Für gläubige Muslime und Muslimas gelten Alkohol und andere Drogen als verboten. Wer suchterkrankt ist, hat mit Stigmatisierung zu kämpfen. Eine Beratungsstelle in Stuttgart bietet darum spezialisierte Hilfe für muslimische Menschen an.
Muslim berichtet über Suchterfahrung
Faisal Khan steigt über eine Treppe auf die Stuttgarter Karlshöhe. Mit dem weiten Blick über die Stadt kann er frei über seine Suchterfahrung sprechen. Der 53-Jährige kommt aus Bangalore in Indien, lebt seit rund 14 Jahren in Stuttgart. Im sonst überwiegend hinduistisch geprägten Indien wuchs Faisal Khan in einer muslimischen Familie auf. Begonnen habe es mit Anfang 20: Damals lernte er einen neuen Freundeskreis kennen. Die neuen Freunde sind alle muslimisch, trotzdem wurde geraucht und getrunken.
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Er selbst sei damals sehr schüchtern und unsicher gewesen. Anfangs sei es ihm leicht gefallen, "nein" zu sagen. Doch irgendwann habe er auch angefangen zu trinken. Faisal Khan spürte, wie der Alkohol ihn veränderte: "Ich hatte eine andere Persönlichkeit. Sie war wilder, sie war offener." Der junge Mann genoß seine neue Identität, sah darin Vorteile.
Selbst-Stigmatisierung von Sucht im Islam
Mit der Zeit kamen härtere Drogen dazu. Gemeinsam mit seinem Freundeskreis fuhr Faisal Khan mehrmals nach Goa, bekannt als das "Hippie-Mekka" in Indien. Dort feierte er wilde Parties auf LSD. Obwohl es vielen in seinem Umfeld durch den Konsum nicht mehr gut ging, sei Faisal Khan überzeugt gewesen: "Ich habe die Kontrolle über die Drogen, mir wird sowas nicht passieren." Seinen muslimischen Glauben habe er in der Zeit beiseite geschoben.
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Seinen Eltern sagte Faisal Khan in der ganzen Zeit nicht, wie es ihm ging. "Im Islam gelten Alkohol und Drogen als verboten", darum fürchtete er eine starke Reaktion von ihnen. Aus Scham isolierte er sich mehr und mehr von seiner Familie. Zum einen werte man sich als süchtige Person bereits selbst ab, so Faisal Khan. Zum anderen habe man Angst vor der Stigmatisierung durch andere, ebenfalls gläubige Muslime.
Noch in Indien lernte Faisal Khan seine heutige Frau kennen. Gemeinsam kriegen sie einen Sohn. Zu der Zeit habe er bereits versucht gegen die Sucht anzukämpfen, Sport habe ihm geholfen. Trotzdem konsumierte er noch gelegentlich. Spätestens durch Frau und Kind wollte er sich jedoch ändern. Zusammen zog die Familie nach Stuttgart.
Spezialisierte Suchtberatung für muslimische Menschen
Auch wenn sich seine Sucht besserte, habe ihm immer noch jemanden zum Reden gefehlt, der seine Situation versteht. In Stuttgart stieß Faisal Khan schließlich auf die Suchtberatung "Al Mudmin" und auf Sozialpädagoge Lukas Müller. Gegründet wurde "Al Mudmin" mit einer in Deutschland einzigartigen Idee, sagt Lukas Müller. Nämlich ein spezielle Beratung für Menschen muslimischen Glaubens.

Dadurch, dass man sich mit der Religion auskenne und gleichzeitig einen sicheren Raum für Beratung anbiete, öffnen sich viele betroffene Personen beim ersten Kontakt und brechen mental zusammen, so Lukas Müller. Denn die meisten würden bei ihm zum ersten Mal in ihrem Leben überhaupt aussprechen, dass sie unter einer Sucht leiden. "Ich habe schon mit Menschen gesprochen, die seit 20 Jahren unter einem Dach mit ihrer Familie leben und niemand weiß, dass derjenige suchtkrank ist", so Müller.
Wenig Forschung zu Suchterkrankungen unter Muslimen
"Al Mudmin" ist Teil des Vereins der Islamischen Arbeitsgemeinschaft für Sozial- und Erziehungsberufe (IASE). Laut eigener Website arbeitet die IASE seit 1989 für eine bessere psychosoziale Versorgung von muslimischen sowie migrantischen Menschen. Dabei versucht sie auch die Fachwelt miteinander zu vernetzen. Denn wie genau Sucht, Stigma und Religion zusammenhängen, wird laut Lukas Müller in Deutschland kaum erforscht.
Neben dem Zusammenhang zwischen Religion und Sucht beobachtet der Suchtberater, dass auch gesellschaftliche Faktoren auf die Betroffenen einwirken. Durch den vergangenen Bundestagswahlkampf und den politischen sowie medialen Fokus auf Migration als "Problem", nehmen laut Lukas Müller viele Klienten einen "anti-muslimischen Rassismus" wahr, der ihre Suchtproblematik befördert. Auch der Krieg in Gaza sei eine Belastung, die viele in Süchten ausblenden versuchen würden.
Sozialpädagoge: Religiöse Werte nutzen, um Sucht zu durchbrechen
Auch Faisal Khan spricht regelmäßig mit Lukas Müller. Mittlerweile konsumiert Faisal Khan keine Drogen mehr. Dabei habe ihm auch die Arbeitsweise von "Al Mudmin" geholfen. So fokussiere man sich in der Beratung darauf, wie der Glaube der Person als Ressource gegen die Suchterkrankung genutzt werden könne. "Man kann zum Beispiel das rituelle Gebet nutzen: Wer fünf Mal am Tag betet und dabei laut Islam nüchtern sein muss, dem fällt es schwerer zu konsumieren", so Lukas Müller.

Neben der Beratung trifft sich Faisal Khan regelmäßig mit anderen muslimischen Menschen in einer spirituelle Gruppe. Die Struktur gebe ihm Stabilität, dort treffe er andere Menschen mit Herausforderungen. Gemeinsam wolle man die Werte des Islams nutzen, um sich zum positiven zu ändern. "Niemand ist frei von Problemen", sagt Faisal Khan.