Wochenrückblick Stuttgart

Kleiner Pieks, großer Streit: Woher kommt die Impfskepsis?

Stand

Von Autor/in Kerstin Rudat

Es ist gerade europäische Impfwoche. Ja, langweilig. Aber Impfen ist so mit die einfachste Gesundheitsvorsorge, die wir treffen können. Warum ist das in Württemberg immer noch so schwierig?

Hi, ich bin Kerstin Rudat und arbeite im Studio Stuttgart. Während ich die ersten Zeilen dieses Textes schreibe, beginnt meine erste FSME-Impfung zu wirken. Also, ich hoffe, dass der erste Schritt gegen Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) seine Wirkung entfaltet. Zwei Mal muss ich mich dann noch von meinem Hausarzt pieksen lassen, dann ist die Impfung gegen Hirnhautentzündung voll wirksam. Und ja, ich gebe zu, ich habe mich erst jetzt, sehr spät, für diese Impfung entschieden.

Und ich weiß, dass gerade in Württemberg sehr viele Menschen Probleme haben mit allen möglichen Impfungen. Insgesamt hat Baden-Württemberg vor allem bei Masern und Diphterie bei den offiziellen Zahlen ganz schlechte Impfquoten - trotz Impfpflicht. Eigentlich ist Impfen so mit die einfachste Gesundheitsvorsorge, die wir treffen können - und dabei sind wir in Deutschland ja auch privilegiert, es gibt keinen Mangel an Impfstoffen, und wir können sie uns leisten. Warum sehen das viele nicht?

Impfen? Kein Thema! Aber ich komme auch aus Hessen

Ich komme aus Südhessen und habe als Kind alle Impfungen bekommen, die gemeinhin gebraucht werden. Als ich klein war, gab es noch die kollektive Polio-Schluckimpfung in der Schule. Erst seit etwa 15 Jahren gilt Europa als Polio-frei. Das ist nicht lange. Impfen war nie ein Thema bei uns zu Hause oder später. Im Gegenteil: Als ich mit Anfang 20 mal fies mit dem Rad gestürzt bin und mir auf Kies die Knie und Schienbeine aufgeschrammt hatte, war's mal kurz kritisch, denn mein Tetanus-Impfschutz war nicht mehr aktuell.

Und ja, ich habe die FSME-Impfung lange nicht für nötig gehalten und so lange rausgeschoben, weil eine Freundin von mir nach der zweiten Impfung ganz schlimme Gegenreaktionen entwickelte und echt lange damit zu kämpfen hatte. Ich selbst hatte nach der zweiten Hepatitis-Impfung zwei Tage lang elende Grippe-Symptome. Und ja, es gibt Fälle von Impfschäden, es gab sie schon immer, es gab sie durch Corona-Impfungen, sogar in meiner Familie.

Impfskepsis nicht erst seit Corona

eine Asiatische Tigermücke
Diese Asiatische Tigermücke hat jemand in Freiburg eingefangen. Aber auch bei uns in der Region Stuttgart ist sie leider keine Seltenheit mehr und findet ideale Bedingungen zum Brüten.

Aber jetzt gehe ich seit März regelmäßig in den Garten und bringe regelmäßig auch eine Zecke mit. Und seitdem ich weiß, dass das FSME-Virus auch durch Tigermücken übertragen werden kann, habe ich meine Meinung geändert. Und auch Humane Papillomviren (HPV), die Krebs etwa in der Gebärmutter oder im Hals-Rachen-Raum verursachen können, sind ein Thema, finde ich. Auch hier liegt BW weit unter dem Bundesdurchschnitt.

Der größte Feind der Impfung ist ihr Erfolg, denn viele Krankheiten seien unsichtbar geworden, sagen die Krankenkassen. Viele Menschen hier leugnen aber generell viele Krankheiten und vor allem die Wirksamkeit von Impfungen, das habe ich, seitdem ich in Stuttgart lebe, auch schon selbst erfahren. Natürlich erreichte das einen Höhepunkt zur Corona-Pandemie. Familienspaltend. Gesellschaftsspaltend. Da kann man schon mal fragen, was das aus uns gemacht hat. Haben wir auch bei "Zur Sache Baden-Württemberg":

Aber das ist ja nicht erst seit Corona so. Ich bin in einem Pro-Impfen-Umfeld aufgewachsen. Ich verstehe sogar die Abwägung, was die größere Gefahr oder Bedrohung ist: eine Krankheit oder die Nebenwirkungen. Aber hier in der Region geht das Ganze ja noch tiefer, hat die Impfskepsis Tradition und ist bis ins Kaiserreich zurückzuführen. Pietismus, Anthroposophie und ein gewisser Hang zur Esoterik waren schon immer da und haben starken Einfluss bis heute. Sagt beispielsweise der Medizinhistoriker Malte Thießen.

Impfen war schon immer politisch, nicht erst seit Corona.

Er hat schon 2017 ein Buch zum Impfen in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert geschrieben und erklärt dort interessante Zusammenhänge von Medizinentwicklung und Gesundheitsversorgung mit kulturellen und sozialen Faktoren.

