Deutsche Siedlung Colonia Tovar in Venezuela (Foto: dpa Bildfunk, Georg Ismar)

Ursprung am Kaiserstuhl

Colonia Tovar - Nachfahren deutscher Auswanderer kehren aus Kolonie in Venezuela zurück

Stand
AUTOR/IN
Jan Lehmann
SWR Redakteur Jan Lehmann (Foto: SWR)

Vor 180 Jahren gründeten Kaiserstühler in Venezuela eine deutsche Kolonie - mitten im Regenwald. Jetzt kehren einige ihrer Nachkommen zurück.

Die Colonia Tovar ist ein Paradies. Umgeben von Regenwald, Obst- und Gemüseplantagen liegt der Ort etwa eine Stunde westlich der venezolanischen Hauptstadt Caracas in den Bergen. "Bei uns ist das ganze Jahr Frühling", schwärmt Erika Maldonado Suhr. Deutsche Restaurants und Fachwerkhäuser locken Scharen von Touristen. Und weit unten, am Fuß der Berge, leuchtet die Karibik.

Krise in Venezuela zwingt zum Auswandern

Kein Wunder, dass Erika Maldonado Suhr Heimweh nach Venezuela verspürt. Obwohl es auch in Endingen (Kreis Emmendingen) schön ist. "Ein bisschen wie Colonia Tovar", lächelt sie. Trotzdem haben sie und ihr Mann Ralf Muttach die Heimat vor sieben Jahren verlassen. Seit Jahren steckt Venezuela wirtschaftlich und politisch in der Krise. Nachdem sie bei Caracas auf offener Straße brutal überfallen wurden, beschlossen die beiden, auszuwandern - in das Land ihrer Vorfahren.

In Colonia Tovar wird noch kaiserstühler Dialekt gesprochen

Vor allem Ralf Muttach hatte kaum Probleme, sich am Kaiserstuhl einzuleben. Denn auch in Tovar wird Deutsch gesprochen. Allerdings nur Dialekt. Als er vor über 20 Jahren das erste Mal hierher kam, um eine Koch-Lehre zu absolvieren, hatte er zunächst Schwierigkeiten. "Ich musste immer Hochdeutsch sprechen, aber ich habe gesagt: Ich kann kein Hochdeutsch."

Bewohner der Colonia Tovar vor etwa 100 Jahren (Foto: SWR, Heimatmuseum Endingen)
Bewohner der Colonia Tovar vor etwa 100 Jahren. Bild in Detailansicht öffnen
Ralf Muttach und Bernd Meyer vom Förderkreis Tovar im Endinger Heimatmuseum (Foto: SWR, Jochen Sülberg)
Ralf Muttach und Bernd Meyer (rechts) vom Förderkreis Tovar im Endinger Heimatmuseum. Bild in Detailansicht öffnen
Deutsche Gasthausschilder in Tovar (Foto: SWR, Archiv)
In der Colonia Tovar gibt es überall deutsche Küche. Bild in Detailansicht öffnen
Fachwerkhäuser und Kirchen in Tovar (Foto: SWR, Archiv)
Pittoreskes deutsches Fachwerk mitten im venezolanischen Regenwald. Bild in Detailansicht öffnen
Deutsche Siedlung Colonia Tovar in Venezuela (Foto: dpa Bildfunk, Georg Ismar)
Weihnachten in Colonia Tovar (Archivbild). Bild in Detailansicht öffnen
Deutsche Siedlung Colonia Tovar in Venezuela (Foto: dpa Bildfunk, Georg Ismar)
Bergdorf mit Fachwerkhäusern - die Colonia Tovar wurde 1842/43 von deutschen Auswanderern gegründet. Bild in Detailansicht öffnen
Ralf Muttach aus Tovar lebt jetzt in Endingen (Foto: SWR, Jochen Sülberg)
Ralf Muttach aus Tovar lebt jetzt in Endingen. Bild in Detailansicht öffnen
Ralf Muttach beim internationalen Narrentreffen in Endingen 2007 (Foto: SWR, Archiv)
Ralf Muttach (links) beim internationalen Narrentreffen in Endingen 2007. Bild in Detailansicht öffnen

Deutsche Tugenden und die Liebe zur Fasnet

Trotzdem fühlte er sich in Endingen schnell heimisch. Das Fleißigsein, die Ordnung, das Essen - all das sei in Tovar genauso, erzählt er. "Ich glaub, das liegt im Blut, die Mentalität ist ähnlich." Und nicht zu vergessen die Fasnet. Muttach war Oberzunftmeister der "Tovarer Jokili" - dem venezolanischen Ableger der Endinger Narrenzunft.

"Man kann unsere Lieder singen, unsere Sprüchle, man kann richtig breiten Dialekt sprechen. Das ist Kultur für mich. Das haben damals unsere Vorfahren schon mitgenommen."

Ralf Muttach aus Tovar lebt jetzt in Endingen (Foto: SWR, Jochen Sülberg)
Ralf Muttach aus Tovar lebt jetzt in Endingen.

Seit kurzem ist Muttach Vorsitzender des Freundeskreises Colonia Tovar. Der Verein kümmert sich seit 40 Jahren um den Austausch zwischen den zwei Städten. Zahlreiche junge Venezolaner haben, so wie Muttach selbst, mit seiner Hilfe hier eine Ausbildung gemacht. Etwa ein Dutzend von ihnen ist geblieben und lebt heute in Endingen und Umgebung.

Freundeskreis Tovar leistet medizinische Hilfe

Doch die wachsende Armut in Venezuela hat in den letzten Jahren die humanitäre Hilfe in den Vordergrund gerückt. "Wir haben gespürt, dass drüben extreme Hilfe notwendig ist, vor allem im medizinischen Bereich", sagt Bernd Meyer, der langjährige Vorsitzende des Freundeskreises. In Zusammenarbeit mit Pharmafirmen werden jetzt regelmäßig Carepakete mit Medikamenten geschnürt und nach Tovar geschickt. "Die Tabletten, die meine Mutter zum Beispiel braucht, kosten drüben 85 Dollar." Bei einem Mindestlohn von wenigen Dollar im Monat einfach unbezahlbar.

Deutsche Siedlung Colonia Tovar in Venezuela (Foto: dpa Bildfunk, Georg Ismar)
Weihnachten in Colonia Tovar (Archivbild).

Die Krise macht auch vor dem deutschen Musterdorf nicht halt

Und so haben inzwischen Millionen Venezolaner das Land verlassen. "Ich denke, das Venezuela, das ich vermisse, gibt es im Moment nicht mehr", sagt Erika Maldonado Suhr und bekommt feuchte Augen. Die Wirtschaftskrise und die Corona-Pandemie haben auch die Touristenhochburg Colonia Tovar schwer getroffen. Das Paradies hat gelitten. Die Freundschaft mit Endingen bleibt ein Hoffnungsschimmer in schwierigen Zeiten.

Zur Lage in Venezuela

Feature Aufbruch in die Vergangenheit – Zwei revolutionäre Versuche: Venezuela und Nicaragua

In Nicaragua fegten 1979 die Sandinisten den Somoza-Clan hinweg und etablierten eine Demokratie. Doch Präsident Ortega gestaltet das Land zu einer Familien-Diktatur um. Chávez versuchte 1999 Venezuela von Parteienfilz und Korruption zu befreien, doch aus Demokratie wurde ein korruptes autoritäres Regime.

SWR2 Feature SWR2