Die Colonia Tovar ist ein Paradies. Umgeben von Regenwald, Obst- und Gemüseplantagen liegt der Ort etwa eine Stunde westlich der venezolanischen Hauptstadt Caracas in den Bergen. "Bei uns ist das ganze Jahr Frühling", schwärmt Erika Maldonado Suhr. Deutsche Restaurants und Fachwerkhäuser locken Scharen von Touristen. Und weit unten, am Fuß der Berge, leuchtet die Karibik.
Krise in Venezuela zwingt zum Auswandern
Kein Wunder, dass Erika Maldonado Suhr Heimweh nach Venezuela verspürt. Obwohl es auch in Endingen (Kreis Emmendingen) schön ist. "Ein bisschen wie Colonia Tovar", lächelt sie. Trotzdem haben sie und ihr Mann Ralf Muttach die Heimat vor sieben Jahren verlassen. Seit Jahren steckt Venezuela wirtschaftlich und politisch in der Krise. Nachdem sie bei Caracas auf offener Straße brutal überfallen wurden, beschlossen die beiden, auszuwandern - in das Land ihrer Vorfahren.
In Colonia Tovar wird noch kaiserstühler Dialekt gesprochen
Vor allem Ralf Muttach hatte kaum Probleme, sich am Kaiserstuhl einzuleben. Denn auch in Tovar wird Deutsch gesprochen. Allerdings nur Dialekt. Als er vor über 20 Jahren das erste Mal hierher kam, um eine Koch-Lehre zu absolvieren, hatte er zunächst Schwierigkeiten. "Ich musste immer Hochdeutsch sprechen, aber ich habe gesagt: Ich kann kein Hochdeutsch."
Deutsche Tugenden und die Liebe zur Fasnet
Trotzdem fühlte er sich in Endingen schnell heimisch. Das Fleißigsein, die Ordnung, das Essen - all das sei in Tovar genauso, erzählt er. "Ich glaub, das liegt im Blut, die Mentalität ist ähnlich." Und nicht zu vergessen die Fasnet. Muttach war Oberzunftmeister der "Tovarer Jokili" - dem venezolanischen Ableger der Endinger Narrenzunft.
Seit kurzem ist Muttach Vorsitzender des Freundeskreises Colonia Tovar. Der Verein kümmert sich seit 40 Jahren um den Austausch zwischen den zwei Städten. Zahlreiche junge Venezolaner haben, so wie Muttach selbst, mit seiner Hilfe hier eine Ausbildung gemacht. Etwa ein Dutzend von ihnen ist geblieben und lebt heute in Endingen und Umgebung.
Freundeskreis Tovar leistet medizinische Hilfe
Doch die wachsende Armut in Venezuela hat in den letzten Jahren die humanitäre Hilfe in den Vordergrund gerückt. "Wir haben gespürt, dass drüben extreme Hilfe notwendig ist, vor allem im medizinischen Bereich", sagt Bernd Meyer, der langjährige Vorsitzende des Freundeskreises. In Zusammenarbeit mit Pharmafirmen werden jetzt regelmäßig Carepakete mit Medikamenten geschnürt und nach Tovar geschickt. "Die Tabletten, die meine Mutter zum Beispiel braucht, kosten drüben 85 Dollar." Bei einem Mindestlohn von wenigen Dollar im Monat einfach unbezahlbar.
Die Krise macht auch vor dem deutschen Musterdorf nicht halt
Und so haben inzwischen Millionen Venezolaner das Land verlassen. "Ich denke, das Venezuela, das ich vermisse, gibt es im Moment nicht mehr", sagt Erika Maldonado Suhr und bekommt feuchte Augen. Die Wirtschaftskrise und die Corona-Pandemie haben auch die Touristenhochburg Colonia Tovar schwer getroffen. Das Paradies hat gelitten. Die Freundschaft mit Endingen bleibt ein Hoffnungsschimmer in schwierigen Zeiten.