Vor dem Landgericht Stuttgart hat der zweite Prozess um einen Mord in Sindelfingen begonnen, der sogenannte Goldbergmord. (Foto: SWR)

Fast 30 Jahre nach der Tat

Cold Case Sindelfingen mit toter Frau wird erneut verhandelt

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Vor dem Landgericht Stuttgart wird der Tod einer jungen Frau 1995 in Sindelfingen erneut verhandelt. Der angeklagte 72-jährige Rentner schweigt am ersten Prozesstag.

Auch in der Neuauflage des Prozesses um den Tod einer Frau in Sindelfingen (Kreis Böblingen) vor 27 Jahren hält der angeklagte Rentner an seinem Schweigen fest. Er werde sich nicht zur Person und auch nicht zum Vorwurf äußern, die Frau 1995 am S-Bahnhof Goldberg angegriffen und erstochen zu haben. Das ließ der inzwischen 72-jährige Angeklagte am Mittwoch im Landgericht Stuttgart über seine Anwältin mitteilen. Eigentlich hatte das Gericht den Mann 2021 wegen Mordes verurteilt, doch der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat die Entscheidung aufgehoben. Seine Begründung: Es sei unklar, was vor der Tat passiert sei. Doch genau das sei relevant für ein Urteil.

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Tod in Sindelfingen: Fast 30 Jahre ein Cold Case

Viele Jahre war der Tod einer jungen Frau an der S-Bahn-Haltestelle Goldberg ein sogenannter Cold Case: Wer in einer Julinacht 1995 auf sie eingestochen hatte, war über Jahrzehnte unklar. Die Frau war damals gegen Mitternacht auf dem Weg von der Arbeit zur S-Bahnstation Goldberg gewesen. Zwar wurde im Rahmen der Ermittlungen auch ein Mann überprüft, der damals im Kreis Böblingen lebte. Zeugen hatten angegeben, sein Auto in Tatortnähe gesehen zu haben. Die Ermittlungen liefen allerdings ins Leere.

DNA-Spuren führten zu Tatverdächtigem

Erst 2018 erhärtete ein DNA-Treffer den Verdacht gegen den jetzigen Angeklagten: DNA-Spuren unter den Fingernägeln des Opfers konnten dem heute 72-Jährigen zugeordnet werden. Vor dem Landgericht Stuttgart begann im September 2020 der Prozess gegen den Mann. Mit Hindernissen: Es fehlten Akten, angefragte Zeugen waren teilweise schon tot oder hatten Erinnerungslücken. Andere Zeugen leben inzwischen in den USA und in Kroatien.

Angeklagter schwieg beim ersten Goldberg-Prozess

Die Verhandlung wurde zu einem reinen Indizienprozess. Denn der Angeklagte schwieg eisern. Nur in seinem letzten Wort hatte er mangelhafte Ermittlungen kritisiert. Das Gericht ging bei der Tat von Heimtücke aus und verurteilte den Angeklagten zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Mordes. Das Tatmotiv blieb unklar. "Was sie angetrieben hat, darüber liegen wir völlig im Dunkeln", sagte der Vorsitzende Richter bei der Urteilsbegründung.

Bundesgerichtshof hob Urteil auf - Totschlag oder Mord?

Nach einem Revisionsantrag hob der BGH das Stuttgarter Urteil allerdings auf. Zwar sind auch die Karlsruher Richter überzeugt, dass der 72-Jährige der Täter war. Es lasse sich aber nicht aufklären, was genau vor den tödlichen Stichen passiert sei - ob es ein Gespräch oder einen Streit zwischen Täter und Opfer gegeben habe. Und ob die Frau um Hilfe rufen oder fliehen hätte können. Dann wäre es möglicherweise nicht Mord, sondern Totschlag gewesen.

Totschlag verjährt nach 20 Jahren

Totschlag verjährt nach deutschem Recht allerdings nach 20 Jahren. Kommt eine neue Strafkammer des Stuttgarter Landgerichts diesmal zur Einschätzung, dass es Totschlag war, würde der Angeklagte den Gerichtssaal als freier Mann verlassen. Denn dann wäre die Tötung der Frau in Sindelfingen verjährt.

Der Angeklagte steht nicht zum ersten Mal vor Gericht. 2007 hatte ihn das Landgericht Würzburg schon einmal verurteilt: wegen der Tötung einer aus dem Kreis Schwäbisch Hall stammenden Geschäftsfrau in Oberfranken und wegen räuberischer Erpressung. Auch hier fanden zwei Prozesse statt: Im ersten Prozess wurde der Angeklagte freigesprochen, im zweiten verurteilt.

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