Wolodimir Selenskyj, Präsident der Ukraine (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa/Planet Pix via ZUMA Press Wire | Ukraine Presidency/Ukraine Presi)

Passen Demokratie und Heldentum zusammen?

Freiburger Soziologe über die Aktualität postheroischen Heldentums

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AUTOR/IN
Verena Knümann
ONLINEFASSUNG
Markus Gutting

Sind Helden noch zeitgemäß? Ulrich Bröckling von der Uni Freiburg beschreibt, wie es um diese Figuren angesichts des Kriegs in der Ukraine bestellt ist.

Demokratie und Heldentum, passt das denn überhaupt zusammen? Hat die "Gesellschaft der Freien und Gleichen" nicht viele sogenannte Helden zu Recht von ihren Sockeln gestürzt? Und trotzdem finden wir sie überall: in der Popkultur, im Alltag und in der Werbung sowieso. Ein Paradox, diese Faszination von Heldengeschichten, die Sehnsucht nach dem herausragenden Vorbild.

Ulrich Bröckling ist Kultursoziologe an der Uni Freiburg. Er beschäftigt sich seit über zehn Jahren mit der Figur des Helden und hat ein spannendes, umfassendes Buch zum Thema geschrieben. In der Sendung "Kunscht" des SWR-Fernsehens gibt er Antworten auf die Frage, wie es um den modernen Helden bestellt ist, der gerade in den letzten Wochen durch den Krieg in der Ukraine wieder eine ungeahnte Aktualität erfährt.

Menschen bewundern, ja - sie als Helden feiern, nein

Heldenfiguren sind Ulrich Bröckling suspekt. Man könne Menschen bewundern, man könne großen Respekt vor ihnen haben. Aber man sollte sich davor hüten, sie als Helden zu feiern, sagt der Soziologe.

"Suspekt sind sie mir, weil Heldenfiguren sehr viel von Männlichkeits-Ausdünstungen, sehr viel mit Opferbereitschaft und sehr viel mit Totenkult zu tun haben. Das können wir jetzt gerade in der Ukraine auch sehen."

Dass sein Thema quasi über Nacht so aktuell werden würde, damit hat er nicht gerechnet. Seit zehn Jahren forscht Bröckling an der Universität Freiburg zum Thema "Helden, Heroisierung und Heroismen". Nicht nur alte Kriegshelden, auch die "neuen Helden", sieht er eher skeptisch. Nicht in erster Linie das, was sie tun, sondern wie wir als Gesellschaft darauf reagieren.

Zu Heldinnen und Helden schaue man auf, so der Soziolge. Das widerspreche seiner demokratischen Sozialisation, die eher auf Augenhöhe und Egalität ausgerichtet ist. Wo indessen Helden und Heldinnen unterwegs seien, werde das, was sie tun zum Kampf: "Das kann ein sehr wichtiger, ein sehr moralisch akzeptabler Kampf sein, aber andere Formen des Sozialen, das Sorgen füreinander, das gemeinsam etwas tun, das tritt dann in den Hintergrund."

Kultursoziologe: Postheroische Zeiten brauchen Heldengeschichten

In seinem kenntnisreichen und umfassenden Buch legt Bröckling dar, warum wir auch in sogenannten postheroischen Zeiten "Heldengeschichten" brauchen, uns der Kampf zwischen Gut und Böse immer wieder fasziniert: "Wir genießen das oder sehr viele genießen das, wenn man sie im Kinosessel oder zu Hause am Computer oder im Fernsehsessel konsumieren kann - die Heldengeschichten. Das sind Geschichten, die ein hohes Maß an Anreizkraft haben. Heldengeschichten bewegen, es sind einfach oft auch spannende Geschichten. Darin liegt ein großer Teil auch der Anziehungs- und der Faszinationskraft von Helden."

Heldenfiguren spiegeln Gesellschaft im Idealbild von sich

Heldenfiguren, erläutert der Freiburger Soziologe, seien ja immer auch so etwas - gerade, wenn es sich um politische Heldenfiguren handelt - wie das Idealbild, das eine Gesellschaft von sich selbst entwirft. So wie die Heldenfigur ist, so möchte man auch als Gesellschaft, als Bevölkerung sein und das verkörpere etwa Wolodimir Selenskyj gerade in einer sehr exemplarischen Weise: "Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine erleben wir einen enormen Aufschwung an Reden über Helden. Der ukrainische Präsident wird als Held gefeiert, Putin wird als negativer als dämonischer Held verdammt."

Einfluss und Ohnmacht von Heldengeschichten in moderner Kriegsführung

Die Frage der Mobilisierung des ukrainischen Widerstandes werde auch mit Worten des Heldentums belegt. Was er da beobachte, sagt Bröckling, sei gleichzeitig die Macht dieser Heldengeschichten, die zeige, dass postheroisch eben nicht heiße, dass es keine Helden mehr geben könne. Der Einfluss dieser Heldengeschichten, die dort, und Mythen, die jetzt gestrickt werden, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt, glaubt der Soziologe. Einerseits. Andererseits - und das habe mit moderner Kriegsführung zu tun - sehe man auch die Ohnmacht solcher Heldengeschichten: "Mit Molotow-Cocktails gegen Flugzeugangriffe auf Atomkraftwerke und auf Städte vorzugehen, das zeigt, dass mit individuellem oder auch kollektivem Heldenmut militärisch oft wenig auszurichten ist."

Bedeutung von Heldengeschichten in sozialen Medien besorgniserregend

"Held" - ein dehnbarer Begriff. Was als gut, was als Böse gilt, ist für die verschiedenen Gruppen, für die jeweiligen Anhängerschaften ganz unterschiedlich. "Des einen Held ist des Anderen Schurke", sagt Bröckling. Sorge bereitet ihm im aktuellen Konflikt auch die hohe Emotionalität dieser "Heldengeschichten" und die Bedeutung der sozialen Medien als "Affektmaschinen": "Da mache ich mir große Sorgen, wie schnell diese Bilder dazu eingesetzt werden und die Kraft besitzen, politische Grundlagen, außenpolitische Grundlagen, sicherheitspolitische Grundlagen außer Kraft zu setzen und in diese Logik der Eskalation einzusteigen. Es ist dieser Zeitdruck, es sind diese schrecklichen Zerstörungen, die man sieht, die dann eine Stimmung erzeugen. Die dann letztlich alles gerechtfertigt sein lässt - diese Sorge besteht zumindest. Es gibt zwar Gegenstimmen, das ist gut so, aber es gibt noch viel zu wenig eine offene, auch kontroverse politische Diskussion darüber."

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Verena Knümann
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