Gleichzeitig findet Thießen unabhängig von diesen Faktoren aber auch, dass eine Impfpflicht vielleicht nicht die Lösung für eine flächendeckende Immunisierung ist, denn "Druck erzeugt Gegen-Druck". Zudem habe der Siegeszug von Fake News im Fahrwasser der Corona-Pandemie extremen Einfluss auf Impfgegnerinnen und -gegner, sagt Thießen. Was kann man also raten und tun?

Persönlicher Schutz ist Schutz vulnerabler Gruppen

Kommunikation, Information, Beratung, Aufklärung. "Ich als Hausärztin halte eine gute Kommunikation mit den Patientinnen und Patienten für das A und O", sagt Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth, Vorsitzende des baden-württembergischen Hausärztinnen- und Hausärzte-Verbandes. "Eine Impfung ist letztendlich immer eine individuelle Entscheidung, die zwischen Hausarzt oder Hausärztin und Patientin oder Patient getroffen wird, auch in Kenntnis des Gesamtkontextes."

Gute Kommunikation mit den Patientinnen und Patienten ist das A und O.

Buhlinger-Göpfarth betont aber gleichzeitig, dass es mehr ist als eine persönliche Entscheidung: "Impfungen schützen nicht nur einen selbst, sondern auch das Umfeld. Impfungen schützen natürlich nicht immer vor einer eigenen Erkrankung, aber, und dazu haben wir eine hohe wissenschaftliche Evidenz, die meisten Impfungen schützen vor schweren Verläufen von Erkrankungen", so die Hausärztin. Und mit der eigenen Impfung trage man zum Schutz der gesamten Bevölkerung bei, vor allem für vulnerable Gruppen sei es ein zuverlässiger Schutz.

Im übrigen geht der Hausärztinnen- und Hausärzte-Verband davon aus, dass die Impfquoten gar nicht so schlecht sind in Baden-Württemberg wie immer dargestellt. Es fehlten rund drei Millionen Impfungen in den Statistiken, weil nicht alle über die Krankenkassen erfasst würden, so Buhlinger-Göpfarth. Hier gebe es dringend Handlungsbedarf, aber vielleicht helfe zukünftig die Digitalisierung im Gesundheitswesen.

Voting: Ist euer Impfschutz komplett?

Die Abstimmung ist bereits beendet.

Hand aufs Herz: Lasst ihr euch impfen?

  • Logo lass ich mich impfen. Mein Impfpass ist immer tiptop. 83,8%
  • Also ich würde mich jetzt nicht direkt als Impfgegner bezeichnen. Aber ich sehe die Sache schon äußerst skeptisch. 7,2%
  • Puh, Impfen nur, wenn es absolut sein muss. Also die gängigen gegen schwere Erkrankungen. Reise ich halt nicht nach Afrika oder Asien. 5,2%
  • Ganz ehrlich? Ja, ich halte da nichts von. Ich hab' mich auch nicht gegen Corona impfen lassen. 3,8%

Hinweis: Das Abstimmungsergebnis zeigt ein Meinungsbild unserer Nutzer*innen und ist nicht repräsentativ.

Vor zwei Wochen (an Karfreitag gab es keinen Wochenrückblick) wollten wir von euch wissen, wie am besten mit dem Frust über die Deutsche Bahn in der Region Stuttgart umzugehen wäre. Die meisten Stimmen (67 Prozent) gab es für die Antwort "Ich fühle so mit! Ich weiß auch langsam nicht mehr, wohin mit meinem Frust.".

Vorsorge: Welche Impfungen braucht man wann?

Gerade waren bei uns die Masern wieder in der Diskussion, jetzt wird älteren Menschen zur Impfung gegen Gürtelrose geraten, in Finnland werden Menschen sogar gegen die Vogelgrippe H5N1 geimpft. Okay, woher weiß ich, welche Impfungen wirklich sinnvoll oder absolut unerlässlich sind und welche ich eher vernachlässigen kann? Welche Impfungen beziehungsweise deren Auffrischungen die Ständige Impfkommission (STIKO) wann empfiehlt, hat mein Kollege David Beck von der SWR Wissensredaktion hier aufgeschrieben:

Während der jetzigen europäischen Impfwoche bieten viele Hausärztinnen und -ärzte sowie die Gesundheitsämter der Kommunen an, dass Bürgerinnen und Bürger ihre Impf-Pässe überprüfen lassen können. Teilweise gibt es auch öffentliche Impfaktionen. Zum Beispiel am Samstag (26. April) in Ludwigsburg von 10 bis 13 Uhr auf dem Marktplatz. Es bestehe auch die Möglichkeit, sich reisemedizinisch beraten zu lassen, heißt es in einer Mitteilung.

Einen Impf-Check bietet auch die Krankenkasse AOK Baden-Württemberg zusammen mit dem Gesundheitsministerium und mit Unterstützung der Kassenärztlichen Vereinigung im Netz an. Und ganz wichtig, das betont auch der Hausärztinnen- und Hausärzte-Verband BW: Immer wissen, wo der Impfausweis ist, regelmäßig reinschauen und immer mit Hausärztin oder Hausarzt sprechen. Dann sei schon viel getan, um auf Stand zu bleiben.

Über die europäische Impfwoche haben wir bei SWR4 BW am 25.04.2025 berichtet.

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