Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat für kurze Zeit seine Amtsgeschäfte nach Rottweil verlegt, die älteste Stadt Baden-Württembergs. Anlass dafür ist die "Ortszeit Deutschland", eine Erkundungstour des Bundespräsidenten durch ganz Deutschland. Nach Altenburg in Thüringen und Quedlinburg in Sachsen-Anhalt ist er nun in Westdeutschland zu Besuch.
Das oberste Ziel von Frank-Walter Steinmeiers Reise zu Beginn seiner zweiten Amtszeit als Bundespräsident sei der Austausch mit der Bevölkerung, heißt es in einer Mitteilung. Aus seinem Amtsverständnis als Staatsoberhaupt heraus wolle Steinmeier erfahren, was den Menschen Mut und Hoffnung mache und in welchen Punkten sie skeptisch gegenüber der Demokratie und ihren Institutionen seien, so das Bundespräsidialamt. Zu Beginn des Jahres waren in Rottweil - wie auch in vielen anderen Regionen Deutschlands - regelmäßig mehr als tausend Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die Corona-Politik der Bundesregierung zu protestieren.
Bundespräsident sucht den Kontakt zur Bevölkerung
Kurz nach seiner Ankunft in Rottweil suchte er deshalb vereinzelt den Kontakt zu den Menschen, die am Straßenrand standen. Einige klatschten, als Steinmeier die Straße entlang lief - andere schauten einfach nur. "Ich freue mich, dass er kommt, aber der kleine Bürger hat nichts davon", sagte eine Passantin.
Auch Benjamin Sigrist beobachtete mit seinem kleinen Sohn Anton das Treiben um den Mann im Anzug. "Das ist natürlich was ganz Besonderes, was man so nicht jeden Tag hat", sagte er. Wäre Steinmeier aber ohne den Presserummel hier aufgetaucht, dann wäre er gar nicht so aufgefallen, fand Sigrist. "Steinmeier ist sehr dezent - das finde ich gut." Gut fand den Besuch auch Johanna Knaus: "Ich bin begeistert!" Sie hofft aber auch, dass Steinmeier nicht nur die schönen Seiten sieht, sondern auch, "was nicht so funktioniert, wie beispielsweise alternative Bauprojekte".
Steinmeier besucht Jüdische Synagoge
Neben spontanen Begegnungen mit den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt besuchte Frank-Walter Steinmeier am Dienstag unter anderem eine Jüdische Synagoge in Rottweil. Relativ schnell lenkte er das Gespräch auf die Menschen aus der Ukraine, die wegen des Krieges nach Rottweil geflüchtet sind. 320 Geflüchtete hat Rottweil bisher aufgenommen, die Synagoge unterstützte viele davon - beispielsweise bei der Suche nach einer Unterkunft. Auch die elfköpfige Familie Lamdan ist aus Kiew geflohen und seit März in Rottweil untergekommen. Im Gespräch mit Steinmeier erzählte die Familie von ihrer Flucht über Prag in einem kleinen Bus. "Es war sehr unerwartet, dass so ein Politiker in diese kleine Stadt kommt - ich fühle mich geehrt", sagt Vater Boris Lamdan.
Bundespräsident kämpft gegen Spaltung der Gesellschaft
Die "Ortszeit Deutschland" ist laut Bundespräsidialamt eine Antwort Steinmeiers auf den Entfremdungsprozess in der Gesellschaft und eine Reaktion auf die Zweifel an Politik und Demokratie. Aus diesem Grund stünden vor allem Regionen auf der Reiseroute, in denen wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Umbrüche besonders schmerzhaft und spürbar seien. In den vergangenen zwei Jahren sei Vertrauen in die politischen Institutionen verloren gegangen, die "Ortszeit Deutschland" könne beispielgebend sein für andere, das Gespräch mit den Menschen zu suchen, sagte Steinmeier im SWR-Interview.
Einige Menschen im Land fühlten sich nicht gehört, sagte Steinmeier. Er teile die Meinung nicht und wolle das mit den Besuchen vor Ort auch zeigen: Doch "wir müssen wieder ein gemeinsames Verständnis dafür entwickeln, dass Demokratie auch Mehrheitsentscheidung und Kompromiss bedeutet. Und nur weil der eigene Wunsch mal nicht zufriedengestellt wird, ist das kein Argument gegen Demokratie."
Den Sorgen der Bürgerinnen und Bürger möchte Frank-Walter Steinmeier bei "Kaffeetafel kontrovers" Gehör schenken. Es seien Themen wie der Ukraine-Krieg, die steigenden Lebenshaltungskosten und die Mobilität im ländlichen Raum, die die Menschen beschäftigten. Zudem sei das Zusammenleben nach der Corona-Pandemie ein Thema, das an der Kaffeetafel mit dem Bundespräsidenten diskutiert werde, so das Bundespräsidialamt.
Rottweiler Wahrzeichen dürfen nicht fehlen
Bei dem dreitägigen Aufenthalt des Bundespräsidenten in Rottweil dürfen selbstverständlich die Wahrzeichen der Neckarstadt nicht fehlen. Hoch hinaus ging es für Steinmeier bereits am Dienstagnachmittag: auf den TK Elevator Testturm mit Deutschlands höchster Besucherplattform in 232 Meter Höhe.
Einblicke in zeitgenössische Kunst gewährt ihm das Forum Kunst Rottweil und mit einem Besuch in einer Holzmanufaktur möchte die historische Narrenzunft Rottweil dem aus Nordrhein-Westfalen stammenden Bundespräsidenten Einblicke in die traditionelle schwäbisch-alemannische Fasnet geben.