Der Freiburger Münsterturm ragt in den Himmel.

Empfehlungen vorgelegt

Freiburger Missbrauchskommission fordert klaren Kulturwandel in der Kirche

Stand
Autor/in
Anita Westrup
Anita Westrup ist Reporterin und Redakteurin im SWR Studio in Freiburg.

Wie lässt sich sexualisierte Gewalt in der Kirche verhindern? Knapp ein Jahr nach dem Freiburger Missbrauchsbericht haben unabhängige Experten jetzt konkrete Empfehlungen veröffentlicht.

Mehr als 540 betroffene Personen und 250 beschuldigte Priester: Der Missbrauchsbericht, der im April vergangenen Jahres veröffentlicht wurde, förderte das ganze Ausmaß sexualisierter Gewalt im Erzbistum Freiburg zutage. Der Bericht beleuchtete 45 Jahre unter drei Erzbischöfen. Es ging vor allem darum, welche Strukturen Missbrauch begünstigten. Jetzt, rund ein Jahr später, hat die unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs im Erzbistum Freiburg (GE-Kommission), eine lange Liste an konkreten Empfehlungen zusammengestellt. Die Vorschläge sind breit gefächert und deutlich formuliert. Es geht unter anderem darum, die Priesterausbildung neu auszurichten, Homosexualität zu enttabuisieren und die Missbrauchsbetroffenen angemessen zu entschädigen. Ziel sei es, Gefahren künftigen sexuellen Missbrauchs einzudämmen, teilte der Theologe und Kommissionsvorsitzende Magnus Striet mit. 

Kulturwandel auf allen Ebenen in der Kirche

Die GE-Kommission empfiehlt, dass der Freiburger Erzbischof den kirchenrechtlichen Rahmen vollständig nutzt, um eine Kultur der Kritik an Missständen innerhalb der Leitungsstrukturen der Erzdiözese zu fördern. Es sollten "kooperative Gesprächs- und Entscheidungsstrukturen" eingeführt werden, die dauerhaft in der Leitungsstruktur verankert werden. Missbrauchsfälle in der Erzdiözese Freiburg sollten künftig von der Verwaltung begleitet und von unabhängigen, außerkirchlichen Stellen kontrolliert werden.

Um ein Bewusstsein für den notwendigen Kulturwandel in der Erzdiözese zu schaffen, empfiehlt die GE-Kommission auf Leitungsebene zu hinterfragen, warum es zu einer "Kultur des Schweigens und der Inaktivität" kommen konnte. Unter externer Aufsicht sollte eine interne Aufarbeitung die Gründe für eine mangelnde Verantwortungsbereitschaft bei den kirchlichen Amtsträgern untersuchen.

Entschädigung von Betroffenen bundesweit regeln

Außerdem sollten die "seit Jahren andauernden Debatten" über angemessene Entschädigungsleistungen für Opfer sexuellen Missbrauchs bundesweit einheitlich geregelt werden, schlägt die GE-Kommission in ihrem Papier vor. Verantwortlich ist die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen der Deutschen Bischofskonferenz. 

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Der Freiburger Erzbischof Stephan Burger wird aufgefordert, diese Debatte voranzutreiben. Anerkennungsleistungen und Entschädigungsleistungen, die vor Zivilgerichten erstritten werden, sollten getrennt betrachtet werden. Betroffene Personen sollten die Möglichkeit haben, neben der kirchlichen auch staatliche Unterstützung und Entschädigung zu beantragen. Dazu empfiehlt die Kommission, für einen Zeitraum von drei Jahren "eine Fachkraft außerhalb der Kirche" zu finanzieren.

Eine Wiedergutmachung des Schadens sexualisierter Gewalt (des erlittenen Leids) kann es nicht geben. Dies ist sowohl von Betroffenen als auch von den Leitungsverantwortlichen der Kirche auszuhalten.

Priesterausbildung neu denken

Darüber hinaus empfehlen die Experten, das Ausbildungsalter für Priester deutlich zu erhöhen. Zumindest, solange die Priesterausbildung mit der Vorbereitung auf den Zölibat verbunden sei. Die Kommission hofft, dass die jungen Leuten dadurch mehr Freiheit bekommen, gegebenenfalls auch den Priesterberuf zu verlassen, ohne existenziell bedroht zu sein.

