die Entscheidungen in Berlin und Paris, während die Menschen auf beiden Seiten der Grenzen mit den Folgen leben müssen. So auch im Fall der elsässischen Sondermülldeponie Stocamine in den ehemaligen Kaliminen von Wittelsheim in der Nähe von Mulhouse. Die französische Regierung hat entschieden, dass die Minen verschlossen werden und die letzten Giftstoffe in den Minen bleiben. "Es ist natürlich ein französisches Thema, aber als unmittelbare Nachbarn, beunruhigt uns das schon", so Bärbel Schäfer. Ihr französischer Kollege Frédéric Bierry betonte die Verantwortung gegenüber kommenden Generationen, das Grundwasser zu schützen.

"Ich werde da nicht lockerlassen. Ich werde alles dafür tun, dass weitere Giftstoffe aus der Mine gebracht werden. Das Thema ist für mich nicht beendet."

Generell wird aus Sicht von Bärbel Schäfer und Frédéric Bierry die Zusammenarbeit oft durch die unterschiedlichen politischen Systeme erschwert. Deutschland ist föderalistisch, und Bundesländer und sogar Kommunen können viele Dinge selbst entscheiden. Frankreich dagegen ist zentralistisch organisiert, die Entscheidungen laufen meist über Paris. "Ich beneide die deutschen Nachbarn und möchte auch mehr Entscheidungsfreiheit haben", erklärte Frédéric Bierry.

Neue Atomkraftwerke im Elsass sind Streitpunkt in der Region

Uneinig waren sich die beiden Regionalpolitiker bei der Frage nach einem neuen Atomkraftwerk im Elsass. Das kann sich Frédéric Bierry durchaus vorstellen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte im vergangenen Jahr verkündet, neue Atomkraftwerke bauen zu wollen. Frédéric Bierry ist der Ansicht, dass die erneuerbaren Energien in Frankreich noch nicht ausreichen und es daher zu wenig Atomkraftwerke gibt. Dennoch müsse man in erneuerbare Energien am Oberrhein investieren.

Fessenheim vor der Abschaltung (Foto: SWR)
Das Atomkraftwerk in Fessenheim ist inzwischen abgeschaltet. Die letzten Brennstäbe sind abtransportiert.

Schäfer: Neue AKW-Pläne Frankreichs "unmöglich und gefährlich"

Bärbel Schäfer sieht die Forderung der französischen Nachbarn nach neuen Atomkraftwerken ganz anders. "Ich finde diesen Vorschlag unmöglich und gefährlich", sagt sie. Mit Blick auf den Klimawandel dauere es zu lange, neue Atomkraftwerke zu bauen. Der Fokus müsse auf dem Ausbau der erneuerbaren Energien liegen. Das erhöhe auch den Druck auf Unternehmen und die Bevölkerung, auf erneuerbare Energien umzusteigen.

Vision für die Zukunft der Oberrhein-Region

Wie soll nun in zehn Jahren das deutsch-französische Leben und die Zusammenarbeit am Oberrhein aussehen? Regierungspräsidentin Schäfer wünscht sich, dass alle bürokratischen Hindernisse abgebaut sein werden und die Grenzregionen mehr Entscheidungsfreiheit von den nationalen Regierungen bekommen. Bei der Energie und dem Naturschutz soll noch mehr gernzüberschreitend zusammengearbeitet werden. Der Präsident der Gebietskörperschaft Elsass, Frédéric Bierry, hat die Vision, dass die Jugend mit grenzüberschreitenden Projekten im Vordergrund steht.