Im Kunstverein Wagenhalle in Stuttgart setzen sich sieben Tänzerinnen in vier Vorstellungen mit älteren Körpern auseinander. Das neue Format ist eine Mischform zwischen Tanzstück und einer Art begehbaren Ausstellung. Die Tänzerinnen sind zwischen knapp 30 und 80 Jahren alt.
Einschüchternde Körperideale und Scham im Schwimmbad
"5 Dinge, die eine Frau ab 50 nicht mehr anziehen sollte" - Modezeitschriften stellen immer noch viele Tabus auf. "Altersgerechte" Mode ist ein Streitthema. Wie viel darf Frau ab einem bestimmten Alter noch von ihrem Körper zeigen? Miniröcke, kurze Tops, Bikinis - was gilt gesamtgesellschaftlich als schön?
Fast jedes Mädchen und Frauen jeden Alters kennen es, wenn das Schwimmbad oder Freibad zum Ort des Unwohlseins wird. Nicht der Badespaß steht im Vordergrund. Man vergleicht sich, schämt sich, sich halbnackt zu zeigen. Stoppeln, Cellulite, zu kleine, zu große Oberweite, erschlaffte Haut. Social Media und die Werbung machen es nicht leicht, selbstverständlich mit den vermeintlichen eigenen Makeln umzugehen.

Die Performance "Dance Your Skin Collective" greift diesen Ort auf, der für viele vor allem für Unsicherheit statt für unbeschwertes Freizeitvergnügen steht. Beim Betreten der Räumlichkeiten des Kunstvereins Wagenhalle bekommt das Publikum direkt mehrere Videos präsentiert, die auf große Wände projiziert werden. Es ist der Blick unter Wasser im Freibad. Frauenkörper unterschiedlichen Alters schwimmen in bunten Badeanzügen, die Beine strampeln. Dabei schwingt, wabbelt und arbeitet natürlich auch die Haut.
Weibliche Körper als konstruierte "Problemzonen"
Es ist genau dieser Blick unter Wasser, bei dem viele Frauen froh sind, dass ihn nur die Schnellschwimmer mit gutsitzender Brille im Vorbeikraulen kurz zu sehen bekommen. Zu unangenehm ist es, all die selbst erklärten "Problemzonen" so exponiert zur Schau zu stellen. Das Gefühl, dass es einem fast unangenehm ist, die Frauen hier sozusagen voyeuristisch unter Wasser zu beobachten, setzt beim Publikum sofort ein. Ein Gefühl, dass das Publikum noch eine Weile begleiten wird.
Tänzerinnen zwischen 30 und 80 Jahre alt
Das "Dance Your Skin Collective" sind sieben Performerinnen, die am Anfang des Stücks auf sieben zartrosa Gymnastikbällen hopsen - am Anfang verhalten, sie wirken fast apathisch. Dann irgendwann beginnen sie beim Auf und Ab hürpfen zu lachen, zu rufen. Am Ende singen sie zusammen atemlos im Chor: "Be-Bop-A-Lula".