Offenerer Umgang mit Sexualität gefordert

Diese Freiheit könne auch dazu beitragen, dass betroffene Personen offen mit ihrer Sexualität umgehen, "damit nicht mangels Reife und unter dem Aspekt des Verbotenen sexuelle Übergriffe als Ersatzhandlungen verübt werden". Um Abschottung und die Bildung einer "realitätsfremden Sonderwelt" zu vermeiden, sollten Kandidaten während ihrer Ausbildung nicht mehr in einem Priesterseminar leben. Es sollte vermieden werden, dass sie in einer internen Gruppe isoliert werden, was die persönliche Entwicklung behindert und sie nur unzureichend auf ein Leben allein und in der Welt vorbereitet.

Offener Diskurs über Homosexualität

Die Auswahl von Kandidaten für den priesterlichen Dienst solle reformiert werden und durch drei bis fünf Dekane erfolgen, die mit dem Berufsalltag vertraut seien. Die Zulassung sollte frühestens nach zwei bis drei Semestern des Theologiestudiums erfolgen, nicht vor dem Studium.

Auch das Thema Homosexualität sollte den Experten zufolge enttabuisiert werden. "Bedürfnisse nach Nähe, Sexualität und sexuellen Präferenzen" sollten während der Ausbildungsphase offen und vorurteilsfrei reflektiert werden.

Erzdiözese will Gespräch mit Betroffenen suchen

Die Erzdiözese Freiburg will nun den Bericht durcharbeiten, dann das Gespräch auch mit dem Betroffenenbeirat suchen, um noch besser bei Aufarbeitung, Prävention und Intervention zu werden, heißt es in einer Mitteilung des Generalvikars vom Mittwoch. Kirche müsse ein sicherer Ort für alle sein. Zu den konkreten Forderungen des Berichts könne man sich aber erst äußern, wenn diese eingehend analysiert seien.

Laut Michael Hertl, dem Pressesprecher des Erzbistums Freiburg, liegt nicht alles im Ermessen der Erzdiözese. Das sei ein Problem. Aber man wolle genau prüfen, was getan werden könne. Dabei soll vor allem die Unterstützung der Betroffenen im Mittelpunkt stehen. Hertl spricht von Beratungsangeboten für Betroffene und erklärt, dass konkrete Verbesserungen in Zusammenarbeit mit dem Betroffenenbeirat angegangen werden.

Wichtig ist, dass wir den Betroffenen so gut zur Seite stehen, wie wir es irgendwie können.

Missbrauchsbetroffene ist von Empfehlungen enttäuscht

Von dem 38-seitigen Empfehlungspapier hat sich Julia Sander mehr erhofft. Sie ist selbst Betroffene von Missbrauch und war bis vergangenes Jahr Mitglied im Betroffenenbeirat der Erzdiözese. Die Vorschläge der GE-Kommission hat sie mit Spannung erwartet. Doch die Empfehlungen hätten viel zu lange auf sich warten lassen und seien nicht konkret genug. Sander ist enttäuscht. "Ich habe von der Kommission mehr erwartet, weil da sehr viele qualifizierte Menschen sitzen, die sehr genau wissen, dass die Lebenszeit von Betroffenen läuft und wir nicht ein Jahr auf Empfehlungen warten können." Die Freiburgerin ist der Meinung, dass die Kommission auch die Verantwortung des Staates deutlicher hätte thematisieren sollen und die Behandlung der Betroffenen in der Gesellschaft stärker in den Fokus nehmen müssen.

Missbrauchskommission arbeitet unabhängig vom Erzbistum

Die GE-Kommission besteht seit 2021. Beteiligt sind Mediziner, Juristen, Psychotherapeuten sowie eine Betroffenenvertreterin. Vorsitzender ist der Freiburger Theologe Magnus Striet. Einen ersten Bericht hatte eine Untergruppe bereits im April 2023 veröffentlicht. Darin war von mindestens 540 Missbrauchsopfern und mehr als 250 nachweislich schuldigen oder des Missbrauchs beschuldigten Priestern seit 1950 die Rede. Die Studie dokumentierte schweres Fehlverhalten im Umgang mit den Fällen vor allem bei den früheren Freiburger Erzbischöfen Oskar Saier (1978-2002) und Robert Zollitsch (2003-2013).

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