Ein Teilnehmer der verbotenen Demonstration von Gegnern der Corona-Regeln streckt seine Fäuste einem Polizisten entgegen.  (Foto: dpa Bildfunk, Fabian Sommer)

Interview mit Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie

Wie Einsatzkräfte mit Gewalterfahrungen umgehen können

STAND
AUTOR/IN
Dinah Steinbrink
ONLINEFASSUNG
Dorothee Soboll
Dorothee Soboll, SWR Studio Freiburg (Foto: SWR)

Polizei, Rettungskräfte oder Feuerwehr: Aggressionen gegenüber Einsatzkräften nehmen zu. Was machen solche Erfahrungen mit den Menschen? Darüber spricht ein Psychiater aus Südbaden.

Immer mehr Einsatzkräfte erleben im Zusammenhang mit ihrer Arbeit Gewalt, ob verbale oder auch körperliche. In Südbaden ist das jüngst passiert, als ein 61-Jähriger in Efringen-Kirchen einen Polizisten bei einer Verkehrskontrolle überfahren hat. Betroffene begeben sich oft in ärztliche Behandlung. Andreas Jähne, Chefarzt und Ärztlicher Direktor der Oberberg Tagesklinik in Lörrach und der Oberberg Fachklinik Rhein-Jura in Bad Säckingen (Kreis Waldshut), hat bereits mit einigen Patientinnen und Patienten, die im Einsatz angegangen wurden, gearbeitet. Er hat mit SWR-Moderatorin Dinah Steinbrink darüber gesprochen, was diese Erlebnisse für die Betroffenen bedeutet.

SWR: Welche Erfahrungen haben Betroffene gemacht?

Andreas Jähne: Oftmals sind es Ängste, die Patienten erlitten haben. Sie sehen sich Gewalt ausgesetzt von tätlichen Angriffen bis hin wirklich zu Schüssen oder Angriffen mit Messern, die ihr Leben bedroht haben. Viele bekommen die Bilder nicht mehr aus dem Kopf. Sie bringen Geräusche oder bestimmte Situationen damit in Verbindung. Sie sind oft nicht arbeitsfähig, können etwa kein Martinshorn mehr hören, weil dieser Film des Einsatzes dann wieder in ihrem Kopf abläuft. Im schlimmsten Fall müssen wir sie stationär behandeln.

SWR: Wie können Sie solchen Menschen helfen?

Jähne: Viele Menschen leiden unter diesen nicht nachlassenden Erinnerungen. Es geht darum, Techniken zu erlernen, um die Angst zu besiegen. Techniken aus der Psychotherapie, die verhindern, dass sich die Menschen in diesen Panikattacken verlieren. Das Hauptziel ist, dass der Patient nicht mehr ausgeliefert ist und überwältigt wird, sondern selber wieder die Kontrolle über sein Befinden und auch seine Symptome bekommt.

Das ganze Interview zum Nachhören:

SWR: In wie vielen Fällen ist so eine Thearpie erfolgreich - und in wie vielen Fällen können auch Menschen längerfristig nicht arbeiten?

Jähne: Die Therapien sind erfolgreich, sie haben eine wirklich gute sogenannte Respone-Rate. Entscheidend ist eher, dass man rasch mit einer wirklichen effektiven Therapie anfängt. Manche Betroffene warten zu lange, da spielt oft das Thema Scham eine Rolle, wenn sie sich nicht trauen, Hilfe anzunehmen, das selbst hinkriegen wollen. Dann gehen gerne mal Monate ins Land, dann wird es natürlich kompliziert. Die Symptomatik verfestigt sich, kann chronisch werden. Andererseits können andere Erkrankungen aus dem psychiatrischen Bereich dazu kommen wie eine posttraumatische Belastungsstörung oder eine Depression. Nicht wenige Patienten bekommen auch ein Suchtproblem, um etwa die Schlafstörungen alleine zu behandeln. Dann greifen nicht alle, aber doch einige, zum Alkohol oder auch zur Beruhigungsmitteln. Es ist dann nicht hoffnungslos, aber die Behandlung ist komplizierter und dauert länger.

SWR: Die Polizei teilt mit, dass die Anfeindungen, Beleidigungen und auch körperlichen Angriffe zugenommen haben und auch heftiger werden. Kommen zu Ihnen mehr Patientinnen und Patienten, werden sie auch schwerer krank?

Jähne: Es ist weit gefasst. Wir haben viele Betroffene, die nicht so schwer erkrankt sind an diesen Traumafolgestörungen, aber die sich in ihrem Selbstbild nicht mehr zurechtfinden: dass sie als Menschen, die mit einem Ethos diesen Beruf ergriffen haben, von Bürgern als Feinde gesehen und persönlich angegriffen werden. Dann geht es auch rasch in eine depressive Entwicklung hinein. Davon sehen wir relativ viele. Allgemein kann man sagen, dass schwere Übergriffe zunehmen.

SWR: Hat da auch Corona etwas verändert, zum Beispiel die vielen Demos, bei denen auch gerade Polizistinnen und Polizisten immer wieder angegangen worden sind?

Jähne: Corona spielt da sicherlich eine Rolle. Polizisten werden von bestimmten Kreisen der Bevölkerung zu einem pauschalen Bild stilisiert. Sie sind böse, sie werden nicht mehr als Menschen wahrgenommen, sondern als gesichtslose Vertreter des Staates, die man beleidigen und im Zweifelsfall bekämpfen muss. Das ist anders geworden, und das verletzt viele Menschen tief.

SWR: Trotzdem müssen die Einsatzkräfte immer rausgehen, sind möglichen Anfeindungen ausgesetzt. Gibt es etwas, das sie den Polizistinnen oder auch den Feuerwehrleuten und Rettungskräften raten können?

Jähne: Ich würde jedem Polizisten raten, sehr offen mit dem Thema umzugehen, das Gespräch im Kollegenkreis zu suchen und die Angebote der Polizeipräsidien zur psychologischen Beratung wahrzunehmen. Sie sind nicht alleine mit diesem Problem. Bei dem, was ihnen der Gegner sagt, geht es nicht darum, den individuellen Menschen anzugreifen, sondern die Funktion, die er bekleidet. Er meint mich als Vertreter des Staates und nicht als Mensch, der jetzt hier steht.

Mehr zum Thema

Efringen-Kirchen

SWR-Recherchen vor Ort und im Internet Sogenannter Reichsbürger: Radikalisierung endet mit Frontal-Angriff auf Polizisten

Was muss passieren, dass ein sogenannter Reichsbürger einen Polizisten überfährt? Recherchen im Fall Efringen-Kirchen beleuchten die Radikalisierung des Mannes.

Efringen-Kirchen

Polizisten in Efringen-Kirchen umgefahren Frontalangriff auf Polizisten: Jetzt ermittelt der Staatsschutz gegen verdächtigen "Reichsbürger"

Im Fall der versuchten Tötung eines Polizisten in Efringen-Kirchen übernimmt die Staatsschutzabteilung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe das Verfahren. Der Tatverdächtige soll "Reichsbürger" sein.