Mit dabei sind Tänzerinnen zwischen knapp 30 und 80 Jahren. Um die Frauen herum bewegt sich das Publikum frei im Raum. Eine Bühne in diesem Sinne gibt es nicht. Am Anfang bedecken sich die Performerinnen noch mit nudefarbenen Kostümen. Später lassen sie die Träger ihrer Oberteile fallen. Mit entblößten Brüsten posieren sie im Raum. Wie antike Statuen verharren sie in dramatischen Posen. Ganz still ist es. Am Anfang ist da Scham - darf man sie jetzt anschauen? Aber genau darum geht es, erklärt die 74-jährige Roswitha Münchbach:
Die sollen mich jetzt angucken und sich hinterher das Maul zerreißen oder es schön und ästhetisch finden oder sagen: 'Das kann ich ja auch noch machen.'
Alternde Frauenkörper im Tanz
Das Stück baut auf einer Solo-Performance von Lisa Thomas auf, in dem sie die Sichtweisen auf ihren eigenen gealterten Tänzerinnen-Körper zum Thema machte. Jetzt hatte sie große Lust, diese Auseinandersetzung damit, wie weibliche Körper vermeintlich sein sollen, wie und von wem sie repräsentiert werden, auszuweiten. So erklärt es die Tänzerin und Choreografin. Dafür hat sie mit der Israelin Smadar Goshen zusammengearbeitet.
In "Dance Your Skin Collective" geht es um die Gemeinschaft unterschiedlicher Generationen. Und den Blick darauf, wie vielfältig das ästhetische Potenzial der Körper in unterschiedlichem Alter sein kann.
Die anfangs fast unbeweglichen Frauenkörper beginnen sich zu bewegen, sie schwingen auf einer Schaukel durch den Raum, sie verlassen ihr Podest - einen Tisch, schieben ihn durch den Raum, kämpfen fast mit ihm. Unter der Tischfläche, die sie unter großem Kraftaufwand drehen, kommen Aktgemälde idealisierter Frauenkörper zum Vorschein.

Immer neue Idealbilder von Körpern hemmen das Selbstbewusstsein
Die Idealbilder, sie spielen nicht nur im Alter eine Rolle, erklärt die junge Tänzerin Martina Gunkel: "Ich denk mir auch oft, etwas an mir könnte schöner sein und da finde ich es hier umso schöner, dass sich so eine Lust entwickelt hat, dem Köper zu begegnen und vielleicht auch Körperteile preiszugeben und besonders zu inszenieren, die man eigentlich gerne mag und die man gar nicht gerne zeigen möchte, weil wir so sozialisiert sind und von unserer Gesellschaft geprägt sind."
Tänzerinnen schubsen sich und spielen mit den Falten der anderen
Die Frauen spielen mit ihren Körpern, im nächsten Moment kämpfen sie fast miteinander. Sie schubsen sich, ertasten die Falten der anderen, die Nase oder den Mund. Sie ziehen und zerren aneinander, mal neugierig, mal fast aggressiv. Immer neu erkunden sie das ästhetische Potential ihres eigenen und der anderen Körper. Mal erscheint eine Szene dabei fast quälend langsam, weil der Anblick eben nicht selbstverständlich ist. Dann wieder agieren die Frauen in atemberaubender Geschwindigkeit, die sie an ihre physischen Grenzen bringt.

Ganz wichtig dabei: Sie arbeiten sich gemeinsam an ihren unterschiedlichen Körpern ab, erklärt Choreografin und Tänzerin Lisa Thomas: "Damit das für Zuschauer so eine ästhetische Normalität bekommt, was es oft im Tanztheater nicht hat - da hat man entweder die Jungkompagnien oder eben ältere Körper nebeneinander. Aber ein komplett divers altes Ensemble miteinander gibt es selten." Ihre Botschaft: Das gehört alles zusammen. Das ist alles Ästhetik. "Es gehört nicht das eine ins Altenheim und das andere gehört ins Freibad und das nächste gehört nur in die Kunst. Das aufzulösen und da auch Wege zu suchen…", darin sieht sie ihre Aufgabe.
Der Blick auf alternde, weibliche Körper soll verändert werden
Beim Verlassen des großen Saales verabschieden das Publikum wieder die Frauenkörper unter Wasser. Und nach den Bildern, die man während der Vorstellung erlebt hat, bekommen die Videoaufnahmen plötzlich eine ganz andere Ästhetik. Nicht mehr das vermeintlich unschöne Wabbeln sticht ins Auge. Jetzt fallen die schönen Lichtreflektionen auf der Haut durch die Sonne ins Auge. Die aufregenden Luftblasen, die die Körper umspielen. Die Körper sind einfach lebendige Körper - jeder schön auf seine Weise.
